Militärexperte Mögliches Kriegsende: "Auf einen Sieg-Frieden können weder Ukrainer noch Russen hoffen"

Wolfgang Richter, Oberst a.D.
Ein BM-21 Grad-Mehrfachraketenwerfer feuert auf russische Stellungen an der Frontlinie in der Region Charkiw.
© Anatolii Stepanov / AFP / n-tv
Sehen Sie im Video: Militär- und Sicherheitsexperte Wolfgang Richter erklärt die Kämpfe um Bachmut und die militärische Lage in der Ukraine.
Wie ist die militärische Lage in der Ukraine und was passiert bei den Kämpfen um Bachmut? Militärexperte Wolfgang Richter erklärt – und macht wenig Hoffnung auf eine diplomatische Lösung.

Wolfgang Richter war lange bei der Bundeswehr, Nato, im Verteidigungsministerium, Leiter der militärischen Vertretung bei der OSZE und bis 2022 als Abrüstungs- und Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Wieder kein Putin-Freund, der deutlich warnt

  • Auf einen Sieg-Frieden können weder Ukrainer noch Russen hoffen
  • Bachmut droht jetzt eine eingekesselte Festung wie damals Mariupol zu werden
  • Drohenabschüsse können schnell zur unkontrollierten Eskalation führen
  • der Ukraine droht langfristig Gefahr durch die US-Republikaner - wenn die US-Unterstützung ausfiele, stünden die Europäer allein da
  • Daher sollte eine Friedenslösung nicht auf die lange Bank geschoben werden

Wolfgang Richter sagt:

Bachmut ist ein Eckpfeiler in der Verteidigungslinie. Die nächste Verteidigungslinie ist bei Kramatorsk. Wenn Bachmut fällt, würde man aus ukrainischer Sicht einen relativ großen Raum aufgeben. Dazu ist in Kramatorsk das Hauptquartiert der ukrainischen Ost-Armee, die für den Donbass zuständig ist. Mittlerweile würden die Russen schon einige Kilometer westlich von Bachmut stehen. Damit wird die Lücke für die ukrainischen Transporte enger. "Dann könnte sich so ein Szenario wie in Mariupol entwickeln, dass man eine eingeschlossene Festung hat." Es geht darum, Zeit zu gewinnen um die eigene Offensive vorzubereiten und darum, den Russen Verluste beizubringen und ihre Offensivkraft zu schwächen. "Auf der anderen Seite steht dagegen tatsächlich die Gefahr der Einschließung und auch hochqualifiziertes Personal zu verlieren." Es würde aktuell gutes Personal dorthin geschickt. Er hofft, dass die Ukrainer erkennen, wenn es eng wird und sie sich dann rechtzeitig zurückziehen.

Zu Selenskyjs Aussage, dass Russland bald zerbreche, sagt Richter: "Dass Russland jetzt bereits zerbricht, das glaube ich nicht." Sie haben viele Truppen mobilisiert, sie haben zwar altes Material, aber sei sowjetisches Material, was auch die Ukrainer nutzen und was auf dem Gefechtsfeld noch viel wert wäre. Es geht auch um die Masse. "Einen Sieg-Frieden, den sehe ich weder für die eine noch für die andere Seite."

Richter warnt vor Eskalation

Drohnenflüge der Amerikaner habe es schon vor dem Krieg über dem Schwarzen Meer gegeben. Dazu gebe es dort jetzt die russischen Kriegsschiffe, die mit Kalibr-Marschflugkörpern das russische Festland beschießen. Das Pentagon melde, dass der Absturz westliche der Krim gewesen sei – einer Zone, in der die Schwarzmeerflotte stehe und von wo aus nach Odessa geschossen werde. Dort wo enger Kontakt besteht, können immer solche Zwischenfälle passieren. Allerdings gehe es jetzt darum, dass keine Eskalation eintritt.

Absichten müssen zwischen den Hauptquartieren direkt kommuniziert werden und es müsse deeskaliert werden. Die Russen könnten einen Kriegseintritt anders deuten als wir es tun, zum Beispiel so, dass man Informationen liefert, die zu tödlichen Angriffen auf Schiffen führen.

Der Punkt sei, dass solche Dinge außer Kontrolle geraten können. Deshalb appelliert er zu Vorsicht und zu Abwägung, bei jedem Schritt. Daher müsse man reden, wenn es Zwischenfälle gibt. Die amerikanische Drohne, die abgestürzt ist, kann aufklären, das brauche man bei Angriffen auf Luftverteidigungsanlagen. Dazu könne sie auch bewaffnet werden, sie sei die Standardwaffe des Targeted Killing, die amerikanische Kriegsführung gegen den Terror, wie sie es selbst bezeichnen, was auch teilweise völkerrechtswidrig sei.

Verhandlungen zwischen Russland und Ukraine gerade schwierig

Die Ausgangslage für eine diplomatische Lösung sei gerade sehr schwierig. Denn die Russen müssten von ihren Maximalforderungen abrücken, die Ukrainer dagegen vermutlich nicht mehr zum Ziel haben, jeden Quadratmeter Land einschließlich der Krim zurückzuerobern. Man könne aber auch darauf schauen, worum es den Russen schon vor Jahrzehnten ging. Sie wollen die NATO-Erweiterung verhindern. "Die Ukraine war immer der neuralgische Punkt." Darüber könnte man mit den Russen reden. In der NATO gebe es aktuell keinen Konsens über den Eintritt der Ukraine in die NATO.

Putin gehe es um die historische Perspektive. Putin vertraue nicht darauf, nur weil ein NATO-Beitritt aktuell nicht realistisch ist, dass es in einigen Jahren nicht anders sei. Nach außen sieht es aber gerade nicht nach einer Kompromisslösung aus. Wir sollten dabei dazu auch an unsere eigene Sicherheit denken, findet Richter. "Wir haben es mit einer der beiden großen Nuklearmächte dieser Erde zu tun. Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen."

US-Republikaner gefährlich für die Ukraine

"Die Gefahr, die sich für die Ukraine langfristig ergibt, kommt tatsächlich eher aus dem republikanischen Lager in den USA." Ron DeSantis, aber auch andere radikale Republikaner können Mehrheiten verhindern, wir wissen nicht wer der neue Präsident wird. Wenn die USA als größter Geldgeber wegfallen, dann stünden die Europäer alleine da. Diese Überlegungen sollten dazu beitragen, dass man die Friedenslösung nicht auf die lange Bank schiebt.