Leichen auf den Straßen, viele von ihnen wurden erschossen, manchen waren die Hände auf den Rücken gebunden – die Bilder aus Butscha sorgen weltweit für Entsetzen. Nach dem Abzug russischer Truppen aus dem Vorort von Kiew wurden die Leichen von mehr als 400 Zivilisten entdeckt. Die Regierung in Kiew wirft Moskau Kriegsverbrechen vor.
Erst kurz vor dem Ukraine-Krieg – im Herbst des vergangenen Jahres – hatten die Behörden in Russland neue technische Standards für Massengräber festgelegt. Die Änderungen traten am 1. Februar in Kraft – dreieinhalb Wochen vor dem Angriff auf die Ukraine. In dem sogenannten "GOST" (Gosudarstvennyy Standart, Staatlicher Standard) sind detaillierte Anweisungen für die "dringende Beerdigung von Leichen in Friedens- und Kriegszeiten" enthalten, darunter zur Tiefe der Grube, zum Abstand der Särge zueinander und zur beschleunigten "Mineralisierung der Leichen". Bereits Ende vergangenen Jahres hatten Medien darüber berichtet.
Das Grauen von Butscha: die brutale Realität des Krieges

Massengräber für 1000 Tote geplant – pro Massengrab 16 Soldaten zuständig
Das Dokument zeigt mit genauen Anweisungen, wie Soldaten beim Ausheben von Massengräbern vorgehen sollen. Unter anderem wird anhand von technischen Abbildungen erklärt, worauf zu achten ist – zum Beispiel darauf, die Leichen mit Chemikalien zu behandeln und die Erde am Ende mit einem Bulldozer zu glätten und zu verdichten. 16 Soldaten sollen so innerhalb von drei Tagen 1000 Tote begraben können. Massengräber dürfen laut der Vorschriften nicht in der Nähe von Wasserversorgungs- und Abwassersystemen, natürlichen Mineralwasserquellen sowie Flüssen und Seen mit einem Pegelstand von bis zu zwei Metern liegen.

Der Standard für Massengräber könnte auch im Falle eines feindlichen Angriffs oder für zivile Zwecke benötigt werden – beispielsweise bei einem schweren Unglück oder einer Pandemie. Für die Corona-Pandemie kam der Beschluss jedoch zu spät. Einige Beobachter vermuten deshalb, dass die Änderungen in einem Zusammenhang mit den Kriegsverbrechen in der Ukraine stehen könnten. "Es sieht aus, als hätte Russland einen schnellen Sieg über die ukrainische Armee geplant, eine vollständige Besatzung des Landes und einen Völkermord, eingeschlossen die Anführer der ukrainischen Zivilgesellschaft, Politiker, führende kulturelle Köpfe, usw.", interpretierte der Ukraine-Experte und ehemaliger Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew Sergej Sumlenny die russischen Vorschriften auf Twitter.

Entdeckung von Massengrab in Butscha: Ukraine wirft Russland "Völkermord" vor
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte die Befürchtung, dass sich nach dem Massaker in Butscha noch "schrecklichere Dinge auftun könnten". Andere Regionen des Landes stünden noch unter russischer Kontrolle. Dort könnten "noch mehr Tote und Misshandlungen" bekannt werden. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sagte der "Bild"-Zeitung: "Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen."
Die Bundesregierung hatte am Sonntag erschüttert auf die Berichte reagiert. "Diese Verbrechen des russischen Militärs müssen wir schonungslos aufklären", forderte Bundeskanzler Olaf Scholz. Außenministerin Annalena Baerbock sprach sich dafür aus, russische Kriegsverbrechen in der Ukraine vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen. Die EU will jetzt schnell über noch härtere Sanktionen beraten.
Quellen: Russische Norm "Dringendes Begraben von Leichen in Kriegs- und Friedenszeiten" / Radio Free Europe / Sergej Sumlenny auf Twitter / DPA