Nach dem Kiew-Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock hat der Sicherheitsexperte Christian Mölling der Bundesregierung vorgeworfen, ihrer Verantwortung gegenüber der Ukraine nicht gerecht zu werden. Mölling sagte am Dienstag im stern-Podcast "Ukraine – die Lage", die andauernde Weigerung Taurus-Marschflugkörper zu liefern, erschwere den Schutz und die Befreiung der Bevölkerung in den von Russland besetzten Teilen der Ukraine. Stark vereinfacht könne man sagen: "Je mehr Waffen, desto mehr Möglichkeiten gibt es, Menschen zu befreien."
Der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik reagierte mit Unverständnis darauf, dass trotz des monatelangen Bittens der Regierung in Kiew noch keine Entscheidung gefallen sei. "Es gibt eine mittelbare Form von Verantwortung, die ist relativ einfach beschreibbar", erläuterte er. "Wenn ich nicht tue, was in meiner Macht steht, aber ich in der Lage bin, es zu tun, und es eigentlich richtig ist – dann lade ich Schuld auf mich."
Mölling schloss nicht aus, dass "Bockigkeit" angesichts der permanenten Nachfrage nach den Waffensystemen ein Motiv der Regierung sei, weiter zu warten. Baerbock hatte in Kiew deutlich gemacht, dass Deutschland noch Zeit brauche, um über die Lieferung zu entscheiden. Die Ukraine hat großes Interesse an weitreichenden Raketen, um russische Nachschublinien und Stellungen weit hinter der Front anzugreifen. Auf der anderen Seite möchte die Bundesregierung sicherstellen, dass die Waffen nicht auf russischem Staatsgebiet eingesetzt werden.
Mölling kritisiert fehlende Entscheidungsfreude der Ampel
Mölling forderte die Regierenden in Berlin auf, politische Führung zu übernehmen, statt Stimmungen in der Bevölkerung einfach als gegeben zu akzeptieren. "In einer Situation, in der unklar ist, was richtig und was falsch ist, kann Politik Führung übernehmen", sagte er. Sie hätte sich sehr früh bemühen können, die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung zu führen. "Man wollte diese Führung nicht zeigen", kritisierte er. "Zur Zeit steht nur im Raum, dass man sich die Entscheidung ganz schwer macht." Das reiche aber nicht aus.
Für Deutschland sei es auch keine Option, wieder darauf zu warten, dass die USA vorangehen und weitreichende Marschflugkörper liefern. Dazu verwies er auf die im nächsten Jahr anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA: "Diese Entscheidungslogik kommt ja möglicherweise zu irgendeinem Ende. Nämlich dann, wenn der nächste amerikanische Präsident nicht mehr ein Demokrat ist und Joe Biden heißt."