Gefallener Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin zu Grabe getragen – was die "Sonderoperation Beerdigung" verrät

Ein Mann in Militäruniform steht auf dem Friedhof Porochowskoje an einem blumengeschmückten Grab von Jewgeni Prigoschin
Ein Mann in Militäruniform steht auf dem Friedhof Porochowskoje an einem blumengeschmückten Grab von Jewgeni Prigoschin
© Dmitri Lovetsky
Die Operation zur heimlichen Beisetzung von Jewgeni Prigoschin hat der Kreml erfolgreich über die Bühne gebracht. Das Versteckspiel folgt einer langen Tradition des Systems Putin und lässt tief in die Logik des Kremls blicken. 

Täuschungsmanöver, Versteckspielchen und Sonderoperationen der russischen Geheimdienste begleiteten die Beisetzung von Jewgeni Prigoschin am vergangenen Dienstag. In St. Petersburg inszenierte man gleich mehrere Beisetzungen und trieb Trauernde, Schaulustige und Presse zwischen drei Friedhöfen der Metropole hin und her. Auch ein Moskauer Friedhof war im Gespräch – derjenige, wo alle "Helden Russlands" beigesetzt werden. Am Ende wurde der Mann, dem Wladimir Putin einst selbst diesen Titel verliehen hatte, still und heimlich auf einem Friedhof ganz am Rand von St. Petersburg beerdigt. Dort, wo ihn niemand vermutet hat. 

Am Abend teilte der Pressedienst von Prigoschin den Ort seiner letzten Ruhestätte mit. "Auf Wunsch der Angehörigen fand die Beerdigung Prigoschins nur in deren Anwesenheit und im Beisein seiner engsten Freunde statt", zitierte die russische Nachrichtenagentur Ria eine dem Verstorbenen nahe stehende Quelle

Die Verwaltung des Friedhofs teilte dem unabhängigen Fernsehsender Dozhd mit, Prigoschin sei neben seinem Stiefvater beigesetzt worden – ganz ohne die militärischen Ehren, die dem langjährigen Anführer der Wagner-Truppen als einem "Helden Russlands" zugestanden hätten.

"Es waren 20 bis 30 Leute da. Nur Vertraute und Angehörige", erzählte einer der Mitarbeiter des Friedhofs dem unabhängigen Medium "Agentur". "Die Zeremonie dauerte 40 Minuten. Alle trugen Zivilkleidung, Militärs habe ich nicht gesehen. Ich arbeite seit mehr als 30 Jahren in der Branche, für mich war das nichts Ungewöhnliches, nur eine VIP-Beerdigung", sagte die Quelle. 

Mutter trug Jewgeni Prigoschin zu Grabe 

Der Porochowskoje-Friedhof liegt im nordöstlichen Teil von St. Petersburg und gilt als halböffentlich. Dort sind vor allem Familiengräber zu finden, aber auch Massengräber aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs.

Unter den Anwesenden sei Prigoschins Mutter Violetta gewesen, die die Beerdigung am vergangenen Montag in Auftrag gegeben habe, wussten Friedhofsmitarbeiter zu berichten. Ihr Sohn wurde im geschlossenen Sarg beigesetzt, der von Wagner-Kämpfern getragen wurde, wie auf Bildern zu sehen ist. Prigoschins Kinder und Ehefrau wohnten der Beisetzung offenbar nicht bei. Ein einfaches Holzkreuz und mehrere Kränze zieren nun die Grabstelle. Polizeikräfte riegelten den Friedhof ab. 

Nachdem der Kreml sich jedoch sicher war, dass der Tod des gefallenen Wagner-Chefs keine Massenproteste oder Aufmärsche ehemaliger Söldner auslösen würde, gewährten die russischen Behörden der Öffentlichkeit am vergangenen Mittwoch Zutritt zu seiner letzten Ruhestätte. Einen Ansturm gab es nicht. In den ersten Vormittagsstunden zählten Beobachter an die 30 Besucher, vor allem Wagner-Kämpfer. Trotzdem sei vor dem Friedhof ein Stau entstanden, berichtete der TV-Sender Dozhd, da alle Besucher am Eingang durchsucht werden würden. 

"Auf dem ganzen Friedhof sind immer noch Hundeführer und Polizisten zu sehen", berichtete eine Einwohnerin aus St. Petersburg. "Zum Grab selbst kamen innerhalb von mehreren Stunden gar nicht so viele Menschen, zwischen 30 und 50. Bei ihnen handelt es sich um Wagner-Leute, seine Geschäftspartner aus St. Petersburg, einen jungen Mann mit der imperialistischen Fahne um die Schultern und betagte Frauen. Das Interessanteste dort sind die Katzen, die über die Grabstelle spazieren", lautete ihr unaufgeregtes Urteil.

Sonderoperation Beerdigung

Der geschlossene Sarg, die Täuschungsmanöver und Versteckspielchen – das alles befeuert nun die wilden Spekulationen, Prigoschin könne noch leben. Und doch hat der Kreml damit vorerst erreicht, was er wollte: Er hat Prigoschin leise unter die Erde gebracht. 

"Jede Massenveranstaltung, egal ob es eine Beerdigung, eine Hochzeit oder ein Ausflug ist, könnte zu einer politischen Veranstaltung ausarten", erläuterte die aktuelle Situation der russische Exil-Politiker Maxim Resnik im Gespräch mit "Radio Swoboda". "Prigoschin ist zusammen mit Strelkow (Igor Girkin, Anm. d. Red.) trotz ihrer gegenseitigen Feindschaft ein Symbol der Ultrafaschistischen, denen die Regierung nicht kannibalisch genug ist. In diesem Sinne wird Prigoschin, selbst wenn er tot oder begraben ist, in einem politischen Kontext immer noch existieren."

Für den Kreml sei es deswegen wichtig gewesen, die Beerdigung nicht zu einer "Art politischer Manifestation" ausarten zu lassen. "Daher war es notwendig, eine Sonderoperation durchzuführen – ein Format, das für die Politik Putins so traditionsreich ist. Es hat Wahl-Operationen gegeben, eine militärische Sonderoperation, nun gibt es eine spezielle Beerdigungsoperation", so der oppositionelle Politiker aus St. Petersburg, der im September 2022 Russland verlassen musste. 

"Der Krieg ist kein Krieg, der Held ist kein Held"

Das Resultat: Putin ist über die Leiche von Prigoschin gestiegen und marschiert nun weiter. "Es war entscheidend, eine uneindeutige Situation zu schaffen. Wie alles uneindeutig ist: Der Krieg ist kein Krieg, der Held ist kein Held, wir sind stark, aber schwach. Nichts ist eindeutig", sagt der russische Schriftsteller und Dramatiker Artur Solomonow, der für sein Stück über den Tod von Joseph Stalin bekannt geworden ist. 

"Die Sonderoperation Beerdigung ist nur ein Teil dieser allgemeinen Tendenz. Die Situation wurde sehr vieldeutig gemacht und am Ende ist sie sehr trüb geworden." Dies entspreche dem absoluten Trend, jedem Ereignis mehrere Bedeutungen beizumessen. "Jetzt haben wir jemanden begraben, aber wir wissen nicht wen. Und ob überhaupt jemand beerdigt wurde, wissen wir auch nicht." 

Wagner-Gründer Utkin darf ein "Held" bleiben 

Während die Sonderoperation Beerdigung im Fall von Prigoschin zum Ziel hatte, sein Grab nicht zum Wallfahrtsort für Wagner-Anhänger zu machen, kam ein anderer Söldner-Anführer in den Genuss militärischer Ehren: Dmitri Utkin, die rechte Hand von Prigoschin und der Mann, dem die Wagner-Truppe ihren Namen verdankt. Er befand sich zusammen mit Prigoschin und anderen Wagner-Kommandeuren an Bord der Maschine, die am 23. August in Russland abgestürzt war. Am Donnertag wurde Utkin beigesetzt – auf dem Friedhof der "Helden Russlands". 

Nach Angaben des Telegrammkanals "Shot" wurde Utkin mit militärischen Ehren auf dem Gedenkfriedhof beigesetzt. Während der Zeremonie spielte ein Orchester. Für die Sicherheit sorgten Polizei und Nationalgarde. Die Sicherheitskräfte waren unter anderem mit Drohnenabwehrwaffen ausgerüstet.

Auch Utkins Beerdigung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Doch im Gegensatz zu Prigoschin durfte er auch nach seinem Tod ein "Held" bleiben. Er war schließlich auch nicht auf Moskau marschiert.