Nach Tod Jewgeni Prigoschin Wie Putin den gefallenen Wagner-Chef endgültig unter die Erde bringen will

Am Abend als Jewgeni Prigoschin starb, zeichnete Wladimir Putin neue "Helden Russlands" aus. 
Am Abend als Jewgeni Prigoschin starb, zeichnete Wladimir Putin neue "Helden Russlands" aus. Der gefallene Held Prigoschin soll hingegen vergessen werden. 
© Gavriil Grigorov / Sputnik Kursk region Russia PUBLICATION / Imago Images
Als Jewgeni Prigoschin starb, verlieh Wladimir Putin Medaillen an neue "Helden Russlands". Einst zeichnete er auch den Wagner-Chef mit diesem Titel aus. Doch dieser "Held" ist gefallen – und soll nun der Vergessenheit überlassen werden. 

Jewgeni Prigoschin musste für seine Ambitionen mit dem Leben bezahlen. Es waren seine Ambitionen, für die Wladimir Putin ihn am 24. Juni zum Verräter erklärt hatte. Am 23. August starb Prigoschin. Sein Flugzeug stürzte während eines Flugs von Moskau nach St. Petersburg ab. In dem Moment, als die Nachricht um die Welt ging, gab es kaum jemanden, der daran zweifelte, wer für den Tod von Prigoschin verantwortlich ist. Die Handschrift des Racheengels namens Wladimir Putin war zu deutlich, zu demonstrativ.  

In den Telegram-Kanälen der Wagner-Truppe fanden einige sogar den Mut, Putin direkt zu beschuldigen. Der Z-Blogger unter dem Pseudonym Alex Parker schrieb: "Was ist der Unterschied zwischen Azow- und Wagner-Kämpfern? Die ersten lässt das Väterchen laufen, die zweiten ermordet er." Wobei Parker mit dem verächtlichen Spitznamen Väterchen keinen anderen als Putin betitelte. "Angesichts des tierisches Hasses und Rachedurstes haben sowohl der Degenerierte aus Tuwa als auch Väterchen während des Putsches sich vor Angst in die Hosen gemacht", kommentierte der Wagner-Unterstützer den Tod von Prigoschin, wobei er den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu als Degenerierten aus Tuwa bezeichnete. 

"Es sind Helden Russlands gestorben. Heute wird ganz Ukraine frohlocken. Diejenigen, die es gemacht haben, haben es zur Freude des Feindes vollbracht", beklagte der Z-Blogger unter dem Pseudonym "Der Dreizehnte" in einer Audionachricht auf seinem Telegram-Kanal. 

Denkwürdiges Statement von Wladimir Putin 

Der Kreml nahm all diese Statements schweigend hin. 24 Stunden vergingen, bevor Putin sich zum Tod des Mannes äußerte, der ihm mit seinem Putschversuch den Schreck seines Lebens eingejagt hatte. 

"Was diese Flugkatastrophe angeht, möchte ich zuerst den Familien aller Opfer mein aufrichtiges Beileid aussprechen", erklärte Putin am Donnerstagabend. "Es ist immer eine Tragödie. Und wenn sich an Bord tatsächlich Mitarbeiter der Organisation Wagner befunden haben – und die ersten Informationen deuten darauf hin – möchte ich anmerken, dass es Menschen sind, die einen wesentlichen Beitrag zu unserem gemeinsamen Anliegen geleistet haben: der Bekämpfung von Neonazis in der Ukraine", wiederholte Putin wieder einmal seine Mär, mit der er den Angriff auf das Nachbarland zu rechtfertigen versucht. "Wir erinnern uns daran, wir wissen es und werden es nicht vergessen", fügte der russische Oberbefehlshaber hinzu und tat etwas, was er sonst nie nie in der Öffentlichkeit tut: Er nannte Prigoschin beim Namen.

"Ich kenne Prigoschin schon sehr lange, seit Anfang der 1990er Jahre. Er war ein Mann mit einem schwierigen Schicksal. Er beging in seinem Leben schwere Fehler. Er erzielte aber auch notwendige Resultate – sowohl für sich selbst als auch, wenn ich darum bat, für die gemeinsame Sache, wie in diesen letzten Monaten. Er war ein talentierter Mann, ein talentierter Geschäftsmann.

Putin hat Jewgeni Prigoschin beerdigt

Prigoschin sei ein "fähiger" Mann gewesen, der "nicht nur in unserem Land, und das mit Erfolg, sondern auch im Ausland, insbesondere in Afrika" in den "Bereichen Öl, Gas, Edelmetalle und Steine" tätig gewesen sei, sagte Putin während einer im Fernsehen übertragenen Sitzung . "Soweit ich weiß, ist er erst gestern aus Afrika zurückgekehrt und hat sich hier mit einigen offiziellen Gesichtern getroffen", schloss Putin ab. 

Eine sehr denkwürdige Ansprache zum Tod eines Mannes, der vor genau zwei Monaten mit Panzern auf Moskau marschiert war und unterwegs russische Hubschrauber abgeschossen hat. Kein Wort von Verrat, kein Wort von Meuterei. Das Entscheidendste machte Putin mit seinem Statement aber klar: Prigoschin ist für ihn beerdigt. Sein Name jagt ihm daher keinen Schrecken mehr ein, also kann er ihn auch aussprechen – ganz im Gegensatz zu Alexej Nawalny, dessen Namen Putin nie über die Lippen bringt. 

Putin macht es vor, andere machen es nach 

Mit seinem Kommentar zu Prigoschins Tod hat Putin den gefallenen Wagner-Chef nicht nur beerdigt, er hat auch seinen Untergebenen signalisiert, in welche Richtung der Wind drehen darf. Und so folgten andere mit ihren sonderlichen Kondolenzen. 

Der tschetschenische Machthaber Ramzan Kadyrow erinnerte sich mit überraschend warmen Worten an Prigoschin. "Einfühlungsvermögen, einmalige Kommunikationsfähigkeit und Hartnäckigkeit", hätten den Verstorbenen ausgezeichnet, schrieb er auf seinem Telegram-Kanal. Prigoschin sei "für sein Alter sehr aktiv gewesen. Er war eine wichtige Persönlichkeit im Staat. Aber in letzter Zeit hat er nicht das ganze Bild dessen gesehen, was im Land geschieht – oder wollte es nicht sehen. Ich habe ihn darum gebeten, seine Ambitionen zugunsten essenzieller staatlicher Interessen nach hinten zu schieben", fügte Kadyrow pflichtgetreu hinzu. 

Der Vorsitzende der Partei LDPR, Leonid Slutski, meldete sich ebenfalls zu Wort und erinnerte sich mit Sympathie an Prigoschin. Aber auch er stellte vermeintliche Differenzen in den Vordergrund: "Wenn ich zurückblicke, erinnere ich mach daran, dass unsere Positionen sich radikal unterschieden, was die Arbeit von LDPR angeht oder die politischen Realitäten", schrieb er. 

Alexej Djumin, Gouverneur der Region Tula, kommentierte: Wir trauern um die Opfer dieser Katastrophe. Man kann Fehler und sogar Feigheit verzeihen, aber niemals Verrat. Verräter waren sie nicht." Djumin war einst derjenige gewesen, der Prigoschin in das Geschäft mit Staatsaufträgen brachte. Während der Meuterei hatte er als einziger Gouverneur, durch dessen Gebiet Prigoschins Truppen marschierten, nicht den Ausnahmezustand ausgerufen. 

Der Vorsitzende der Partei "Gerechtes Russland", Sergej Mironow, bekam noch vor wenigen Monaten von Prigoschin einen Vorschlaghammer geschenkt. Stolz posierte er mit dem grausamen Symbol der Wagner-Truppe in seinen sozialen Netzwerken. Nun entschlüpfte ihm wohl die emotionalste Kondolenz: "Jewgeni Prigoschin stand zu vielen im Weg. Die Zahl seiner Feinde hat einen kritischen Punkt erreicht. In seinem Fall haben konkrete Missgeburten seinen Tod vorgesehen. Dein Geschenk (...) wird mich immer daran erinnern, dass die Tat nicht vollbracht ist, dass man kämpfen muss", wandte sich Mironow an seinen verstorbenen Freund ohne die Namen derer zu nennen, die er als "konkrete Missgeburten" bezeichnet – wohl aus Angst das Schicksal von Prigoschin zu wiederholen.

Prigoschin soll der Vergessenheit anheimfallen 

Die späten Kondolenzen lassen eine Linie klar erkennen: Prigoschin soll beerdigt und der Vergessenheit überlassen werden – und mit ihm sein Verrat und vor allem die Blamage, die er Putin damit bereitet hat. Die russischen Staatsmedien nahmen fleißig diese Linie auf. Einen Tag lang begnügte man sich mit ungewohnt nüchternen Nachrichten zum Flugzeugabsturz selbst, zitierte Statements der Behörden. Das Auffällige dabei: Die Ursache für den Absturz unterschlug man konsequent. Einige Sender verzichteten gar komplett auf die Meldung des Todes von Prigoschin. Auch in den Shows der großen Propagandisten beschränkte man sich darauf, die vermeintlich diktierten Zeilen westlicher Medien zu zeigen, die zu Unrecht das Narrativ verbreiten würden, es handele sich um Rache, erklärten die Talk-Master in dem Versuch, diese Version aus den Köpfen ihrer Zuschauer zu treiben. Am nächsten Tag war der Tod von Prigoschin gar kein Thema mehr. Die Vergessenheit darf nach dem Willen Putins beginnen.