Langjähriger Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin war bereits seit dem 13. Juni ein toter Mann

Jewgeni Prigoschin und Wladimir Putin im Jahr 2010
Jewgeni Prigoschin und Wladimir Putin im Jahr 2010. Im Fall von Verrat kennt der Kreml-Chef jedoch auch bei alten Freunden keine Gnade. Nun ist der Anführer der Wagner-Truppe tot. 
© Alexei Druzhinin / DPA
Noch vor wenigen Tagen meldete sich Jewgeni Prigoschin aus Afrika. Nun ist der gefallene Wagner-Chef tot. Sein Ende stand jedoch bereits seit Monaten fest. 

Jewgeni Prigoschin ist tot. Am Mittwoch stürzte sein Flugzeug in der Region Twer zwischen Moskau und St. Petersburg ab. Der Mann, der lange Jahre die Wagner-Truppe angeführt hat und Unmengen an Blut vergossen hat, entrichtete nun selbst den höchsten Preis. Aber nicht für seine grausamen Verbrechen, sondern für den Verrat, den er an seinem Herrn begangen hat.

Dass Prigoschin ein toter Mann war, stand spätestens am 13. Juni fest – noch bevor er auf Moskau marschieren sollte. An diesem Tag erteilte Wladimir Putin den Befehl an die Wagner-Truppe, sich dem Verteidigungsministerium zu unterstellen und stellte sich damit öffentlich auf die Seite der russischen Militärs, die seit jeher Prigoschin verachteten und seit der russischen Invasion in der Ukraine den unliebsamen Konkurrenten loszuwerden suchten.

Der Befehl Putins kam für Prigoschin einem Todesurteil gleich. Wer wäre Prigoschin noch ohne seine Kämpfer gewesen? Ein Niemand. Bald hätte er dasselbe Ende gefunden wie die zahlreichen Separatistenführer und Warlords im Donbass, für die Putin keine Verwendung mehr hatte. Sie starben bei seltsamen Autounfällen, wurden mit Kopfschüssen exekutiert oder fielen versehentlich aus dem Fenster – wie man in Russland zu sagen pflegt. 

Jewgeni Prigoschin soll tot sein: Reporter über Russlands Version des Flugzeugabsturzes.
Der Wagner-Chef Prigoschin war laut russischen Angaben an Bord des in Russland abgestürzten Flugzeugs. Russland-Reporter Peter Leontjew spricht über mögliche Unglücksursachen.
Prigoschin soll tot sein: Reporter über Russlands Version des Flugzeugabsturzes

Jewgeni Prigoschin wählte den Abgang mit Fanfaren

Prigoschin wusste nur zu gut, was ihm blühte. Und so ging er lieber mit einem großen Knall. Er marschierte mit seinen Wagner-Kämpfern auf Moskau, und kam wohl seiner Festnahme nur wenige Stunden zuvor. (Dazu lesen Sie hier mehr.)

Der Anführer der Wagner-Söldner setzte alles auf eine Karte – in dem verzweifelten Versuch, sein Leben zu retten. De facto hatte Prigoschin die Wahl, entweder auf seinen Tod zu warten oder in einem letzten Akt des Aufbegehrens für einen Abgang mit lauten Fanfaren zu sorgen. Er entschied sich für das Letztere – und übte Rache an seinem alten Herrn.

Alles, was Prigoschin war und hatte, verdankte er einem einzigen Mann: Wladimir Putin. Seine Milliarden, seine Macht, seine sogenannte Privatarmee – die noch nie eine war. Die Befehle kamen schon immer aus dem Kreml, wie Putin unlängst eingestand. Und Prigoschin diente seinem Herrn lange Jahre treu, erledigte für ihn in der ganzen Welt die Drecksarbeit – bis der Diener sich nicht mehr mit dem Schattendasein begnügen wollte.

Prigoschin wollte mehr, viel mehr: Anerkennung, Ruhm, Ansehen und Macht. Und als all das zum Greifen nahe war, drehte Prigoschin ab. Bis Moskau kam er nie. Obwohl ihm kaum etwas mehr im Weg stand als die Bagger, die in verzweifelter Eile die Straßen umzugraben versuchten. 

Prigoschin sollte Wladimir Putin besser kennen 

Prigoschin zog ab – und mit ihm seine Kämpfer. Welchen Deal er mit Putin ausgehandelt haben mochte, rätselte seitdem die westliche Welt. Würde er nach Afrika verbannt werden und den dortigen Warlords unter die Arme greifen? In Belarus die Soldaten des Diktators Alexander Lukaschenko trainieren? Was er mit Putin aushandelte, blieb ein Geheimnis. Russische Beobachter vermuteten, dass Prigoschin über belastende Informationen zum Kreml-Chef persönlich verfügt haben könnte, die den Wagner-Chef schützten. Schließlich spazierte der Mann, den Putin öffentlich als Verräter gebrandmarkt und seinen Kopf gefordert hatte, scheinbar unbekümmert durch Sankt Petersburg und sammelte in der Wagner-Zentrale Gewehre ein. 

Aber Prigoschin hätte es besser wissen müssen. Denn Putin verzeiht Verrat nicht und serviert seine Rache am liebsten kalt – ganz getreu den Leitsätzen von Mafia-Bossen, an denen sich Putin ein Beispiel nimmt. 

Demonstrative Rache und laute Botschaft 

Nun hat Putin seine Rache genommen: laut, bildgewaltig und demonstrativ. Die Botschaft ist eindeutig. Sie richtet sich vor allem an die sogenannten russischen Eliten. Der Kreml wird schon bald behaupten, dass vermeintliche ukrainische Terroristen einen Anschlag auf Prigoschin verübt hätten – ein fadenscheiniger Deckmantel, der niemanden täuschen wird. Und es auch nicht soll. Vor allem all jene nicht, die vielleicht mit dem Gedanken spielen, das zu Ende zu bringen, was Prigoschin nicht vollbringen konnte.

Als Prigoschin am Mittwochabend starb, verlieh Wladimir Putin gerade Medaillen an Soldaten, die sich nun als "Helden Russlands" betiteln dürfen. Die Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des sowjetischen Sieges in der Schlacht um Kursk boten dafür den martialischen Rahmen. "Ich gratuliere allen Bürgern Russlands zu diesem Ereignis", erklärte Putin im Live-TV.

Einst hatte Putin auch Prigoschin den Titel "Held Russlands" verliehen. Aber was der Herr gegeben hat, das kann er auch nehmen. 

Auch die Wagner-Truppe gestorben 

Mit Prigoschin starb auch der Mann, der einst die Wagner-Truppe gründete und dem die geheimen Soldaten des Kremls ihren Namen verdanken: Dmitri Utkin. Sein Name steht ebenfalls auf der von russischen Behörden veröffentlichten Passagierliste. Mit dem Flugzeugabsturz dürfte nun auch die Wagner-Truppe gestorben sein.