Öffentliche Meuterei Putin greift in Machtkampf zwischen Wagner-Söldnern und Armee ein – und Prigoschin verweigert ihm den Befehl

Wladimir Putin hat sich im Konflikt zwischen Jewgeni Prigoschin und Verteidigungsministerium auf die Seite der Armee gestellt 
Wladimir Putin hat sich im Konflikt zwischen Jewgeni Prigoschin und Verteidigungsministerium auf die Seite der Armee gestellt 
© Mikhail Metzel/TASS PUBLICATION / Imago Images
Bis zum 1. Juli muss die Söldnertruppe Wagner einen Vertrag mit dem russischen Verteidigungsministerium abschließen. So der Wille von Wladimir Putin. Doch Jewgeni Prigoschin verweigert ihm den Befehl und geht in eine öffentliche Meuterei. 

Der Machtkampf zwischen dem russischen Verteidigungsministerium und dem Anführer der Wagner-Söldnertruppe Jewgeni Prigoschin strebt unaufhaltsam auf seinen entscheidenden Höhepunkt zu. Dem Ministerium unter Sergej Schoigu ist ein entscheidender Schlag gegen den unbequem gewordenen Söldneranführer gelungen: Bis zum 1. Juli müssen alle Einheiten, die in der Ukraine für Moskau kämpfen, einen Vertrag mit der russischen Armee abschließen. Dies gilt auch für die Wagner-Truppe.

Wladimir Putin ließ daran keinen Zweifel. Bei einem Treffen mit prominenten Propaganda-Bloggern im Kreml ließ er sich von einem der Teilnehmer Fragen bezüglich der "so genannten privaten Söldnertruppen" stellen. "Von Rechts wegen sind sie bei uns sogar verboten. Theoretisch gibt es sie nicht. De facto sind sie aber an der Front anwesend. (...) Wie soll dieses juristische Vakuum beseitigt werden, damit sie wieder in die Rechtsstaatlichkeit zurückkehren?", lieferte Sergej Senin, Propagandist der Allrussischen staatlichen Fernseh- und Rundfunkgesellschaft, die Steilvorlage für Putin. 

"Ich habe sowohl die Abgeordneten der Staatsduma als auch das Verteidigungsministerium gebeten, alles mit der gängigen Praxis und dem Gesetz in Einklang zu bringen", lautete die vorbereitete Antwort des Kreml-Chefs. "Soweit ich weiß, schließt das Verteidigungsministerium derzeit Verträge mit allen ab, die ihren Dienst auf dem Gebiet der militärischen Sonderoperationen fortsetzen wollen." 

Wladimir Putin erteilt unmissverständlichen Befehl 

Als Grund für die plötzliche Notwendigkeit von Verträgen mit dem Verteidigungsministerium schob Putin eine vermeintliche Fürsoge für die Söldner vor: "Nur so können soziale Garantien gewährleistet werden, denn wenn es keinen Vertrag mit dem Staat gibt, wenn es keinen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium gibt, gibt es keine Rechtsgrundlage für soziale Garantien des Staates. Wir müssen dies tun, und zwar so schnell wie möglich." Gemeint sind vor allem staatliche Zahlung im Todesfall oder im Fall einer Verletzung, die der Kreml Soldaten und ihren Hinterbliebenen verspricht.

"Daher gilt es zunächst, mit allen Freiwilligenverbänden Verträge abzuschließen, sonst gibt es keine sozialen Garantien vom Staat", wiederholte Putin zur Sicherheit. "Und zweitens müssen wir einige Gesetzesänderungen vornehmen. Beides wird erledigt", versicherte er. 

Auch wenn Putin die Wagner-Truppe oder Prigoschin kein einziges Mal namentlich erwähnte, kann es keinen Zweifel daran geben, an wen sich seine Worte richteten. In den russischen Staatsmedien sind beide Namen längst ein Tabu. Putin hielt sich also nur an sein eigenes Verbot – konnte sich aber sicher sein, dass die Botschaft bei dem Adressaten ankommt. Und das tat sie auch. 

"Niemand wird diese Verträge abschließen!"

24 Stunden brauchte Jewgeni Prigoschin, um eine Antwort zu finden. Die fiel aber umso radikaler aus: "Als das Vaterland in Not war, als die Hilfe der Privatarmee Wagner notwendig war und wir uns beeilt haben, das Vaterland zu verteidigen, hat der Präsident uns alle sozialen Garantien zugesichert", begann Prigoschin seine Audionachricht, die auf seinem Telegram-Kanal veröffentlicht wurde. 

"Ich bin bereit, die Kämpfer der Privatarmee Wagner zu versorgen. Aber heute bin ich da, und morgen bin ich weg. Daher muss der Staat zweifellos die sozialen Garantien für Veteranen übernehmen, für die Kämpfer, die ihre Aufgabe erfüllt haben", ging der Söldner-Chef auf den von Putin vorgeschobenen Grund zur Notwendigkeit von Verträgen ein. 

"Als wir unseren Einsatz in diesem Krieg angefangen haben, hat niemand davon geredet, dass wir Verträge mit dem Verteidigungsministerium abschließen müssen! Niemand aus der Söldnertruppe Wagner ist dazu bereit, wieder den Weg der Schande zu gehen. Niemand wird diese Verträge abschließen!", schrie schließlich Prigoschin.

Jewgeni Prigoschin verweigert Putin den Befehl 

Was die sozialen Garantien angehe, würden der Präsident und die Duma schon einen Kompromiss finden. Denn diese bekämen meistens nur jene Männer, die bereits tot seien. "Ich habe 20.000 Tote. Müssen sie auch einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium abschließen!?", fragte Prigoschin in Rage. "Heute sollen wir mit dem Verteidigungsministerium einen Vertrag abschließen! Mit wem wird man uns morgen heißen, einen Vertrag abzuschließen?!" Dass die Worte Putins ihm galten, hat Prigoschin also verstanden – auch ohne, dass sein Name fallen musste. 

"Wir werden in keinem Fall einen Vertrag abschließen", machte Prigoschin zum Schluss seinen Standpunkt nochmal deutlich. 

Damit verweigert Prigoschin unmittelbar Putin den Befehl. Bislang galt seine Befehlsverweigerung nur dem Verteidigungsministerium, was an sich bereits einer Meuterei gleichkommt. Rechtlich gesehen ist die bloße Existenz seiner Söldnertruppe tatsächlich illegal. Die russische Gesetzgebung untersagt Söldnertum. Doch Gesetz gelten für Putin nicht – solange sie ihm nicht nützen. 

Öffentliche Meuterei untergräbt Diktatur 

Nun geht aber Prigoschin in eine öffentliche Meuterei gegen Putin selbst. Damit spricht er dem Kreml-Chef seine Macht ab. Das Wort Putins gilt für Prigoschin nicht – das ist die Botschaft, die er an die Öffentlichkeit richtet.

Solch eine Befehlsverweigerung widerspricht dem Konzept der Diktatur und stellt Putin vor ein immenses Problem: Er hat sich nun bereits in den Machtkampf zwischen Armee und Wagner-Truppe eingemischt, er hat sich auf die Seite des Verteidigungsministeriums gestellt und seine Wette platziert. Wenn er es nun nicht schafft, Prigoschin an die Kandare zu nehmen und zum Sputen zu bringen, wird dessen öffentliche Meuterei eine riesige Wunde in den diktatorischen Nimbus Putins reißen. Die russischen Eliten, die nur auf ein Zeichen der Schwäche lauern, werden die offene Flanke nicht unbemerkt lassen. Für Putin ist dies ein erschreckendes Szenario. Denn eine Diktatur hält sich solange am Leben, solange alle die Befehlsgewalt einer Person akzeptieren, solange jede Zuwiderhandlung Konsequenzen nach sich zieht. 

Wladimir Putin vor Dilemma 

Nun bleiben Putin nicht viele Möglichkeiten. Militärische Gewalt gegen Prigoschin wäre die eine. Doch hierfür müssten die russischen Streitkräfte bereit sein, gegen die Wagner-Truppe zu kämpfen. 

Die zweite Möglichkeit ist, den Kopf wieder in den Sand zu stecken und so zu tun, als ob die ganze Causa nicht stattgefunden hat – oder den Kreml gar nicht so sehr juckt. Der Bevölkerung könnte Putin diese Vorgehensweise dank der dauerhaften Propaganda verkaufen, den Eliten jedoch nicht. Die Flanke wäre entblößt. Und die würde abwarten, wann sie am besten ein Messer in diese Flanke stößt.

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