Manchmal liefert die Propaganda-Maschinerie des Kremls so eine plumpe Arbeit ab, dass man sich nur noch eine Frage stellen kann: Hat einer der beteiligten Propagandisten tatsächlich irgendwann geglaubt, sein Werk könnte ihm irgendjemand abkaufen? Diese Frage drängt sich auch auf, wenn man sich die neue Fabel des Nikolai Peskow anhört.
Der 33-Jährige ist der Sohn des Kreml-Sprechers Dmitri Peskow. Bislang hat er sich lediglich durch mehrere Straftaten in Großbritannien hervorgetan, wo er sich Nikolai Choles (der Nachname seines Stiefvaters) nannte und mit Diebstählen die Zeit vertrieb. Nun will er ein Kriegsheld sein – oder das was die Kreml-Propaganda darunter versteht.
Heldentaten unter falschem Namen
In einem Interview mit dem Propaganda-Blatt "Komsomolskaja Prawda" erzählte Peskow Junior nun, er habe ein halbes Jahr für die Söldnerarmee Wagner in der Ukraine gekämpft – dank der tatkräftigen Unterstützung seines Vaters. Als er sich dazu entschlossen habe, am Krieg teilzunehmen, habe er nicht gewusst, wie er das anstellen sollte. "Ich habe ihn gefragt, wie man die private Militärorganisation richtig kontaktiert. Und er hat mir dabei geholfen", erzählte Nikolai. Er sei in den Kampf gezogen, weil er es für seine Pflicht halte. Seine Familie habe seine Entscheidung begrüßt. "Vorwärts", sei ihr Ratschlag gewesen.
In der Ukraine habe er unter einem falschen Namen Krieg geführt, erzählte Nikolai weiter. "Als ich dort war, musste ich meinen Nachnamen ändern. Niemand wusste, wer ich bin." Unter welchem Namen er aber in der Wagner-Truppe gekämpft haben will, verriet Nikolai nicht. Auch nicht, wofür er eine Medaille "Für Mut" bekommen haben soll. "Mein ganzes Team hat eine Heldentat vollbracht. Wir hatten einen interessanten Ausflug. Mehr kann ich nicht sagen", erklärte er nebulös.
Beweise für seinen vermeintlichen Einsatz legte Peskow Junior nicht vor. Stattdessen präsentierte Wladimir Solowjow, das zentrale TV-Gesicht der Kreml-Propaganda, Aufnahmen einer vermummten Gestalt. Der maskierte Mann stellte sich im Gespräch mit dem Chef-Hetzer als ein Artillerist der Wagner-Söldner vor. Er komme aus der russischen Stadt Tscheboksary und sei ohne jegliche militärische Erfahrung an der Front gelandet. Die Aufnahme soll Ende Januar in der ukrainischen Stadt Soledar entstanden sein, behauptet Solowjow. Und sie soll niemand anderen als Nikolai Peskow zeigen.
Chef-Hetzer und Wagner-Anführer verbreiten Märchen
Der erste, der die Fabelgeschichte in den Umlauf brachte, war jedoch Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin. Dmitri Peskow habe ihn im Sommer 2022 persönlich gebeten, seinen Sohn als einen einfachen Artilleristen bei den Söldnern unterzubringen, behauptet Prigoschin. Dies habe er auch getan. Nikolai sei mit falschen Dokumenten und unter einem anderen Namen bei Wagner in den Dienst aufgenommen worden.
Bei der Gelegenheit konnte sich Prigoschin eine weitere Spitze gegen das russische Verteidigungsministerium nicht verkneifen. Mit der Behörde von Sergej Schoigu liefert sich der Wagner-Chef seit Monaten einen verzweifelten Machtkampf – in dem er unterzugehen droht. Da kommt Peskow Junior mit seinem Helden-Märchen gerade recht. Er habe Peskow geraten, seinen Sohn unter keinen Umständen in den Dienst beim Verteidigungsministerium zu schicken, sagt Prigoschin. Dort wäre Nikolai entweder im Stab versauert oder hätte als Kanonenfutter sein Ende gefunden.
Doch auch Prigoschin lieferte außer leeren Behauptungen und gewohnten Ausfällen gegen seinen Erzfeind keine Beweise für einen Aufenthalt von Nikolai an der Front – nicht einmal für einen kurzen Tagesausflug, geschweige denn für ein halbes Jahr im Krieg.
Der Bärendienst der Propaganda
Der so genannte Politologe Sergej Markow dachte da einen Schritt weiter – und beeilte sich, einen vermeintlichen Beweis vorzulegen. Auf seinem Telegram-Kanal veröffentlichte er eine Aufnahme eines jungen Mannes in Uniform. "Dies ist ein Foto von Peskows Sohn bei der Ablegung seines Eides", schrieb er dazu. "Außerdem sind Zeugen aufgetaucht, die zusammen mit Nikolai Peskow bei der Wagner-Truppe gedient haben. Also hat Dmitri Peskow die Wahrheit gesagt. Sein Sohn hat an der Front in den Wagner-Reihen gegen die Faschisten gekämpft", wiederholte Markow das Kreml-Mantra, das er sonst auch in allen Propaganda-Shows zum Besten gibt. "Das wird jetzt bei der russischen Elite populär", prophezeite er.
Pech nur, dass das Bild gar nicht Nikolai Peskow zeigt – sondern ausgerechnet den Sohn des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Der Politiker selbst ist im Bild hinter der rechten Schulter seines Sohnes zu sehen. Inzwischen hat Markow den Post gelöscht, aber das Internet vergisst bekanntlich nie.
Tesla von Nikolai Peskow in Moskau geblitzt
Die Kreml-Propaganda arbeitet also auch im Fall von Nikolai Peskow nach ihrem klassischen Motto: Niemand hat es gesehen, aber alle sollen es glauben. Zu derselben Taktik griff man etwa, als sich Wladimir Putin angeblich mit Sputnik gegen Corona impfen ließ; oder als er die Front besucht haben soll.
Unterdessen verdichten sich die Indizien gegen die Fabel von Peskow Junior. So ist der Tesla, der ihm bis Ende März 2023 gehört hat, am 24. Juli und am 6. November 2022 in Moskau offenbar geblitzt worden. Auf Telegram sind Aufnahmen einer Überwachungskamera veröffentlicht worden, welche die Überschreitung des Tempolimits dokumentieren sollen. Zu dieser Zeit behauptet aber Nikolai, im Krieg gewesen zu sein.
Aktuelle und ehemalige Wagner-Söldner sagen zudem aus, sie hätten Nikolai nicht in der Ukraine gesehen – auch nicht in Soledar, wo Wladimir Solowjow ihn vermummt vor die Kamera bekommen will, meldet der Telegram-Kanal ВЧК-ОГПУ. Bekannte von Nikolai würden zudem erzählen, er sei nirgendwohin für eine längere Zeit verschwunden, und habe nicht vor, seinen Lebensstil zu ändern.
Freiwillig wollte Nikolai Peskow nicht an die Front
Dieselbe Aussage macht Nikolai im vergangenen September selbst. Damals fiel er auf einen Streich der Mitstreiter von Alexej Nawalny herein. Diese klingelten bei ihm durch und gaben sich als Militärkommissare aus, die auf der Suche nach Freiwilligen für den Einsatz im Krieg sind. Unter diesem Deckmantel forderten sie den Sohn des Kreml-Sprechers dazu auf, sich zu einer Inspektion am nächsten Tag um 10 Uhr einzufinden.
"Um 10 Uhr morgens werde ich sicherlich nicht kommen. Wenn Sie wissen, dass ich Herr Peskow bin, dann müssen Sie auch verstehen, wie sehr das falsch ist, dass ich dort sein werde. Ich werde es auf einer anderen Ebene lösen", erklärte Nikolai voller Arroganz.
Die Echtheit des Telefonats leugnet weder er noch sein Vater, der Kreml-Sprecher.
Straftat gestanden
Mit dem Wagner-Märchen wollte Nikolai womöglich nicht nur sich selbst, sondern auch Prigoschin aus der Image-Patsche helfen. Stattdessen bekannten sich beide einer Straftat schuldig: Dokumentenfälschung. In der Theorie steht darauf bis zu einem Jahr Gefängnis. Aber für den Sohn von Dmitri Peskow werden andere Gesetze gelten.