Perlen der Kreml-Propaganda "Ziele ändern sich, aber sie ändern sich nicht" – Putin stolpert von einer Rhetorik-Falle in die nächste

Wladimir Putin will seine Ziele in dem Krieg in der Ukraine niemandem nennen 
Wladimir Putin will seine Ziele in dem Krieg in der Ukraine niemandem nennen 
© Ilya Pitalev/POOL/TASS PUBLICATION/stern / Imago Images
18 bekannte Z-Blogger durften Wladimir Putin ihre Fragen stellen. Obwohl den Kreml-Chef dabei keine Überraschungen erwarteten, leistete er sich pure Widersprüche und ein frappierendes Bekenntnis.  

Sladkow, Kots, Poddubny, Pegow, Filatow, Rudenko, Kiksenkowa und noch einige andere – das sind die Namen der Männer und Frauen, die am Dienstag am ovalen Tisch von Wladimir Putin Platz nehmen durften. Sie alle gehören einer neuen Kaste der russischen Öffentlichkeit an, den sogenannten Kriegskorrespondenten. Doch ihr Handwerk hat nichts mit dem Beruf von Journalisten gemeinsam. Sie alle betreiben nichts anderes als Propaganda und sind auch als Z-Propagandisten bekannt. (Der Buchstabe Z ist Symbol des Angriffskriegs auf die Ukraine geworden.

Die Z-Blogger oder Militär-Blogger, wie sie sich selbst gerne nennen, sprossen mit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine förmlich aus dem Boden. Im Gegensatz zu der aus dem Kreml orchestrierten Propaganda-Maschine der Staatsmedien gehorchen die Z-Blogger aber nicht dem einen Herrn. Sie haben viele, manche von ihnen gar keinen. Was sie eint: Ihr Publikum dürstet nach Blut. Und sie liefern, was verlangt wird. Unzensierte Bilder von der Front sind ihr Markenzeichen. Ihr Motto: Je mehr verstümmelte Leichen zu sehen sind, desto besser. Telegram ist ihr favorisierter Kanal: Hier werden der Flut an Grausamkeiten keine Grenzen auferlegt. 

Die blutigen Bilder füllen die Informationslücke, die zwischen der staatlich kontrollierten Propaganda und dem Kriegsgeschehen entstehen. Dabei wagen die Z-Blogger etwas, was in Russland als Verrat gilt: Kritik an der Regierung. Für ihren Geschmack wird der Krieg nicht blutig genug geführt. 

Fragen von Z-Bloggern statt aus dem "Volk" 

Welchen Stellenwert und Einfluss die Z-Blogger in Russland inzwischen erreicht haben, zeigt nun auch ihr Treffen mit Putin. 16 Männer und zwei Frauen lud der Kreml-Chef zu einer Fragestunde ein. Seine "direkte Linie" lässt er hingegen auch in diesem Jahr ausfallen. Vor dem Krieg konnten die Einwohner Russlands  sich im Rahmen einer TV-Show einmal im Jahr direkt an ihren Präsidenten wenden. Die Fragen waren natürlich sorgfältig im Vorfeld ausgewählt und bestellt worden. Doch nicht einmal dazu kann sich Putin nun entschließen.

Stattdessen beantwortete er jetzt die Fragen der Z-Blogger. Diese waren genauso wohlweislich ausgewählt wie ehemals die Fragen aus dem vermeintlichen Volk. Dennoch lavierte sich Putin von einem rhetorischen Fauxpas in den nächsten.

Wladimir Putin bei dem Treffen mit den bekanntesten Z-Bloggern 
Wladimir Putin bei dem Treffen mit den bekanntesten Z-Bloggern 
© Gavriil Grigorov/Kremlin Pool / Imago Images

Die Logik von Wladimir Putin 

Eine Glanzleistung an Rhetorik legte der Kreml-Chef gleich zu Beginn der Fragerunde hin. Jewgeni Poddubny, Z-Propagandist der Allrussischen staatlichen Fernseh- und Rundfunkgesellschaft, wollte von Putin wissen, ob und wie sich die Kriegsziele verändert haben. Die wörtliche Antwort des russischen Oberbefehlshabers: "Nein, sie ändern sich entsprechend der aktuellen Situation. Aber im Allgemeinen werden wir natürlich nichts ändern, sie sind für uns von grundlegender Natur."

Die Ziele ändern sich also entsprechend der Situation – aber sie ändern sich nicht? Für Putin offensichtlich kein Widerspruch. 

Ähnlich aufschlussreich ging die Fragerunde weiter. Ilja Uschenin vom Sender NTW wollte wissen, warum Putin nicht auf die Verletzung seiner vielbesagten "roten Linien" reagiere. Die Militär-Blogger fordern seit langem radikale Schritte seitens des Kremls, etwa die Anwendung taktischer Nuklearwaffen. "Wir äußern einige Bedenken, wir reden ständig über die Unzulässigkeit dieser Handlungen, aber es gibt keine wirklichen Antworten. Werden wir auch weiter die 'rote Linie' einfach verschieben?", fragte der Z-Blogger. 

"Hören Sie, ist die Durchführung der militärischen Sonderoperation nicht an sich eine Reaktion auf die Verletzung dieser 'Linien'?", konterte Putin mit einer Gegenfrage. Die Tatsache, dass er seit dem Beginn des Kriegs mehrfach neue "rote Linien" ziehen musste, unterschlug er mal lieber.

Krieg, um "Krieg" zu beenden 

Stattdessen lieferte der Kreml-Chef eine eigenartige Erklärung für seinen Krieg. "Sie haben uns dazu gebracht, den Krieg, den sie 2014 begonnen hatten, mit Waffengewalt zu beenden." Sie – das sind bei Putin immer die Staaten des "kollektiven Westens".

"Sie sagen uns: Ihr habt den Krieg begonnen. Putin ist der Aggressor. Nein: Sie sind die Aggressoren, sie haben diesen Krieg begonnen, und wir versuchen, ihn zu stoppen. Aber wir sind dazu gezwungen, dies mit Hilfe der Armee zu tun", klagte Putin sich selbst in die Opferrolle stellend. Auch diese Worte enthalten für Putin offenbar keinen Widerspruch.

Putin befahl also seinen eigenen Ausführungen zufolge Hunderttausenden Soldaten in ein fremdes Land einzumarschieren und lässt es seitdem jeden Tag bombardieren – weil der Westen ihn dazu gebracht hat und er einen Krieg beenden will. 

Die Bekenntnisse eines Oberbefehlshabers 

Aber selbst diejenigen, die an dieser Stelle noch irgendeine Logik in den Worten Putins entdecken können, sollten angesichts des folgenden freimütigen Bekenntnisses sich über die Fähigkeiten des selbsternannten genialen Geo-Strategen wundern. 

"Nun zur Frage, ob eine zusätzliche Mobilisierung erforderlich ist", ging Putin auf die entsprechende Nachfrage ein. "Ich verfolge das nicht besonders. Aber einige unserer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sagen, dass wir dringend eine weitere Million rekrutieren müssen, oder sogar zwei Millionen. Es kommt darauf an, was wir wollen", lautete Putins Antwort dazu. Der Oberbefehlshaber der russischen Armee, der Putin offiziell nach der russischen Verfassung ist, verfolgt also nicht genau, ob er eine oder zwei Millionen seiner Bürger mobilisieren muss, um einen Krieg zu führen, zu dem ihn der feindliche "kollektive Westen" verleitet hat? Ein Schuft, der hier noch Fragen hat. 

Das vollständige Gespräch zwischen Wladimir Putin und den prominentesten Z-Bloggern ist auf der Website des Kremls verfügbar. 

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