Was will Wladimir Putin mit seinem Krieg in der Ukraine erreichen? Eine Frage, die seit einem Jahr nach einer Antwort verlangt, die aber der Oberbefehlshaber im Kreml nicht liefern will – oder kann. Von Monat zu Monat windet sich Putin in Ausflüchten. Als er den Krieg begann, war die "Entnazifizierung" der Ukraine das erklärte Ziel. Ein Jahr später, ist es die "Bewahrung" Russlands, das Putin für Sinn und Zweck des Blutvergießens ausgibt.
Kein Wunder also, dass die Russen inzwischen nicht wissen, wozu der Krieg in der Ukraine geführt wird. Ein Problem, mit dem sich auch Margarita Simonjan konfrontiert sieht.
Die Chefredakteurin des Medienunternehmens Rossija Sewodnja (Russland heute) und des Fernsehsenders RT ist eine der zentralen Figuren der Kreml-Propaganda. Nichts zeugt von ihrer besonderen Stellung in Putins System mehr als ein gelbes Sondertelefon in ihrem Büro – der verschlüsselte Draht direkt in den Kreml.
"Ziele ändern sich mit den Möglichkeiten"
Simonjans oberste Aufgabe ist es, den über diese Leitung vorgegebenen Kurs in die großen Massen zu tragen. Und so startete sie nun den Versuch, das Durcheinander zu erklären. Dahinter stecke eine gezielte Strategie, erzähle Simonjan in einem Monolog in einem ihrer Online-Formate.
"Was sind unsere Ziele?", werde sie jeden Tag von Freunden, Experten und Militärs gefragt. Ihre Antwort: Die Begriffe der Denazifizierung und Demilitarisierung seien nicht per Zufall so kompliziert und verwaschen formuliert, sondern ganz bewusst. All jene, die sich fragen, ob nun Kiew, Berlin oder Lissabon das Ziel sei und nach konkreten Angaben verlangen, müssten sich damit abfinden, dass niemand jemals Ziele dieser Art benenne. "Die Ziele ändern sich mit den Möglichkeiten", postulierte Simonjan, die im Volksmund Margo genannt wird.
Die Logik von Margarita Simonjan
Es gebe ein minimales Ziel. Dies sei die "Befreiung" jener ukrainischen Gebiete, die Putin auf dem Papier für Russisch erklärt hat. "Aber es gibt auch Ziele, die sich ändern können, je nachdem wie die Möglichkeiten aussehen", wiederholte die Propagandistin.
Ihre Schlussfolgerung: Man soll nicht von dem "Oberbefehlshaber und der Regierung verlangen, konkrete Ziele zu benennen, wenn sie sich ändern können." Wenn man nicht wisse, was die Ziele seien und was mit Denazifizierung und Demilitarisierung gemeint sei, solle man schweigen. Schon allein um den "bösen Blick" abzuwenden, rät Simonjan.
Kurz gefasst: Es gibt Ziele. Aber niemand weiß, wie sie aussehen. Auch der Oberbefehlshaber kennt seine Ziele nicht. Was man erreichen wird, das wird auch das Ziel sein.
Ein sehr bequemer Standpunkt – für Putin, für Simonjan und für die gesamte russische Führung. Wozu sich mit konkreten Zielen beschweren, die einem kurze Zeit später auf die Füße fallen könnten?
Orthodoxe Priester springen für Putin ein
Doch der einfache menschliche Geist verlangt nach einfachen Antworten, vor allem wenn man aus dem Schützengraben in den Tod stürmen soll. Während Putin und Simonjan sich hinter schwammigen Floskeln verstecken, sind es immer öfter Männer in den Roben orthodoxer Priester, die den Soldaten an der Front erklären, wofür sie kämpfen sollen. In der vergangenen Woche brachte es ein weiterer Vertreter der Orthodoxie zu einer traurigen Berühmtheit.
"Viele von euch werden morgen nicht aus der Schlacht zurückkehren. Aber in euren Seelen darf es keine Verwirrung und Angst geben", fing der Priester seine denkwürdige Ansprache an, die sich über soziale Netzwerke verbreitete. Vor ihm standen Männer, die am folgenden Tag offenbar in den Kampf geschickt werden sollten. "Ihr seid Soldaten göttlicher Streitkräfte. Ihr Seid die Beschützer der Orthodoxie und unserer großen Heimat Russland", versuchte er ihnen weiszumachen.
Kreml-Propaganda auf Feldzug gegen Satan
Und gegen wen kämpfen die Streiter Gottes? "Auf der anderen Seite der Front sitzen die Diener des Teufels. Sie verstecken sich hinter schönen Worten wie liberale Werte, Gleichheit, Demokratie. Aber sie verherrlichen den Antichristen", benannte der Geistliche den Feind. "Es kann keine Gnade für Satanisten geben! Egal welche Erscheinung sie annehmen, die eines Soldaten, einer Großmutter oder eines Kindes. Sie sind alle dasselbe: die Ausgeburt der Hölle."
Der Kreml-Propaganda reicht die Nato längst nicht mehr als Feind aus. Ebenso wenig wie die erfundenen ukrainischen Nazi-Scharren. Es ist Satan persönlich, den die Propagandisten à la Simonjan in der Ukraine wähnen. Der orthodoxen Kirche kommt dieser Feind traditionell recht.
Putin zum Messias erhoben
Und so predigte auch der Priester im Schlamm an der Front: "Man erzählt euch, dass zwischen Russland und der Nato ein Krieg herrscht. Nein! Dies hier ist ein Kampf zwischen Gut und Böse. Die Zeit des Armageddon ist gekommen! In diesem Kampf befindet ihr euch auf der richtigen Seite. Gott wird euch nicht vergessen, denn Messias selbst führt euch in den Kampf. Die Streitkräfte Putins sind die Streitkräfte Gottes!"
"Gott ist mit uns! Russland steht hinter uns. Keinen Schritt zurück. Der Sieg wird unser sein. Amen!", lautete das Ende der unseligen Predigt. Als ob der unverzeihlichen Sünde der Blasphemie noch nicht genug gefrönt worden wäre.
Aber wozu dieses gotteslästerliches Theater und Simonjans abstruse Geheimnistuerei? Weil das wahre und einzige Ziel des Kriegs in der Ukraine schwer zu verkaufen ist: Putins Verbleib an der Macht.
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