Zarskoje Selo heißt eine der schönsten Zaren-Residenzen Russlands – zu Deutsch "Zaren-Dorf". Hier residierte einst Katharina die Große, Zar Alexander I. oder der letzte russische Imperator Nikolaus II.. Der Katharinen-Palast ist das Herz der Anlage unweit von Sankt Petersburg. Von hier Verschwand im Zweiten Weltkrieg das berüchtigte Bernsteinzimmer. Der Prachtbau ist umgeben von Parkanlagen, Landschaftsgärten, Pavillons, Ausflugshäuschen, Ställen, Küchen und vielem mehr. In unmittelbarer Nähe des Katharinen-Palasts steht der Alexander-Palast. Alle Angehörigen der Zaren-Familie sollten schließlich angemessen untergebracht werden, wenn sie mal hier weilten.
Eine Idee, die auch Wladimir Putin gefiel. Der Kreml-Chef sieht sich selbst gern in einer Reihe mit den großen russischen Zaren. Was ihm gelungen sei, habe einst nicht einmal Peter der Große geschafft, verkündete er unlängst. Warum also es nicht den Zaren gleichtun und die Familie um sich versammeln – und mit angemessenen Unterkünften versehen, versteht sich.
Das investigative russische Medium "Projekt" hat nun herausgefunden, dass Putin seine liebste Residenz in Nowo-Ogarjowo unweit von Moskau tatsächlich in eine Art Zaren-Dorf verwandelt hat. Dies geht einerseits aus offiziellen Dokumenten russischer Behörden hervor, andererseits aus dem Email-Verkehr von Kirill Schamalow, dem ehemaligen Schwiegersohn des Kreml-Chefs, der sich mehrere Jahre lang als Mann von Katherina Tichonowa betrachten durfte – einer der Töchter aus Putins einziger offizieller Ehe.
Email-Korrespondenz samt Personalausweis
Die persönlichen Email-Daten von Schamalow wurden bereits im Jahr 2019 bei einem großen Passwort-Leak entdeckt. Schließlich wurden sie den russischen Medien "Meduza" und "Important Stories" zugespielt und landeten dann bei den Journalisten von "Projekt".
Die geleakten Dokumente enthalten Gespräche zwischen Schamalow und Putins Tochter Tichonowa, Korrespondenzen mit Anwälten, Hochzeitsplanern, Oligarchen-Freunden und Angestellten, Rechnungen und Bestellungen. Sogar ein Scan des Personalausweises von Schamalow ist so in die Hände von Journalisten gekommen.
Familientradition der Putins
Aus diesen Dokumenten geht hervor, dass zwischen Schamalow und Tichonowa nie eine offizielle Ehe bestanden hat. Sie wurden nur kirchlich getraut. Das belegt der geleakte Pass von Schamalow, wo der in Russland übliche Stempel für eine Eheschließung fehlt. Auch mehrere notariell beglaubigte Dokumente, in denen Schamalow angibt, ledig zu sein, bestätigen das. Hinzu kommt der Ablauf der Hochzeitszeremonie. Den hatte der Zeremonienmeister an Schamalow per Email übersandt – und auch der wurde geleakt.
Der Verzicht auf die gesetzliche Eheschließung ist in der Familie Putins nichts Ungewöhnliches – obwohl Putin selbst nie müde wird, die traditionellen orthodoxen Familienwerte zu preisen, zu denen auch eine Eheschließung vor dem Gesetz gehört. Er selbst hält seinen Familienstand geheim. Seine älteste Tochter Maria Woronzowa lebt mit ihrem Geliebten Jorrit Faassen allem Anschein nach ohne einen Trauschein. Und auch seine jüngere Tochter Tichonowa ist also keine Ausnahme. Für sie setzte sich die orthodoxe Kirche offenbar sogar über ein eigenes Verbot hinweg. Eine kirchliche Trauung ist für ein Paar, das seine Ehe nicht beim Standesamt registriert hat, untersagt. Aber für die Familie der Putins gelten in Russland keine Gesetze.
Villen als Mitgift
Warum haben aber die Putins eine solche Abneigung gegenüber der gesetzlichen Eheschließung? Der Grund ist prosaisch: Geld. Das Fehlen von Trauscheinen macht das Verstecken von Eigentum zum Kinderspiel. Wie einfach das System gestrickt ist, zeigt nun das Beispiel von Schamalow und Tichonowa.
2006 ließ Putin über Offshore-Firmen mehrere Grundstücke in der Nähe seiner liebsten offiziellen Residenz in Nowo-Ogarjowo aufkaufen. Zwei Anwesen wurden von einem Unternehmen mit dem Namen Ermira Consultants mit Sitz auf Zypern erworben. Frühere Recherchen haben die Firma Ermira bereits als persönliche "Geldbörse" des russischen Staatsoberhaupts identifiziert. Diese zwei Objekte bekam Maria Woronzowa quasi als Mitgift in ihre wilde Ehe mit Jorrit Faassen mit.
Zwei weitere Villen gingen im Februar 2013, zwei Wochen vor der geheimen kirchlichen Trauung, in den Besitz von Kirill Schamalow über, wie nun die Recherchen von "Projekt" zeigen. In den Dokumenten taucht Tichonowa selbst kein einziges Mal auf. Dass Schamalow aber nur den Platzhalter spielen darf, wird später deutlich.
Liebesnest von Katherina Tichonowa
Zunächst richten die Turteltauben aber ihr neues Liebesnest ein. In der gehackten Korrespondenz diskutiert das Paar ständig über die Einrichtung des Anwesens, das auf der Karte mit dem lila Häuschen markiert ist. Spätestens seit 2012, als das Anwesen sich noch im Besitz einer panamaischen Offshore-Firma befand, betrachteten die beiden es als ihr eigenes.
Aus den Emails, die "Projekt" vorliegen, geht hervor, wie sie das vierstöckige Haus mit einer Fläche von mehr als 1800 Quadratmetern und einem Grundstück von 60 Hektar umbauten und einrichteten. Neun Millionen Euro plante das Paar dafür ein, unter anderem für einen handgefertigten vergoldeten Kronleuchter, der für das Esszimmer bestellt wurde. Kosten: 72.000 Euro.
Für die Terrassenmöbel bezahlte das Paar den geleakten Nachrichten zufolge rund 53.000 Euro. Eine Bartheke aus Marmor und Perlmutt für 120.000 Euro sollte einen der vielen Räume schmücken.
Eine Liste mit allen Räumlichkeiten, die Tichonowa an ihren Bräutigam schickte, verrät womit sich die beiden offenbar die Zeit vertrieben. Aufgelistet sind unter anderem ein separater Akrobatik-Saal und eine Kunstwerkstatt, in der eine Töpferscheibe und ein Webstuhl aufgestellt werden sollten.
Wladimir Putin stattet auch Ex-Frau mit Villa aus
Während bei diesem Objekt lange bekannt gewesen war, wer es bewohnt, gab das zweite Anwesen, das im Februar 2013 in den Besitz von Schamalow überging, Rätsel auf. Doch die geleakte Korrespondenz enthüllt nun, für wen die Villa, die sich nur 150 Meter von dem Liebesnest der beiden entfernt befindet, bestimmt ist: Ljudmila Otscheretnaja, Ex-Frau von Wladimir Putin und Mutter seiner beiden Töchter Katherina und Maria.
Wladimir Putin und Ljudmila gaben ihre die Scheidung im Juni 2013 bekannt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Ljudmila bereits einen neuen Lebenspartner: Artur Otscheretnyj.
Im Dezember 2013 schickte Schamalow einen Brief an den neuen Ehemann von Ljudmila – mit einer Vollmacht, die ihm fast das vollständige Recht einräumte, über das zweite Anwesen zu verfügen: ein vierstöckiges Häuschen mit einer Fläche von 1300 Quadratmetern. Auf der Karte oben ist das Anwesen in Türkis markiert.
Hier will Wladimir Putin bis zu seinem Tod leben
Zwei Villen für seine älteste Tochter Maria, ein Anwesen für seine jüngere Tochter Katherina und ein Anwesen für seine Ex-Frau Ljudmila – Putin hat in Nowo Ogarjowo seine Familie um sich geschart. Ganz so wie es die russischen Zaren Jahrhunderte vor ihm getan haben. Warum in Nowo-Ogarjowo? Die präsidiale Residenz unweit von Moskau hat Putin direkt nach seiner Machtübernahme zu seinem Wohnsitz erkoren – und sie soll es bis zu seinem Tod bleiben.
Das russische Gesetz sieht Garantien für Ex-Präsidenten vor und erlaubt den Inhabern dieses Amtes, einen der offiziellen Wohnsitze zur lebenslangen Nutzung auszuwählen. Im Jahr 2008 entschied sich Putin für Nowo-Ogarjowo. Daher wurde diese Residenz mit allem ausgestattet, was der Kreml-Herr schätzt: ein Schwimmbad, eine Banja, alle Arten von Bädern und Saunen, ein Fitnessstudio. 2015 wurde sogar eine geheime Eisenbahnlinie zur Residenz verlegt.
In Nowo-Ogarjowo wähnte sich Putin und seine Familienangehörige unter dem Schirm von Luftabwehrsystemen in Sicherheit – bis zum vergangenen Dienstag. Am 30. Mai attackierten mehrere Dutzend Drohnen Moskau und Umgebung. Mindestens eine der Drohnen wurde nur vier Kilometer von der Präsidentenresidenz entfernt abgeschossen. In diesem Moment dürfte Schamalow wohl zum ersten Mal froh gewesen sein, sein Plätzchen in Putins Zaren-Dorf eingebüßt zu haben.
Schamalow verliert Schwiegersohn-Status und Anwesen
Denn 2016 verlor Schamalow den Status des Schwiegersohns des Kreml-Chefs. Sechs Monate später verlor er fast alle seiner Anteile am größten russischen Öl- und Gasunternehmen Sibur, die er nach der kirchlichen Trauung mit Tichonowa bekommen hatte (20,8 Prozent). Nach den konservativsten Schätzungen könnte dieser Anteil etwa zwei Milliarden Dollar wert sein. Nach der Trennung von Putins Tochter gingen Schamalows Anteile wieder größtenteils an Freunde des Diktators im Kreml zurück – genauso wie die Villen, die Schamalow für einige Jahre auf dem Papier zu den eigenen zählen durfte.
Im Jahr 2019 begann eine Operation zur Beschlagnahmung der Anwesen. Die Villen wurden Gennadi Timtschenko und Arkadij Rotenberg anvertraut – zwei der engsten Vertrauten Putins, die für ihn seine Gelder verwalten, verschieben und investieren. Dokumente des Föderalen Dienstes für staatliche Registrierung von Immobilien zeigen auch, was für eine zentrale Rolle die Schweiz in diesem Geldspiel einnimmt: Am 2. Oktober 2019 erhielt das Unternehmen Coral, eine von Rotenbergs Schöpfungen, 2,37 Milliarden Rubel auf ein Schweizer Bankkonto – überwiesen von einem Konto Timstschenkos ebenfalls in einer Schweizer Bank.
Rotenberg überwies seinerseits fast die gesamte Summe – 2,35 Milliarden Rubel – im Rahmen eines Immobilienkauf- und -verkaufsvertrags sofort auf Schamalows persönliches Konto. Auch dies geht aus den Dokumenten der russischen Behörde hervor. Rotenberg kaufte dem nun ehemaligen Schwiegersohn Putins mit der Summe nicht nur die zwei Anwesen in unmittelbarer Nähe der präsidialen Residenz in Nowo-Ogarjowo ab, sondern noch ein großes Grundstück westlich davon. Hier wollte Schamalow und Tichonowa sich einen neuen Palast erbauen – Dmitri Medwedew und Timtschenko wären ihre unmittelbaren Nachbarn gewesen. Doch daraus wird für Schamalow nichts mehr.
2,35 Milliarden Rubel – umgerechnet etwa 27 Millionen Euro – sind zwar nur ein Drittel des Marktwerts der drei Objekte, aber für drei Jahre wilder Ehe eine überraschend hohe Abfindungssumme. Schamalow ist aber schließlich nicht irgendwer. Er ist der Sohn eines weiteren Getreuen Putins, des Oligarchen Nikolai Schamalow. Es bleibt also alles in der Familie.
Von der "Motte" zu Putin, dem Ewigen – der blutige Weg des Kreml-Chefs in Bildern
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