Der Sicherheitsexperte Christian Mölling hat vor überzogenen Erwartungen an die ukrainische Offensive gegen die russischen Besatzer gewarnt. Mölling sagte am Dienstag im stern-Podcast "Ukraine – die Lage", Krieg sei kein Hollywood-Film, bei dem man gespannt mitfiebere und dann mit einem guten Gefühl nach Hause gehe. "Hier gibt es kein Drehbuch", sagte der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Dieser Krieg funktioniert nicht nach den Regeln der westlichen Mediengesellschaft."
Mölling betonte: "Am Ende ist nicht entscheidend, was wir jetzt gerade sehen, sondern, wer den längeren Atem hat." Er verwies darauf, dass die Ukrainer viele Ziele weit hinter der Front angriffen. So würden etwa Umschlagplätze für Munition zerstört. Derartige Angriffe führten nicht unmittelbar zu Geländegewinnen, könnten aber die Voraussetzungen dafür schaffen, später Erfolge zu erzielen – und zwar "möglicherweise mit weniger Verlusten, als wenn man jetzt sinnlos gegen eine Front anrennt".
Mölling erläuterte, dass die Ukrainer die eigenen Soldaten möglichst nicht in Gefechte mit hohen Verlusten treiben wollten. Allerdings sei in den vergangenen zwei Wochen auch deutlich geworden, dass die ukrainischen Truppen insbesondere bei der Luftabwehr Defizite hätten. Dadurch seien die Einheiten bei ihren Vorstößen insbesondere gegen Angriffe von russischen Hubschraubern nicht gut geschützt seien, was das Risiko erhöhe. "Wir sehen, dass das ein offensichtliches Problem ist", sagte er.
Ukraine kann kein Kriegsgeschehen inszenieren
Trotz der relativ geringen Geländegewinne der Ukrainer zeigte sich der Experte insgesamt zuversichtlich: "Ich würde das nicht zu negativ sehen", sagte er. Letztlich werde es darauf ankommen, wer mehr Reserven mobilisieren und an die Front bringen könne.
Mölling räumte ein, dass beide Kriegsparteien steuerten, was an Informationen nach außen dringe. Im Gegensatz zu den Russen könnten die Ukrainer dabei jedoch nicht einfach "eine eigene Wirklichkeit erfinden", da sie ihre Kommunikation mit den westlichen Partnern abstimmen müssten. Dennoch dienten auch die von ukrainischer Seite aus dem Kampfgebiet verbreiteten Videoaufnahmen nicht einer vollständigen Information, sondern den jeweiligen Zwecken und Interessen. Derartige Bilder lieferten eine Art "Froschperspektive" von einzelnen Stellungen und Ereignissen. Dazu gebe es Informationen über das Gesamtgeschehen, wie sie etwa Satellitenbilder lieferten. Aber beides füge sich nicht zu einem vollständigen Bild.