Anzeige
Anzeige

Faktencheck des stern Was wirklich im UN-Migrationspakt steht – und was reine Propaganda ist

UN-Migrationspakt: was steht drin – und was ist reine Propaganda?
Menschen auf dem Weg in ein anderes Land. Der UN-Pakt soll unter anderem die Ursachen von Wirtschaftsmigration bekämpfen.
© Pedro Pardo/AFP
Um den "UN-Migrationspakt" tobt eine Propagandaschlacht. Mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung nutzt den Populisten. Fragen und Antworten zum Thema – ein Faktencheck des stern.
Von Joachim Rienhardt

Der sperrige Begriff UN-Migrationspakt hat eine schnelle und steile Karriere gemacht. Bis vor Kurzem war er der großen Mehrzahl der Deutschen unbekannt. Jetzt steht er auf der politischen Agenda weit oben und wird bald in unseren Sprachgebrauch eingehen wie UN-Klimagipfel oder UN-Sicherheitsrat. Denn bei dem UN-Migrationspakt geht es um nichts Geringeres als den Versuch, Konzepte für den Umgang mit einem weltweiten Phänomen zu entwickeln: den internationalen Migrationsbewegungen.

Dahinter steckt die Erkenntnis, dass kein Staat der Welt dieses Problem allein bewältigen kann. Das Papier formuliert 23 Ziele auf 34 Seiten, ein schwer verständlicher Text, der nun öffentlich heiß diskutiert wird. Und bei dem Rechtspopulisten bewusst Inhalt und Wirkung verzerren. Es ist an der Zeit, die Fakten zu klären.

Wie kam es zum UN-Migrationspakt?

Die Idee ist im September vor zwei Jahren bei einer Debatte der UN-Generalversammlung entstanden, als der US-Präsident noch Barack Obama hieß. Damals wurde die "New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten" formuliert. Die Idee: Flucht und Migration sollten von der Weltgemeinschaft gemeinsam behandelt werden. Nach Berechnungen der UN gelten derzeit 260 Millionen Menschen als Migranten. Die Zahl ist um ein Vielfaches höher als noch vor 15 Jahren. Nationale Alleingänge können keine Lösung sein. Es bedarf internationaler Kooperation.

Nach "Merkel muss weg" nun gegen den "UN-Migrationspakt“: eine Pegida-Kundgebung in Dresden
Nach "Merkel muss weg" nun gegen den "UN-Migrationspakt“: eine Pegida-Kundgebung in Dresden
© Tim Lüddemann/Action Press

Warum hat es so lange gedauert, bis man bei uns nun darüber spricht?

Man hat in den Büros der UN und diverser Außenministerien im Stillen daran gefeilt und nicht so offensiv kommuniziert, wie das nötig gewesen wäre – wohl auch aus Furcht vor Gegenwind und mühsamen Debatten. Nun ist daraus ein Kommunikationsdesaster geworden. Rechtspopulisten machen seit Monaten Stimmung im Netz gegen den Pakt und warnen vor "Abschaffung der nationalen Identität". Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, das Papier schon viel früher im Bundestag zu behandeln, um so auch eine gesellschaftliche Diskussion anzustoßen. Stattdessen konnten Zweifel gesät werden: Wird uns da etwas untergeschoben, was wir gar nicht wollen?

Ist diese Sorge berechtigt?

Nein, der Pakt soll die Ursachen von Wirtschaftsmigration und die Ausbeutung legaler Einwanderer bekämpfen. Es geht darum, die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern zu verbessern, aber auch die Integration von Einwanderern zu fördern. Fluchtursachen sollen durch Entwicklungshilfe in Afrika und Asien unterbunden und Schleuserkriminalität bekämpft werden. Und über die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern sollte neu verhandelt werden.

Warum gab es dann bei der Bundesregierung offenbar Angst vor einer Debatte?

Diplomatie scheut durchaus die Öffentlichkeit. Jeder Staat hat seine Anliegen und egoistischen Belange in den Verhandlungen geschickt eingebracht – egal, ob Herkunftsland der Einwanderer, Durchgangsland oder die Staaten, in die viele Menschen einwandern wollen. In dem Pakt geht es darum, diese oft gegensätzlichen Interessen auszugleichen. Hinter all den blumigen Formulierungen stehen die harten Interessen jedes einzelnen UN-Mitglieds. Aus Problemen werden "Herausforderungen". Aus Gegensätzen wird "gewinnbringende Zusammenarbeit". Diese Worthülsen der Diplomaten liefern Verschwörungstheoretikern Munition.

Zum Beispiel?

In der Präambel des Pakts werden Migranten als "Quelle des Wohlstands und der Innovation" bezeichnet. Das macht aus dem Papier in der derzeitigen Stimmung geeignetes Futter für Hetzer – obwohl wissenschaftliche Erhebungen die These vom wirtschaftlichen Nutzen der Einwanderung sogar untermauern.

Was ist dran am Vorwurf der AfD, der Pakt sei eine Einladung an Flüchtlinge, unser Sozialsystem zu unterwandern?

Das ist so falsch wie die meisten Behauptungen, die Kritiker gegen den Pakt vorbringen. Die AfD lässt mit Desinformation ein vollkommen falsches Bild entstehen und schürt Angst. Für sie ist es ein Teufelspakt. Dabei ist es eine Tatsache, dass es bislang keine internationale Rahmenvereinbarung für den Umgang mit Einwanderern gibt, ob legal oder illegal. Und genau dies versucht der UN-Migrationspakt.

Es gibt doch die Genfer Flüchtlingskonvention. Reicht die nicht?

Nein, sie greift nur für Flüchtlinge. In dem UN-Migrationspakt geht es darum, wie man Verantwortung für die Migrationsbewegung und auch deren Lasten teilen sollte. Das betrifft nicht nur Deutschland. Sondern die ganze Welt. Ein Thema wird beispielsweise auch sein, dass reiche Länder wie Saudi-Arabien, die bislang sehr wenige Migranten aufnehmen, sich der Verantwortung stellen müssen. Ebenso Thema sind Rücknahmeabkommen, die nur funktionieren, wenn etwa auch Länder in Westafrika kooperieren.

Das müsste doch selbst der AfD gefallen?

Das wird vollkommen ausgeblendet. Ziel hier allein ist, Panik zu verbreiten. Auf der AfD-Webseite heißt es wörtlich: "Der Migrationspakt ist ein verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge". Parteichef Gauland spricht von "Millionen Menschen", die mit dem Pakt angestiftet würden, "zu uns zu kommen". Die Souveränität der einzelnen Staaten sei gefährdet.

Ist da was dran?

Nichts. Das UN-Dokument, offiziell "Globaler Pakt für sichere, geregelte und reguläre Migration" genannt, enthält Passagen, die illegal eingereisten Migranten das Erreichen eines legalen Status im Land erleichtern soll. Zum Beispiel durch Vergabe von Aufenthaltstiteln. Regierungen werden aber weiterhin ihre Entscheidungen selbst treffen. In Deutschland ist die Duldung zunächst abgelehnter Asylbewerber längst gängige Praxis. Kritiker des Paktes bemängeln, dass in dem UN-Papier vor allem die Rechte von Migranten diskutiert werden, kaum deren Pflichten.

Es heißt in dem Vertrag, Staaten sollen "objektive und hochwertige Berichterstattung" darüber fördern. Wie ist das zu verstehen?

Das ist eine der äußerst unglücklichen Passagen. Auch die Rechtspopulisten, die bei Facebook, Twitter und Instagram Fake News verbreiten, wittern nun, dass Zensur geplant sei. Durch diese Passage sollten alle angehalten werden, möglichst faktenreich und ausführlich über den Pakt zu berichten. Doch genau dafür hat die Bundesregierung so ziemlich alles versäumt: Pressekonferenzen, Podiumsdiskussionen, Veranstaltungen. Es ist nun geradezu grotesk, wenn Außenminister Maas verkündet, die Pressefreiheit in Deutschland sei durch den Pakt nicht in Gefahr, sondern gelte "ohne Wenn und Aber".

Als wohl einflussreichstes UN-Mitglied haben zunächst die USA angekündigt, nicht zu unterschreiben. Dann folgten Australien, Ungarn und zuletzt Österreich. Folgt bald Deutschland?

Ziemlich sicher nicht, auch wenn inzwischen Länder wie Dänemark, Tschechien und Polen ebenfalls drohen, sich zurückzuziehen. Dabei waren auch sie an der Ausarbeitung des Papiers beteiligt – wie übrigens auch Österreich. Sehr wohl besorgniserregend ist, wie stark die Rechtspopulisten nun mit ihren Verschwörungsszenarien den Ton der Debatte bestimmen. Und auch konservative Flügel der Union wollen den Pakt auf die Tagesordnung des CDU-Parteitags Anfang Dezember setzen.

Was bedeutet es, dass gerade die USA ausgeschert sind?

Für ein solches Vorhaben ist der Boykott der USA eine Katastrophe. Das hat Signalwirkung für viele kleinere Länder. Es mindert nicht nur die Erfolgschancen des Paktes. Es schwächt auch die UN insgesamt. Und es zeigt: Es gibt keinen Konsens unter den wichtigsten Mitgliedsstaaten. Australien hat sich zum Beispiel deswegen zurückgezogen, weil die Einrichtung von Aufnahmelagern mit Freiheitsbeschränkungen auf Inseln außerhalb des Landes künftig schwieriger werden könnte.

Die österreichische Außenministerin soll zunächst Gegner beschwichtigt haben, dass der Pakt nur eine Willensbekundung sei und kein Abkommen ...

Es ist kein gutes Argument für einen Pakt, wenn man den Eindruck vermittelt, er sei eigentlich nichts wert, weil er rechtlich nicht bindend sei. In Österreich regt sich inzwischen Protest gegen die Entscheidung, den Pakt nicht mitzutragen. Liberale befürchten, das Land manövriere sich ins Abseits. Und es war ja gerade Österreich, das sich in Hochzeiten der Flüchtlingskrise alleingelassen fühlte und auf internationale Zusammenarbeit pochte.

Gegner warnen, dass aus dem Pakt ein Gewohnheitsrecht werden würde und er damit sehr wohl Verbindlichkeit habe.

Es gibt auch hierzulande Völkerrechtler, die nicht ausschließen, dass der Pakt eine rechtliche Grauzone schaffe. Das könne bei Migrationswilligen falsche Erwartungen wecken und bei Gerichtsentscheidungen eine Rolle spielen, weil Anwälte sich etwa bei Abschiebungsverhandlungen darauf berufen könnten. Aber schon allein der Rückzug der USA wird dafür sorgen, dass kein sogenanntes Völkergewohnheitsrecht greifen wird.

Was hat der Pakt für einen Sinn, wenn er nicht bindend ist?

Es setzt zumindest Normen für den Umgang mit Einwanderern, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Bei den unverbindlichen Verpflichtungen handelt es sich um die Garantie der allgemeinen Menschenrechte. Sollten die Ziele des Paktes auch nur in Teilen umgesetzt werden, könnte es für Migranten deutliche Verbesserungen geben, auch wenn es nicht um ein pauschales "Menschenrecht auf Migration" geht, wie manche nun argumentieren. In dem Pakt heißt es ausdrücklich, dass irreguläre Einreise verhindert werden soll. Es geht um die Menschenrechte von Migranten. So schreibt das Abkommen zum Beispiel vor, ethische Mindeststandards bei der Beschäftigung von Einwanderern einzuhalten. Auch wenn all dies nicht verbindlich ist: Die Staaten sollen regelmäßig schriftlich Rechenschaft über ihre Migrationspolitik ablegen.

Was bringt das?

Noch sind all diese Vorschriften zahnlos. Am Ende müssen die in dem Abkommen formulierten Ziele von den jeweiligen Parlamenten der Länder getragen werden, obwohl die an der Ausarbeitung so gut wie nicht beteiligt waren. Mit solchen Papieren ist es in etwa so wie mit Wahlprogrammen von Parteien: An der Umsetzung hapert es gewaltig. Auch die Ziele des Klimaschutzabkommens werden regelmäßig unterwandert, obwohl dieser Vertrag völkerrechtlich verbindlich ist. Was der UN-Migrationspakt wert ist, wird man frühestens in fünf oder zehn Jahren sehen.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel