stern-Auslandskorrespondent Andreas Albes Warum ich Syriza wählen würde

Vetternwirtschaft, Korruption: Die griechische Krise ist nicht nur eine Schuldenkrise. Die Linkspartei Syriza mag der Schrecken der Ökonomen sein, aber auch die einzige Hoffnung auf einen Neuanfang.

Vor zwei Jahren stand ich mit Syriza-Chef Alexis Tsipras auf dem Balkon seines Büros im siebten Stock. Die Sonne ging unter, die Akropolis strahlte in goldenem Licht, und Tsipras sagte: "Sehen Sie, das ist der Unterschied. Ich blicke jeden Tag auf tausende Jahre Demokratiegeschichte und Angela Merkel nur auf den Reichstag." Was für ein Gernegroß, dachte ich.

Heute, wenn ich Grieche wäre, würde ich Tsipras wählen. Nicht, weil ich glaube, dass er der perfekte Premierminister wäre. Oder Syriza eine regierungsfähige Partei. Aber nach mehr als einem Jahr, das ich in Athen gelebt habe, weiß ich, dass dieses Land einen Neuanfang braucht. Je schneller, desto besser. Außer Tsipras sehe ich niemanden, der das schaffen kann. Und vor allem: will.

Ohne Superreiche macht niemand Karriere

Griechenland wird beherrscht von Vetternwirtschaft und Korruption. Jahrzehntelang haben sich die konservative Nea Demokratia und die linke Pasok an der Macht abgewechselt. In ihren dubiosen Regierungsmethoden schenkten sich beide Parteien nichts. Sie kauften Wählerstimmen, indem sie ihren Anhängern Beamtenposten zuschanzten. Sie brachten die Medien auf ihre Seite, indem sie Staatsaufträge an entsprechende Unternehmer vergaben. Ohne einen millionenschweren Tycoon im Hintergrund, der Wahlkampagnen finanzierte, konnte kein Politiker Karriere machen. Die Abhängigkeit gipfelte darin, dass mache Premierminister ihre Kabinettslisten den Oligarchen zur Absegnung vorlegten.

An dieser kranken Struktur hat sich bis heute nichts geändert. Während der Regierungszeit von Antonis Samaras wurden Minister bestochen, ohne dass es zu juristischen Konsequenzen kam. Der Chef seiner Privatisierungsbehörde flog im Privatjet eines Ölmagnaten in den Urlaub. Von der berühmten "Lagarde-Liste" (auf ihr stehen die Namen von mehr als 2000 Griechen mit Konten in der Schweiz) wurden keine 30 Fälle abgearbeitet. Denn statt die Steuerfahndung zu stärken, ließ Samaras sie entmachten. Und Griechenlands Reeder - die müssen bis heute keine Steuern zahlen.

Syriza hat den Versuch verdient

Opfer brachten bislang nur die anderen. Die Angestellten, die Beamten, die kleinen selbständigen Unternehmer. Viele verloren ihre Jobs oder können die neuen Abgaben und Steuern kaum mehr bezahlen. Griechenland entwickelt sich zu einer Gesellschaft, in der eine kleine Minderheit immer noch hemmungslos den Staat ausnimmt und die breite Masse mit dem Überlebenskampf am Existenzminimum beschäftigt ist. Derweil verlassen die jungen, talentierten und qualifizierten Menschen das Land, sobald sich die Möglichkeit bietet.

Es wird Zeit, dass Griechenlands verkrustetes System aufgebrochen wird. Dass endlich mal jemand die Fenster aufmacht und den Staat gründlich durchlüftet. Tsipras hat das Selbstvertrauen dazu. Er hat seine linksradikale Partei in den vergangenen Jahren modernisiert und mit Experten verstärkt, die realistisch genug sind, um zu wissen, dass Griechenland ohne den Euro verloren wäre. Vor allem aber versichern Tsipras und seine Mannschaft glaubwürdig, dass sie Vetternwirtschaft und Korruption bekämpfen wollen.

Syriza hat den Versuch verdient, das Land zu retten.

Tsipras zwischen Pragmatismus und linken Idealen

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Andreas Albes