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US-Vizepräsident Warum Mike Pence an Trump festhält – oder es zumindest so aussehen soll

Der scheidende US-Vizepräsident Mike Pence
Der scheidende US-Vizepräsident Mike Pence
© Patrick Semansky/ / Picture Alliance
Donald Trump hat seinen Vizepräsidenten einst als seinen "Fels in der Brandung" bezeichnet, nun brandmarkt er ihn als Sündenbock. Trotzdem: Mike Pence hält zu ihm. Oder?

Das Weiße Haus hat unter der Ägide von Donald Trump viele Metamorphosen erlebt. Die Regierungsmitglieder und einst engen Vertrauten des Präsidenten, die bei ihm in Ungnade gefallen sind und geschasst wurden, lassen sich schon lange nicht mehr an einer Hand abzählen. Nicht selten haben sie sich im Anschluss verbal ausgebreitet, ob in Medien oder zwischen zwei Buchdeckeln, und verstörende Begebenheiten aus dessen Amtszeit ausgepackt.

Nur auf einen konnte sich der Hausherr in der Pennsylvania Avenue 1600 immer verlassen: Mike Pence, seinen Vizepräsidenten und "Fels in der Brandung", wie ihn Trump einst liebevoll genannt hat. Pence hat noch jeden politischen Stunt seines Vorgesetzten gerechtfertigt und verteidigt, ihm in der von Affären und Skandalen reichen Amtszeit in Nibelungentreue zur Seite gestanden. 

Dann kam der Wendepunkt.

Datiert werden muss dieser auf vergangenen Donnerstag, etwa 3.40 Uhr. Nachdem ein wütender Mob, aufgeheizt vom Präsidenten, das Kapitol gestürmt hatte, stand Pence mit erloschener Miene am Pult im Sitzungssaal des Repräsentantenhauses. Er bestätigte formal, was Trump bis zuletzt versucht hatte zu verhindern: Joe Biden wurde zum 46. Präsident der Vereinigten Staaten gewählt, so haben die Bürgerinnen und Bürger entschieden. 

Es ist das offizielle Ende von Trumps Amtszeit. Und es ist das Ende von Pences bedingungsloser Loyalität. 

"Nach allem, was ich für ihn getan habe..."

"Wenn Mike Pence das Richtige tut, werden wir gewinnen", hatte Trump seinen Anhängern vor der Sitzung zugerufen – und meinte damit, dass Pence in seiner Rolle als Senatspräsident eingreifen sollte, um das Ergebnis doch noch zu kippen. Pence hatte Trumps Traum vom Staatsstreich schon zuvor eine Absage erteilt.

Das machte das Chaos in Washington nicht weniger bedrohlich für ihn: Wütende Trump-Anhänger riefen, Pence solle gehängt werden. Doch nicht einmal diese Todesdrohungen veranlassten den Präsidenten offenbar dazu, sich zu vergewissern, ob sein Stellvertreter in Sicherheit ist – er soll sich während des Ansturms gar nicht erst nach ihm erkundigt haben.

Als der Kongress nach den Unruhen wieder zusammenkommen konnte, bestätigte Pence den Wahlsieg Bidens. Er tat damit, zumindest in den Augen des Präsidenten, das Falsche. Seitdem herrschte Funkstille zwischen Trump und Pence, wie Medien berichteten. Der republikanische Senator James Inhofe sagte der "Tulsa World", dass er noch am Abend des Aufstands mit Pence gesprochen und ihn noch nie so verärgert erlebt habe. "Nach allem, was ich für ihn getan habe...", soll Pence gesagt haben. 

Oder was er alles nicht getan hat: Er übte nie Kritik am Präsidenten, stahl ihm nie die Show, stellte sich nie quer. Stattdessen entwickelte er im Laufe der Jahre reichlich Routine darin, Trumps Politik zu erläutern und die von seinem Chef erzeugten Wogen wieder zu glätten. Wohl auch aus Opportunismus: Pence werden Ambitionen auf die Präsidentschaftskandidatur 2024 nachgesagt – da verscherzt man es sich lieber nicht mit der Basis.

Das könnte auch erklären, warum Pence, trotz allem, weiter zum Präsidenten hält. Oder es zumindest so aussehen soll. 

Trumps langer Schatten

Die Demokraten hatten einen Resolutionsentwurf in das Repräsentantenhaus eingebracht, der Pence eine Frist von 24 Stunden setzte, den Präsidenten auf Grundlage des 25. Verfassungszusatzes für amtsunfähig zu erklären. Er hätte sich damit Trump entledigen können, wenn er eine Mehrheit des Kabinetts hinter dem Vorhaben versammelt hätte. 

Wollte er aber nicht. 

Bereits am Montag traf er sich mit Trump im Weißen Haus und ließ danach mitteilen, dass er den 25. Verfassungszusatz nicht ziehen wolle. Der Präsident und sein Vize hätten "ein gutes Gespräch" geführt, sagte ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter, beide wollten bis zum Ende von Trumps Amtszeit "ihre Arbeit für das Land" fortsetzen. Am Dienstag machte es Pence offiziell: Eine sofortige Absetzung Trumps lehnt er ab, wie er in einem Schreiben an das Repräsentantenhaus erklärte. Das sei nicht im Interesse der Nation.

Und sicher auch nicht im Interesse von Pence. Es ist davon auszugehen, dass er die letzten sieben Tage der Trump-Präsidentschaft aussitzen wird. Ihn zu stürzen wäre ein riskantes Manöver, das ihm kaum nützen würde. Erster Risikofaktor: Es ist noch unklar, wie die Basis der Republikaner die Trump-Ära in der Rückschau verhandeln wird. Zweiter Risikofaktor: Bisher war Trump mit seinem Kurs, den Pence schließlich mitgetragen hat, schwer erfolgreich. 

Links ist das Gesicht von Nancy Pelosi zu sehen, rechts das von Donald Trump

Mehr als 73 Millionen insgesamt abgegebene Stimmen hat Trump im popular vote auf sich vereint. Die Zahl ist nicht unwichtig, denn Wahlniederlage hin oder her: Er hat damit zehn Millionen Wählerinnen und Wähler mehr mobilisiert als bei seinem Wahlsieg vor vier Jahren. Und seiner Partei damit die höchste Stimmenanzahl beschert, die sie jemals bei einer Präsidentschaftswahl erzielt hat. Laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Gallup erzielte der scheidende Präsident im Dezember 2020 noch immer Zustimmungswerte von 87 Prozent innerhalb der Republikaner. Aktuelle Zahlen nach dem Aufruhr am Kapitol bleiben zwar abzuwarten, aber: Trump saß bei den Wählern seiner Partei stets fest im Sattel, trotz oder gerade wegen seines populistischen und nationalpolitischen Kurses.

Und so hält Pence zumindest lose an dem Zweckbündnis fest – in der Hoffnung, irgendwann davon profitieren zu können. Außerdem könnten nun andere dafür sorgen, dass Trumps politische Karriere endet und nicht er als Königsmörder dasteht. 

Da sich Pence querstellt, wollen die Demokraten nun ein Amtsenthebungsverfahren einleiten. Es ist unwahrscheinlich, dass dieses noch vor dem offiziellen Dienstende des scheidenden Präsidenten im Senat landet, der (Stand: jetzt) erst am 19. Januar wieder zusammentritt – also einen Tag vor Bidens Amtseinführung. Zumal aktuell nicht absehbar ist, ob genügend Republikaner gegen Trump in dem Verfahren stimmen würden, sodass die dafür nötige Mehrheit zustande kommt.

Allerdings haben schon einige Republikaner öffentlich gemacht, das Vorhaben zu unterstützen. Angeblich soll sogar Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, zumindest nichts dagegen haben. Auch in der Partei macht man sich offenbar Gedanken, wie man das Kapitel Trump endgültig schließen kann. Das Amtsenthebungsverfahren wäre eine gute Gelegenheit: Es soll auch verhindern, dass Trump in Zukunft ein politisches Amt ausüben kann – seine mögliche Präsidentschaftskandidatur für 2024, mit der er kokettiert, wäre damit vom Tisch.

Und Pence wäre damit einen starken Konkurrenten los, sollte er denn tatsächlich antreten. Der Vizepräsident denkt an seine Zeit nach dem Weißen Haus, aber ohne es langfristig aus dem Blick zu verlieren. Es hat bekanntlich schon viele Metamorphosen erlebt.

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