Papst Franziskus hat die Ukraine und ihre Verbündeten mit seiner Aussage, Kiew möge "die weiße Fahne" hissen, erzürnt. Der Pontifex hatte in einem aufgezeichneten Interview, das am vergangenen Samstag ausgestrahlt wurde, gesagt, dass Verhandlungen niemals ein Zeichen von Schwäche und an Kiews Stelle zu führen seien, um weitere Tote zu vermeiden. Obwohl der Papst den Bezug zur "weißen Fahne" aus der Frage des Interviewers aufnahm und der Vatikan nach der Ausstrahlung des Interviews beteuerte, der Papst habe einen Waffenstillstand zwischen Moskau und Kiew mit daran anschließenden Verhandlungen gemeint, so erscheint der Wortlaut, den Franziskus gewählt hat, doch sehr nah an dem, was der Kreml fordert und wie die russische Führung spricht.
Auch in der Vergangenheit hatte sich der Papst mit seiner Position gefährlich nahe an der Haltung der russischen Diktatur befunden. So dauerte es einige Monate in den Angriffskrieg hinein, bis sich der Pontifex bemüßigt sah, Putin als den Aggressor zu benennen, der er in der Tat auch ist. Die Zurückhaltung des Vatikan, Russland zu kritisieren, lässt sich vielleicht aus der jüngeren Kirchengeschichte erklären: Seit einigen Jahrzehnten bemühen sich die Bischöfe von Rom um eine größere Nähe zur russischen Orthodoxie, von der sie seit der großen Glaubensspaltung vor bald tausend Jahren getrennt sind. Von Johannes XXIII., über Johannes Paul II. bis zu Franziskus reicht die Linie der versuchten Wiederannäherung in den vergangenen sechzig Jahren.

Über den Autor
Dr. Alexandr Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs in New York. Der katholische Theologe studierte unter anderem an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.
Doch bissen die Päpste bis dato auf Granit. Als Agent des Westens verschrien, verteufelt die russische Staatskirche, die ihre neue Stellung nach dem Ende der atheistischen Sowjetunion allein Wladimir Putin verdankt, die christlichen Glaubensgeschwister in Europa und den Vereinigten Staaten. Das Oberhaupt der russischen Kirche soll sogar gemeinsam mit Putin im Auftrag des sowjetischen Geheimdienstes für das Regime spioniert haben, man kennt sich also und verfolgt gemeinsame, recht irdische Ziele.
Papst begräbt Vermittler-Option der Kirche
All das dürfte dem mächtigen Staatssekretariat, dem Außenministerium des Vatikan, bekannt sein. Der Heilige Stuhl, wie der Vatikan im Völkerrecht genannt wird, unterhält gute Beziehungen in viele, auch nicht-christliche Teile der Welt und wird daher immer wieder auch als Mediator in Krisen herangezogen. Im aktuellen Falle, dem Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, dürfte aus ideologischen Gründen eine solche Vermittlerrolle ausscheiden. Der Papst hätte eine solche Option nun auch mit seiner Aussage völlig zunichte gemacht, weil seine Wortwahl eine Parteinahme nahelegt.
Mit seiner unüberlegten Aussage reiht sich der Papst ein in eine Linie mit Donald Trump, 77, oder Joe Biden, 81. Die sind zwar im Vergleich zu Franziskus, 87, noch wahre Jungsporne, geben aber ebenfalls fragliche oder unüberlegte Kommentare ab, wenn sie ohne Skript sprechen. So hat Donald Trump jüngst Biden mit Barack Obama verwechselt und Joe Biden von einem Telefonat mit Bundeskanzler Helmut Kohl (gestorben 2017) fabuliert.
In Sache Krieg und Frieden ist US-Präsident Biden mehrfach von seinem Skript abgewichen und hat der demokratischen Insel-Nation Taiwan Verteidigungshilfe der USA zugesagt, sollte die totalitäre Volksrepublik unter ihrem Führer Xi Jinping tatsächlich ihre Drohung wahrmachen und das Eiland angreifen. Das Weiße Haus war dann bemüht, die Aussage Bidens in einen Kontext zu rücken, der einen Schlag Chinas gegen Taiwan verhindern sollte. Bislang ist das gelungen.
Wenn Opas Weltpolitik machen
Es scheint also so zu sein, dass es zu solchen unüberlegten Aussagen mit weitreichenden Konsequenzen kommt, wenn Opas Weltpolitik machen. Nicht umsonst sind über 70 Prozent der US-Bürgerinnen wenig erquickt über das Rematch zwischen den beiden Greisen Trump und Biden. Die katholische Kirche hat mit alten Männern hingegen weniger Probleme, um nicht zu sagen, es gehört zu ihrem Markenkern.
Der Papst mag, wenn er eine Predigt hält, vielleicht bei den Gläubigen als milder Großvater das Bild des lieben Gottes personifizieren. Doch kann er sich als oberster Souverän des Vatikanstaats, der einen Ruf als diplomatische Bastion zu verlieren hat, nicht so unvorsichtig gerieren, wie er es in diesem Interview getan hat. Die harsche Kritik, die dem Papst nun entgegenschlägt, belegt das. Hätte sich der Pontifex wohl lieber vom Volksmund beraten lassen: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.