Jährliche Pressekonferenz Putin bläst seine Presseshow ab – sicher ist sicher

Russlands Präsident Wladimir Putin
Russlands Präsident Wladimir Putin bei der traditionellen Jahrespressekonferenz 2020
© Aleksey Nikolskyi/Pool Sputnik Kremlin/AP / DPA
Russlands Präsident Wladimir Putin wird zum Jahresende keine große "Pressekonferenz" geben. Die Absage des Kreml ist wenig überraschend. 

Wladimir Putins "Pressekonferenz" zum Jahresende, die nach demokratischen Standards kaum als solche bezeichnet werden kann, ist ein Ritual mit einseitigen Regeln, aber auch eine seltene Gelegenheit. 

Die orchestrierte Fragerunde, die traditionell im Dezember stattfindet und sich oft über mehrere Stunden erstreckt, ist eine der wenigen Möglichkeiten, bei denen auch Journalistinnen und Journalisten aus dem Ausland die theoretische Chance haben, den russischen Präsidenten direkt zu befragen – wenn sie dazu aufgefordert werden. 

Per Fingerzeig wählen Putin und sein Sprecher Dmitrij Peskow aus, wer Fragen stellen darf (deren Stoßrichtung vorab eingereicht werden müssen), und seltsamerweise bleiben die kritischen Wortmeldungen bei der Großveranstaltung – über die das Staatsfernsehen ausführlich und live berichtet – für den Kreml von angenehmer Seltenheit.

Folglich ist die Jahrespressekonferenz, die mit wenigen Ausnahmen seit 2001 abgehalten wird, vielmehr eine Gelegenheit für Putin, sein Image als pflichtbewusster Landesvater aufzupolieren und sich verbal auszubreiten, wie es ihm beliebt. Nachfragen? "Das ist keine Diskussion", erklärte Putin im Dezember 2017. "Sie stellen eine Frage, ich antworte." 

Insbesondere zur Ukraine hatte er bei den vergangenen "Pressekonferenzen" viel zu sagen, oder: richtigzustellen, jedenfalls nach seiner Lesart. Im Dezember vergangenen Jahres, als Russland Zehntausende Soldaten an der Grenze zum Nachbarland zusammenzog, tat Putin das Szenario einer militärischen Eskalation ab, als würde es nicht bei ihm liegen. "Alle reden von Krieg, Krieg, Krieg", sagte er. "Aber das ist nicht unsere Entscheidung." Das hänge allein vom Vorgehen der USA und der Nato ab. 

Nun, ein Jahr später, hat Russland die Ukraine überfallen – und Putin dem nichts hinzuzufügen. Sein großer Auftritt wurde abgeblasen, erstmals seit zehn Jahren. "Was die große Pressekonferenz angeht, nein, die wird es bis Neujahr nicht geben", sagte sein Sprecher Peskow am Montag, ohne einen Grund für die Absage zu nennen. Dabei liegen die Gründe auf der Hand.

Wladimir Putin hat viel zu sagen – aber nicht so

Der Westen hat Sanktionen gegen Russland verhängt, die sich zunehmend auf die Wirtschaft auswirken und sogar kremltreue Propagandisten an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen. Nach einer Reihe von Rückschlägen mussten sich die russischen Streitkräfte von vielen Fronten zurückziehen. Und offenbar unterstützen immer weniger Russinnen und Russen den Angriffskrieg, der nach einer Teilmobilmachung für viele Menschen spürbar wurde – und für den Putin letztlich verantwortlich zeichnet.

Allein die Möglichkeit, dass die Fehlschläge zur Sprache kommen könnte, hätte für den Kreml unangenehm werden können. Zwar sind die Reihen der unabhängigen Medien in Russland mehr als ausgedünnt, da sie entweder geschlossen wurden oder ins Ausland abgewandert sind. Kritik am Krieg, der "militärische Spezialoperation" genannt werden muss, wurde unter Strafe gestellt. Trotzdem wäre es sowohl russischen als auch ausländischen Journalistinnen und Journalisten theoretisch möglich gewesen, einige der Rückschläge an Putin zu adressieren oder wenigstens zu schildern – und zwar live im Staatsfernsehen. 

"Die Offiziellen im Kreml sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sehr besorgt über die Möglichkeit, dass eine von Putin besuchte Veranstaltung für eine unerlaubte Diskussion über die 'militärische Spezialoperation' gekapert werden könnte", heißt es im täglichen Geheimdienst-Update des britischen Verteidigungsministerium vom Mittwoch. Die russische Führung sorge sich über die Zunahme einer Anti-Kriegs-Stimmung im Land, so die Einschätzung aus London. Die Absage der traditionellen Jahrespressekonferenz sei ein Hinweis dafür.

Möglicherweise betrachtet Putin das ohnehin fragwürdige Format aber auch als obsolet. "Ich glaube nicht, dass Putin nichts zu sagen hat, besonders da er in letzter Zeit so viel gesagt hat", meint Tatiana Stanovaya. Die Gründerin von R.Politik, einer in Frankreich ansässigen politischen Beratungsfirma, sieht in der Absage einen "psychologischen Unwillen" Putins, "sich zu erklären" und "langweilige und routinierte Fragen zu beantworten". 

Zuletzt hatte sich Russlands Präsident mehrmals ans heimische Publikum gewandt, zum Teil auf bizarre Weise. So inszenierte er etwa ein Kaffeekränzchen mit Soldatenmüttern oder veranstaltete einen Sektempfang für Kriegsveteranen, auch bei seiner Inspektion der Krim-Brücke konnte Putin demonstrieren, dass er das Kriegsgeschehen im Blick hat – ohne das Gesamtbild erläutern zu müssen.

"Er glaubt, dass dies ausreicht", schlussfolgert Stanovaya, und dass "keine Notwendigkeit besteht, noch mehr Energie für eine weitere Formalität zu verschwenden". Und wolle er dem ausländischen Publikum etwas mitteilen, was er für nötig hält, finde sich schon ein Anlass. "In der Kommunikation mit dem Publikum im Land sieht er keinen Sinn. Sollen das doch die Untergebenen tun." 

Neben der "Pressekonferenz" soll auch der Neujahrsempfang im Kreml ausfallen. Fraglich ist unterdessen, ob es die nationale Fernsehsprechstunde "Direkter Draht" geben wird, bei der die Bürgerinnen und Bürger normalerweise alljährlich persönlich Beschwerden bei Putin vorbringen können. Auch für Putins jährliche Rede vor den beiden Parlamentskammern gibt es weiter keinen Termin.