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TV-Debatte bei "Anne Will" Kampf um Lützerath: Wenn zwei sich streiten, guckt das Publikum in die Röhre

Anne Will diskutiert mit ihren Gästen über das Thema: "Kampf um Lützerath – Zerreißprobe für die deutsche Klimapolitik?"
Anne Will diskutiert mit ihren Gästen über das Thema: "Kampf um Lützerath – Zerreißprobe für die deutsche Klimapolitik?"
© Wolfgang Borrs / NDR
Bei der Talkshow "Anne Will" ging es um Gewalt in Lützerath, Kompromisspolitik und unzureichenden Klimaschutz. Eine wichtige Debatte, zu der leider nicht die richtigen Leute eingeladen wurden.  
Von Andrea Zschocher 

Anne Wills langsamer Abschied von ihrem Sonntagstalk beginnt. Gerade hatte die ARD verkündet, dass die Moderatorin ihren Vertrag nicht verlängern wird, da startete Will nach ihrer Weihnachtspause wieder durch. Das Thema der Stunde war natürlich Lützerath. Will wollte mit ihren Gästen der Frage nachgehen: "Kampf um Lützerath – Zerreißprobe für die deutsche Klimapolitik?"

Zu Gast bei "Anne Will" waren: 

  • Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen 
  • Luisa Neubauer, "Fridays for Future"-Aktivistin  
  • Herbert Reul (CDU), Innenminister in Nordrhein-Westfalen  
  • Mojib Latif, Klimaforscher  
  • Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln 
  • Im vorab aufgezeichneten Einzelinterview: Greta Thunberg, Klimaaktivistin 

Das Problem an der recht offenen Fragestellung und den eingeladenen Gästen: Sie alle waren eher nicht zum Diskutieren gekommen. Stattdessen hatten sie ihre Meinung schon im Gepäck, die eben möglichst laut und offensiv vorgetragen werden musste. Schon im Vorfeld war also vorhersehbar, worum sich der Schlagabtausch bei Luisa Neubauer und Herbert Reul drehen wird. Es ging ausschließlich darum dem jeweils anderen zu sagen: Der Fehler liegt auf deiner Seite.  

Abweichungen von der besprochene Demoroute 

Während Herbert Reul darauf herumritt, dass sich Demonstrierende nicht an die vorher abgesprochene Route gehalten hatten und dann "passiert, was die Polizei von vornherein gesagt hat", berichtete Luisa Neubauer, die selbst vor Ort war, von erschreckenden Szenen. Es sei "vielleicht nicht legal" gewesen, dass einige Demonstrierende sich der Abbruchkante genährt hätten, aber in ihrer Meinung irgendwie dann doch vertretbar. Schon an der Stelle bekommt man leichte Bauchschmerzen, weil der Zweck auf keiner Seite die Mittel heiligen sollte. Solch eine Argumentation wie die von Neubauer schwächt im Zweifelsfall eher die gesamte Aussage.

Nicht vertretbar wäre die im Raum stehende "unverhältnismäßige" Gewalt, wobei zu gegebener Zeit vielleicht generell noch mal über diesen Begriff diskutiert werden sollte. Wann ist Gewalt denn verhältnismäßig? Anne Will wollte zunächst vom Innenminister Nordrhein-Westfalens wissen, ob die zum Einsatz gekommen sei, es wurden in den Sozialen Medien und von einer Sanitäterin Vorwürfe von insbesondere Gewalt gegen die Köpfe von Demonstrierenden geäußert. Reul antwortete erwartbar ausweichend, es würde alles geprüft und wenn es Fehlverhalten auf Seiten der Polizei gegeben habe, dann würde diese geahndet. Gleichzeitig verwies er darauf, dass aber die Demonstrierenden die Polizei angegriffen hätte. "Es flogen Steine, flogen Molotowcocktails, flogen Raketen", so sein Vorwurf, neben der Tatsache, dass sich Menschen eben nicht an den vorgeschriebenen Weg auf dem Gelände gehalten hätten.

Es ist unstrittig, dass Gewalt von beiden Seiten indiskutabel ist und aufgearbeitet werden muss, was vor Ort geschehen ist. Aber es ist schon schwierig, wenn Luisa Neubauer einerseits über genau die Gewalt berichtete, auf Nachfrage aber ausweichend antwortet, dass sie selbst das in der "wirren Situation" nicht genau gesehen hat. Aber es gäbe ja Videomaterial. Videos können auch gefälscht sein. Sie könne es sich nicht "anmaßen", so Neubauer, zu sagen wie die Polizei vor Ort agiert hätte, sie habe aber keinen Grund, den Aussagen der Sanitäterin nicht zu glauben. "Da ist etwas aus dem Ruder gelaufen", so Neubauer weiter, und sie sieht allein die Polizei in der Verantwortung. Dass Aufarbeitung stattfinden muss, und, dass Gewalt zu verurteilen ist, steht außer Frage. Aber es gilt auch für Talkgäste noch immer die Devise: Berichte nur, was du selbst gesehen und erlebt hast.

Andere Gäste wären wünschenswert gewesen 

Der Klimaschutz sei "diskreditiert" worden durch einige Menschen auf der Demoseite, war sich der CDU-Mann Reul sicher, und gab weiter an, dass es kein Zufall sei, was am Wochenende passiert ist. Er könne nicht nachvollziehen, warum nicht explizit zum friedlichen Protest aufgefordert worden sei. Neubauer verwies beinahe reflexartig darauf, dass es sich um einen überwiegend friedlichen Protest gehandelt habe, bei dem der Aktionskonsens die ganze Zeit klar gewesen sei.  

Die vorher beschriebene Abweichung von der geplanten Route, die in weiten Teilen sicher friedlich verlief, kann aber dennoch als Provokation verstanden werden. Die sollte nicht mit Gewalt beantwortet werden, aber, dass Neubauer jegliche Mitverantwortung für die Eskalation so weit von sich weist, ist schon bemerkenswert. Nichts ist so schwarz-weiß, wie beide Seiten es glaubhaft machen wollten und genau das macht die Situation so wenig zu einem Thema für eine Diskussionsrunde mit ausgerechnet diesen beiden Gästen. 

Klimaforscher Mojib Latif und der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Michael Hüther, waren die zwei Stimmen, die versuchten für die Zuschauenden die Gesamtsituation einzuordnen. Zunächst stellten beide sehr deutlich heraus: Die Diskussion um Polizeigewalt und Gewalt auf Seite der Demonstrierenden, nützt dem Thema nicht. Denn das sollte nach wie vor der Klimaschutz sein und die Frage: Wie kann Deutschland mit dem globalen Problem der Erderwärmung tatkräftiger und engagierter umgehen? Der verschwenderische Lebensstil der Deutschen, unsere historische Verantwortung, weil wir seit der industriellen Revolution immer mehr Raubbau an der Erde betrieben haben, müssen bekämpft werden. "Lützerath ist ein Symbol", so Latif, aber es ginge vor allem darum, wirkliche Lösungen gegen den Klimawandel zu finden und nicht alle anderen aus den Augen zu verlieren  

"Lützerath ist völlig irrelevant" hielt Hüther dagegen. Das Problem sei, dass so viel über die Gewalt vor Ort geredet werden würde, dass das eigentliche Thema der globalen Aufgaben in Sachen Klimaschutz nicht zur Sprache käme. Statt also Luisa Neubauer und Herbert Reul bei ihrem Streitgespräch rund um diesem Thema beizuwohnen, wäre es, laut dem Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln wichtiger gewesen, einen Bundesminister zum Thema Umweltschutz zu befragen. Anne Will teilte mit, dass alle Anfragen diesbezüglich leider nicht erfolgreich beantwortet wurden.  

Anne Will traf Greta Thunberg 

Im Vorfeld der Sendung hatte sich die Moderatorin mit Greta Thunberg getroffen um den Kompromiss, dass Lützerath geopfert wird, um fünf weitere Dörfer zu erhalten und den Kohleaussstieg in NRW durch RWE schon 2030 Wirklichkeit werden zu lassen, zu besprechen. Sie finde es "seltsam, dass wir ein Dorf opfern, um die anderen zu retten" teilte die Schwedin mit. Es sei "heuchlerisch, was gerade passiert", und generell nicht ihre Aufgabe als Aktivistin diesen Kompromiss positiv zu finden. Sie sehe ihre Aufgabe eher darin "auf Wandel zu drängen" und immer weiter darauf aufmerksam zu machen, "was das Beste für den Planeten ist".  

Thunberg wies auch darauf hin, dass die Aussagen von Aktivist*innen oft aus dem Zusammenhang gerissen würden, dass die Gewalt, die wir im globalen Norden dem Planeten antun, nicht weitergehen dürfe. "Wir rufen zum zivilen Ungehorsam auf", so Thunberg weiter. Gleichzeitig stellte sie klar, dass sie niemandem sagen könne, was er oder sie zu tun oder zu lassen hätte. Ähnlich argumentierte ja auch Luisa Neubauer in der Sendung.  

Weitere Themenpunkte: 

Brauchen wir die Kohle unter Lützerath überhaupt? Die Studienlage dazu, ob die Kohle, die unter Lützerath abgebaut werden könnte, in Deutschland überhaupt noch zum Einsatz kommt, ist uneindeutig. Warum die Bundesregierung und RWE aber nicht einfach weiter abgewartet haben, sondern die Räumung Lützeraths nun durchgesetzt haben, konnte im Talk nicht abschließend geklärt werden.  

AKWs, ja oder nein? Während sich Herbert Reul für einen Weiterbetrieb von Atomkraftwerken durchaus erwärmen könnte, war Mojib Latif entschieden dagegen. Die Flexibilität, sich alle Möglichkeiten offen zu halten, "ist nichts anderes, als dass wir uns von gar nichts verabschieden wollen". Dann redete sich der Klimaforscher recht eindrücklich darüber in Rage, wie sehr RWE seiner Ansicht nach in der Vergangenheit gelogen und manipuliert hätte. "Warum vertrauen Sie denen", fragte er in Richtung Reul.

Die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, konnte an diesem Abend keinen Punkt landen. Gebetsmühlenartig erinnerte sie an den von Putin begonnenen Krieg gegen die Ukraine und die daraus erfolgte Energiekrise für Deutschland. Sie erwarte nicht, sprach sie auch in Richtung Parteikollegin Neubauer, dass die Klimabewegung sich mit Kompromissen zufrieden gibt. Aktuell sieht es allerdings so aus, als müssten nicht nur die Aktivist*innen sondern wir alle genau das tun.

mad

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