Der Kanzler sah Anlass, sich noch einmal zu erklären. Um 7.56 Uhr twitterte Olaf Scholz am Mittwochmorgen eine weitere Stellungnahme zu den Äußerungen von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas vom Vortag. Die sozialen Medien waren bereits voll mit Kommentaren, in der "Tagesschau" war der Fall die erste Meldung. In einer gemeinsamen Pressekonferenz hatte Abbas am Dienstag israelische Militäraktionen gegen die Palästinenser mit dem Holocaust gleichgesetzt. Er sei "zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen", teilte Scholz nun ein weiteres Mal mit. "Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel." Er verurteile jeden Versuch, die Verbrechen des Holocaust zu leugnen. Den gleichen Text verbreitete der Kanzler auch auf Englisch.
Abbas war nach einer Entschuldigung für das Attentat auf die Olympischen Spiele in München gefragt worden, bei dem vor 50 Jahren bei der gescheiterten Befreiungsaktion nach einer Geiselnahme durch palästinensische Terroristen elf israelische Sportler und Betreuer getötet worden waren. Auch ein deutscher Polizist kam ums Leben, außerdem fünf der Attentäter. Abbas antwortete: "Israel hat seit 1947 bis zum heutigen Tag 50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen." Das seien "50 Massaker, 50 Holocausts".
CDU-Chef Merz kritisiert Olaf Scholz
Der Vorgang hatte auch deswegen für Aufsehen gesorgt, weil Scholz die Äußerungen von Abbas zunächst unkommentiert stehen ließ. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) sprach von einem "unfassbaren Vorgang". Auf Twitter schreib Merz: "Der #Bundeskanzler hätte dem Palästinenserpräsident klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen."
Regierungssprecher Steffen Hebestreit hatte die Pressekonferenz – wie zuvor angekündigt – unmittelbar nach der simultan übersetzten Antwort von Abbas beendet. Auf Bildern von der Pressekonferenz ist zu sehen, wie Scholz sich den Übersetzungsknopf aus dem Ohr nimmt. Nicht eindeutig ist zu erkennen, ob er noch auf Abbas eingehen wollte. Kurz danach kam es im Abgang von der Pressekonferenz noch zu einem Händedruck. Der Regierungssprecher erklärte kurz darauf, Scholz sei empört über die Äußerungen, ein erstes Statement ließ Scholz am späten Nachmittag über die "Bild"-Zeitung verbreiten.
Der Eklat im Kanzleramt sorgte auch außenpolitisch für erheblichen Wirbel. Der israelische Ministerpräsident Jair Lapid schrieb auf Twitter: "Dass Mahmud Abbas Israel beschuldigt 50 Holocausts begangen zu haben, während er auf deutschem Boden steht, ist nicht nur eine moralische Schande, sondern eine ungeheuerliche Lüge." Der neue deutsche Botschafter in Israel, der frühere Regierungssprecher Steffen Seibert, bemühte sich um Schadensbegrenzung und stellte klar, Abbas‘ Äußerungen seien "falsch und inakzeptabel". Deutschland werde keinen Versuch unterstützen, die Einzigartigkeit der Holocaust-Verbrechen zu leugnen.
Der Vorgang schlägt zu einem besonders heiklen Zeitpunkt Wellen. Nicht nur hat Deutschland eben erst aus Anlass eines antisemitischen Kunstwerks auf der Documenta in Kassel eine Diskussion über den Umgang mit seiner Vergangenheit erlebt. Auch die Vorbereitungen für das offizielle Gedenken an das Olympia-Attentat stecken in einer schwierigen Phase. Die zwei Dutzend Hinterbliebenen der israelischen Opfer hatten erst vor wenigen Tagen angekündigt, nicht an der offiziellen Trauerfeier in München teilnehmen zu wollen. Auch die Teilnahme des israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog ist noch offen. Hintergrund sind unterschiedliche Vorstellungen zwischen Bundesregierung, Freistaat Bayern und Stadt München einerseits und den Hinterbliebenen über eine angemessene finanzielle Entschädigung.