Eine Bundesministerin tritt vor die Presse, sie steht unter Druck, manch einer fordert ihren Rücktritt. Sie ist nicht zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen, wirft man ihr vor, sie hat im sonnigen Frankreich geurlaubt, kurz nachdem die Ahrflut vielen ihrer Bundeslandsleute das Haus oder gar das Leben entriss. Soweit, so unglücklich.
Stellen wir uns vor, die Ministerin hätte nun einen ganz anderen Auftritt hingelegt als den von gestern Abend, sie hätte in etwa gesagt: Verehrte Rücktrittsforderinnen und Rücktrittsforderer, lieber Herr Merz. Vor Ihnen steht eine Ministerin, die zugleich Mutter und Mensch ist. Das alles auf einmal, mit vollem Herzen und ganzer Kraft. Die Prioritäten richtig zu setzen, ist nicht immer leicht. Die schwersten Tage der Menschen an der Ahr fielen zufällig mit den schwersten Tagen meiner Familie zusammen. Und ja, da habe ich meine vier Kinder und meinen Mann an die erste Stelle gesetzt. Das war im Nachhinein ein Fehler. Aber wer echte Menschen als Politiker will, der möge nun meine Entschuldigung annehmen und mich weiter meine wichtige Arbeit tun lassen.

Anne Spiegel hat eine Chance vertan
So in der Art. Wäre das nicht cool gewesen, wenn da eine Ministerin mit geradem Rücken einen Fehler eingestanden, und zugleich dem politischen Verhaltensrepertoire eine neue Variante hinzugefügt hätte? Die Variante des ganzheitlichen Typs Politiker, der offen zeigt, dass sein Leben übervoll ist und er sich zuweilen in den Prioritäten verheddert (so wie Millionen normaler Leute in Deutschland auch, vor allem: Millionen Mütter).
Leider hat Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) diese Chance vertan. Sie setzte lieber auf Mitleid für ihre flackernden Augen und die zitternde Unterlippe. Die arme Anne! Sie muss in den Arm genommen werden, man soll ihr alles verzeihen. Das ist kraftlos und auch ein bisschen billig.
Bitte keine Ministerin, die öffentlich zusammenschrumpelt
Eine Ministerin, die das Wohl ihrer Familie in einem höchst unglücklichen Moment über ihr Amt gestellt hat – okay. Aber bitte keine, die danach vor den Augen der Öffentlichkeit haltlos zusammenschrumpelt. Heulen geht nicht. Zumal man einer Ministerin mit zwei weiteren Zusatzämtern doch zutrauen darf, dass sie Arbeit gut delegieren kann. Ein Anruf bei ihrer Chefin, Ministerpräsidentin Malu Dreyer, damals im Juli 2021, hätte wahrscheinlich gereicht: Malu, bei mir zuhause brennt die Hütte, ich brauche eine Pause! Sicher hätte sich ein Interims-Stellvertreter gefunden.
Das Gleiche bei der Care-Arbeit: Wie kann es sein, dass eine Politikerin, die heute als Familienministerin hochwertige Betreuung fordert, dies nicht für ihre eigenen vier Kinder hinkriegt? Sollte Frau Spiegel nicht ein leuchtendes Vorbild der Vereinbarkeit sein? Klar: Jede Mutter denkt, dass sie es selbst am allerbesten kann. Und natürlich kann es erfüllend sein, dem Grundschüler im Homeschooling höchstpersönlich den Unterschied zwischen Wie-Wörtern und Tun-Wörtern zu erklären. Das könnte aber beispielsweise auch der Nachbarjunge erledigen und dafür einen netten Stundenlohn kassieren. Wie-Wort: entschlossen. Tun-Wort: delegieren. Was machen eigentlich Oma und Opa Spiegel? Und wie wäre es mit einer 24-Stunden-Nanny, zumindest zeitweise?
Jammern geht eben nicht
Will sagen: Man kann in einem übervollen Leben alles mit allem vereinbaren, wenn man genug Energie, Geld und Hilfe hat. Man kann nicht: so lange strampeln, bis man implodiert. Wer viele Rollen spielen will, muss gut jonglieren können. Alles andere ist unglaubwürdig und befeuert nur wieder all die Stimmen, die jetzt sagen: Siehste, Puppe, alles geht eben nicht. Geht doch. Nur jammern eben nicht.