Grünen-Chefin Annalena Baerbock sieht noch erhebliche inhaltliche Differenzen in den Verhandlungen mit SPD und FDP über die Bildung einer Ampel-Koalition. Bei den für die Grünen "entscheidenden Stellschrauben" seien die Ampel-Unterhändler "noch nicht so weit, dass wir den Deckel drauf machen können", sagt Baerbock am Freitag im Inforadio des RBB. Ob Grüne, SPD und FDP wie vorgesehen bis Ende November einen Koalitionsvertrag aushandeln können, halte sie noch für offen.
"Wir können noch nicht sagen, wann er (der Koalitionsvertrag) fertig ist, weil wir bei zentralen Baustellen noch nicht sehen, dass wir sagen können, dann sind wir fertig", sagte Baerbock. "Diese Erneuerung des Landes soll in den nächsten vier Jahren greifen. Und da kommt es jetzt nicht auf vier Tage mehr oder weniger an in den Gesprächen."
Brief von Baerbock an Umweltverbände
Den Grünen gehe es um eine "neue Bundesregierung, die Veränderung in diesem Land erreicht, die nicht nur Fortschritt auf Papiere draufschreibt, sondern den dann auch in den wesentlichen Kernbereichen löst", sagte die Parteichefin. "Wenn wir den Klimaschutz wirklich ernst nehmen würden", dann müsse sich das quer durch die Bundesregierung zeigen, sagte Baerbock weiter. "Eine Klimaregierung kann nicht nur durch eine Partei getragen werden." Momentan gebe es noch zu viele Baustellen.
"Wir sehen derzeit zu wenig Fortschritt, was die inhaltliche Substanz anbetrifft", hatte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Baerbock wollte keine Einzelheiten aus den Verhandlungen nennen. Man habe Vertraulichkeit vereinbart.
Da dürfte ein Brief von Baerbock an Umweltverbände vielleicht noch für Knatsch sorgen. "Vielen Dank für euren Brief an uns und vor allem, dass ihr unsere Sorgen teilt", zitiert das "Handelsblatt" aus dem Brief. "Auch wir wollen und müssen in den gerade begonnenen Koalitionsverhandlungen noch viel erreichen, insbesondere beim Klima- und Biodiversitätsschutz."
Kein Digitalministerium für FDP
Baerbock, so das "Handelsblatt" weiter, gibt dann zu, dass die Grünen schlecht verhandelt hätten. Das Sondierungspapier lasse "leider noch an der nötigen Klarheit fehlen". In den Koalitionsverhandlungen wolle man nun mehr erreichen.
Für Aufmerksamkeit sorgt dieser Satz: "Es wäre dafür sehr hilfreich – und in Teilen seid ihr ja bereits dran –, wenn ihr darauf hinwirken könntet, dass SPD und FDP hier ambitionierte Vorschläge einbringen. Wenn wir das weiter allein tun müssen, erschwert das die Verhandlungen enorm." Dies dürfte bei SPD und FDP für Verwunderung und auch Ärger sorgen. Immerhin wird in den Koalitionsverhandlungen großer Wert auf Vertrauen gelegt. Auf die Verhandlungspartner Druck auf diese Weise Druck auszuüben, könnte für Sand im Getriebe der Verhandlungen sorgen.
Diese Frauen und Männer entscheiden über die nächste Regierung

Auch bei einem anderen wichtigen Wahlkampfthema hat es offenbar Abstriche geben: In der neuen Bundesregierung wird es aller Wahrscheinlichkeit nach kein eigenständiges Digitalministerium geben. Dies berichtete das "Handelsblatt" am Donnerstag unter Berufung auf mit den Koalitionsverhandlungen vertraute Kreise. Die FDP, die als einzige der drei Ampel-Parteien ein solches Ressort ausdrücklich in ihrem Wahlprogramm festgeschrieben hat, befinde sich mit ihrer Forderung "auf dem Rückzug", sagte demnach ein Unterhändler.

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Malu Dreyer macht sich keine Sorgen
Während der Gespräche in der Facharbeitsgruppe hätten die Liberalen teilweise den Eindruck erweckt, sie müssten nur Digitalressort sagen und alle Bälle rollten auf sie zu, sagte laut "Handelsblatt" ein anderer Insider. Inzwischen scheine sich aber auch bei der FDP die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass der Aufbau eines neuen Ministeriums mit der Zusammenführung verschiedener digitaler Zuständigkeiten zu lange dauern und somit das Tempo bei der Digitalisierung eher bremsen als forcieren würde.
In FDP-Kreisen wurde die Darstellung bestätigt. Demnach werden auch eine "große fachliche Restrukturierung", die mit der Schaffung eines neuen Ministeriums einhergehen müsste sowie der "personelle Aderlass" in vielen anderen Ressorts als Hindernis gesehen.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat sich dennoch "sehr zuversichtlich" geäußert, dass die Koalitionsverhandlungen im Bund mit Grünen und FDP positiv weitergehen. "Es ist ganz normal, dass während der Verhandlungen mal die eine oder die andere Partei mal zufriedener oder unzufriedener ist. Das kommt da auch ein bisschen darauf an, in welche Arbeitsgruppe man da gerade blickt", sagte die SPD-Politikerin am Freitagmorgen im ZDF-"Morgenmagazin".
Nach Dreyers Worten bleibt es das Ziel, die Verhandlungen in den 22 thematischen Arbeitsgruppen in den nächsten Tagen abzuschließen. "Wir verhandeln in guter Atmosphäre. Und dass es ab und zu mal ruckelt, ist doch das Normalste auf der Welt." Man werde miteinander weiter gut vorankommen.
Zum zeitlichen Plan, den bisherigen SPD-Finanzminister Olaf Scholz in der Nikolauswoche Anfang Dezember zum Kanzler zu wählen, sagte sie: "Ich bin zuversichtlich, dass wir es auch erreichen können."