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Baldiger Rücktritt von Matthias Platzeck Der Unvollendete

In Brandenburg endet eine Ära. Nach elf Jahren im Amt tritt Ministerpräsident Platzeck ab. Seine Gesundheit streikt und der 59-Jährige hört auf seinen Körper. Die SPD trifft der Rücktritt zur Unzeit.

Es ist nicht das erste Mal, dass in Brandenburg ein Regierungschef blitzartig abtritt. Vor elf Jahren, 2002, war es Manfred Stolpe, der auf einem SPD-Parteitag in Wittenberge (Prignitz) nach fast zwölf Jahren im Amt des Ministerpräsidenten seinen Rücktritt ankündigte. Jetzt macht es ihm sein Nachfolger Matthias Platzeck nach - wenn auch unter völlig anderen Voraussetzungen. Während Stolpe - damals 66 - nach ebenso gründlicher wie geheimer Vorbereitung das Feld räumte, beugt sich Platzeck offensichtlich seiner angeschlagenen Gesundheit, dem Rat von Ärzten, Freunden und der Familie. Was während des Tages längst durchgesickert war, wurde am Abend offiziell. Platzeck gab seinen Rücktritt zum 28. August bekannt, seine Ärzte hätten ihm dringend von einem 80-Stunden-Job abgeraten. Noch offen ist die Nachfolge im Amt des Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg.

Stolpe hatte früh in Matthias Platzeck den politischen "Menschenfischer" erkannt und ihn über Jahre als Erben der Macht im Land zwischen Elbe und Oder aufgebaut. Und tatsächlich erfüllte der gebürtige Potsdamer über elf Jahre die in ihn gesetzten Erwartungen. Mit ihm als Spitzenkandidaten gewannen die märkischen Sozialdemokraten seit 2004 Landtagswahl um Landtagswahl und regierten in wechselnden Koalitionen. War es von 1999 bis 2009 ein Bündnis mit der CDU, so gab Platzeck danach der Linken den Vorzug.

"Deichgraf" und Kurzzeit-Vorsitzender

Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck ist seit mehr als 20 Jahren im Politik-Geschäft. Bei der ersten freien Volkskammerwahl 1990 kandidierte er erfolgreich für die Grüne Partei der DDR. Im selben Jahr übernahm er in der von Manfred Stolpe (SPD) geführten Potsdamer Ampelkoalition das Amt des Umweltministers, das er acht Jahre lang ausübte. Hier profilierte sich der gelernte Ingenieur vor allem als Krisenmanager während des Oder-Hochwassers 1997, was ihm den Beinamen "Deichgraf" eintrug.

Erst 1995 trat Platzeck in die SPD ein, 2002 übernahm er von Stolpe das Amt des Ministerpräsidenten in Brandenburg und stand bis 2009 an der Spitze einer rot-schwarzen Koalition mit der CDU. Ein Rückschlag war 2006 die nur 146 Tage dauernde Amtszeit als Bundesvorsitzender der SPD: Zwei Hörstürze und ein Zusammenbruch zwangen ihn zum Rückzug. Im Juni dieses Jahres erlitt er einen leichten Schlaganfall.

Innenminister Woidke soll Platzeck nachfolgen

Sein Rückzug von voraussichtlich allen Ämtern ist eine Überraschung. Noch am Sonntag hatte die Staatskanzlei den Anschein erweckt, dass nach dem dreiwöchigen Erholungsurlaub des Regierungschefs alles seinen gewohnten Gang gehen würde. So gratulierte Platzeck dem früheren Bundesumweltminister Klaus Töpfer zum 75. Geburtstag, bewilligte Lottomittel für eine Radsportveranstaltung und kündigte für diesen Donnerstag eine Tourismus-Pressefahrt in die Prignitzer Elbtalaue an. Noch am Montagmorgen hieß es, der Ministerpräsident habe seine Amtsgeschäfte wieder aufgenommen.

Spätestens als er und Landtagsfraktionschef Ralf Holzschuher dann wenig später zu einer Sondersitzung von Parteivorstand und Fraktion am späten Nachmittag einluden, war klar, dass etwas passieren würde. Der Schlaganfall, den Platzeck im Juni erlitt, hat ihn offensichtlich stärker aus der Bahn geworfen als anfangs vermutet. Schon seit langem leidet der Regierungschef unter Bluthochdruck.

In der Sondersitzung im Landtag wurden die personellen Weichen für die Zukunft gestellt: Als Platzecks Nachfolger - so hieß es in Potsdam - wollen Landespartei und Landtagsfraktion Innenminister Dietmar Woidke wählen, dessen Platz wiederum Holzschuher einnimmt. Außerdem ist es ausgemachte Sache, dass der Fraktionsvorsitz an den langjährigen Wahlstrategen und SPD-Generalsekretär Klaus Ness geht. Damit hofft die Parteispitze, sowohl die rot-rote Koalition stabil über die Runden zu bringen, als auch die Landtagswahl im Herbst 2014 siegreich zu bestehen.

SPD-Beliebheit bröckelt in Umfragen

Woidke ist ein langjähriger Weggefährte Platzecks, der als vormaliger Agrarminister, SPD-Fraktionschef und jetzt Innenminister eng mit ihm zusammenarbeite. Beide pflegen einen unverkrampften Umgang mit ihrer Umgebung und dem Wahlvolk.

Dem 52-jährigen Woidke kommt zustatten, dass Rot-Rot die dicksten Brocken aus dem Koalitionsvertrag schon abgearbeitet hat: die Polizeireform mit harten Personaleinsparungen, ein Mindestlohngesetz für öffentliche Aufträge oder auch eine Energiestrategie unter vorläufiger Weiternutzung der umstrittenen Braunkohle. Ein ehrgeiziges Ziel bleibt die Sanierung des Landeshaushalts und da die Vermeidung neuer Schulden.

Ob für die seit 1990 in Brandenburg regierende SPD künftig alles wie gewünscht läuft, bleibt offen. In Umfragen wehte ihr zuletzt wie zu Zeiten Stolpes 2002 ein scharfer Wind um die Nase. Wäre jetzt Landtagswahl, bliebe sie zwar mit 35 Prozent stärkste Kraft. Bei einer Bundestagswahl würde sie jedoch mit 31 Prozent hinter der CDU (32 Prozent) landen.

Mit Abstand bekanntester und beliebtester Politiker in Brandenburg ist Platzeck, den 93 Prozent der Wahlberechtigten kennen und - trotz aller Rückschläge - 61 Prozent positiv bewerten. Die Zustimmung zu ihm betrug allerdings schon mal 80 Prozent. Dennoch hinterlässt er seinem Nachfolger große Schuhe.

Ronald Bahlburg, DPA DPA

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