"Die ganze Kriegskunst basiert auf List und Tücke", urteilte der chinesische General Sun Tsu vor 2500 Jahren. Namhafte Strategen haben diese Weisheit aus dem ältesten Kriegslehrbuch immer wieder bestätigt. Auch Deutschlands geheime Krieger machen sie sich zu Nutze. Seit Wochen kämpfen sie gegen den Vorwurf, die USA im Irak-Krieg stärker unterstützt zu haben, als es Ex-Kanzler Schröder und Ex-Außenminister Fischer versprochen hatten. Mittlerweile liegen drei Berichte der Bundesregierung vor. Einer, der ohne Einschränkungen zugänglich ist. Ein zweiter, den alle 600 Bundestagsabgeordneten bekommen haben. Und ein dritter, ganz geheimer, nur für die neun Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das den Nachrichtendiensten auf die Finger sehen soll. Daraus stammen die jüngsten Enthüllungen der "New York Times" über den BND-Verbindungsmann beim Hauptquartier der US-Streitkräfte, der unter seinem Decknamen "Gardist" nun durch die Medien geistert.
"Das ist doch klar", sagte ein hochrangiger Koalitionspolitiker im Hintergrundgespräch mit dem stern, "wenn man drei Berichte macht, stürzen sich die Journalisten auf den geheimsten."
Vorzügliches Versteck
Richard Bernstein, Korrespondent der "New York Times" in Berlin, schilderte denn auch ausführlich, wie er in das versiegelte Dokument Einblick nehmen konnte. So exklusiv wie das klandestine Szenario glauben macht, war das Ergebnis indes nicht. Über "Gardist" hatten deutsche Zeitungen schon vor Tagen berichtet. Aber wie erwartet, beherrschte das am schwersten zugängliche Papier die Diskussion. Die offene Fassung des Berichts der Bundesregierung zum Irak-Komplex hingegen blieb weitgehend unbeachtet. Sie erwies sich als vorzügliches Versteck für einige brisante Details.
Was "Gardist" zu melden hatte, stammte von zwei BND-Männern in Bagdad, im Amtsdeutsch "SET" genannt - Sondereinsatzteam. Am 15. Februar 2003 nahm es die Arbeit auf und blieb auch in der irakischen Hauptstadt, als am 20. März mit massiven Luftangriffen der Krieg begann. Der SET-Einsatz, heißt es in dem Bericht, habe "wesentlich zum eigenständigen Lagebild der Bundesregierung beigetragen". Geografische Koordinaten einzelner Objekte waren zu diesem Zweck zwar kaum erforderlich, dennoch lieferten die beiden BND-Männer auch solche Daten. Sie nahmen damit erhebliche Risiken auf sich. "Eine Entdeckung der GPS/Thuraya-Geräte im Fahrzeug des SET durch die zahlreichen irakischen Sicherheitskräfte hätte zur Gefährdung von Leib und Leben der SET-Mitarbeiter geführt", räumt die Bundesregierung ein. Für ihre Leistung erhielten die deutschen Irak-Agenten später die "Meritorious Service Medal", eine Auszeichnung der US Army für "außerordentlich verdienstvolle Leistungen".
Rote Linie überschritten
Die BND-Zentrale habe während des Kriegs "sieben Koordinaten enthaltende Berichte an die US-Seite übermittelt", bestätigt die Bundesregierung. Darunter waren Nicht-Angriffsziele: die Bagdader Synagoge, fünf Botschaften, ein Konsulat. Auch die Koordinaten irakischer Fahrzeuge taugten wohl kaum zur Zielerfassung. Wie der Bericht betont, wurden fast alle Informationen zeitlich verzögert weitergegeben. Als US-Militärs sie erhielten, dürften der "Lkw, Tank-Lkw" und die "Pick-ups mit sMG auf den Ladeflächen" bereits den Standort gewechselt haben. Fraglich bleibt, ob das auch für die "Soldaten in Stellungsgräben" gilt, die ebenfalls den "mobilen militärischen Teileinheiten" zugeschrieben werden. Drei Meldungen enthalten politischen Sprengstoff. So lieferte der BND die Koordinaten "zu Gebäuden/Rohbauten in der Nähe des zum damaligen Zeitpunkt bereits zerstörten Offiziersclubs der Luftwaffe". Diese Koordinaten seien den USA bekannt gewesen, heißt es im Nachsatz. Aber weshalb wurden sie dann überhaupt weitergegeben? Vermuteten die BND-Agenten, die irakischen Offiziere seien aus ihrem zerstörten Klub in die angrenzenden Häuser ausgewichen? Dann war die Standortmeldung an die US Army eine Einladung zum Bombardement. Auch die Bundesregierung scheint diese Sorge umgetrieben zu haben, denn in ihrem Bericht merkt sie an: "Eine Nachauswertung von Satellitenbildern ergab auch hier keine Anzeichen für eine Bekämpfung dieser Objekte nach der Übermittlung der Koordinaten." Also alles noch mal gutgegangen? Keineswegs, die rote Linie zwischen Freundschaft mit den USA und Komplizenschaft in einem völkerrechtswidrigen Krieg war bereits mit der Weitergabe der Information überschritten.
"Enthauptungsschlag" gegen Saddam
In den zwei anderen Meldungen leitete der BND Koordinaten eines "Ausweichquartiers des irakischen Geheimdienstes" und eines "Restaurants im Stadtteil Al Mansour" weiter. In diesem Stadtteil, das ergaben auch Nachforschungen des stern, hat sich Saddam Hussein am 7. April 2003 aufgehalten. Die USA versuchten, ihn mit einem "Enthauptungsschlag" auszuschalten. Bei dem Bombardement starben mehr als zwölf Zivilisten, der Diktator entkam. Das SET, so betont die Bundesregierung, war "weder an der Vorbereitung noch an der Durchführung dieses Luftangriffes beteiligt." Doch das Dementi ist in mehreren Punkten verräterisch.
Die BND-Mitarbeiter hatten in der französischen Botschaft Zuflucht gefunden. Um 16.15, so der Regierungs-Report, erschienen "zwei Augenzeugen, die dem SET persönlich bekannt waren in der Botschaft des befreundeten Landes. Ein Augenzeuge stand erkennbar unter Schock und berichtete, dass vor wenigen Stunden zwei Raketen eingeschlagen seien. Er war durch die Druckwelle der Bomben und durch Glassplitter aus den zersplitterten Fenstern eines Hauses (ca. 80m vom Angriffsort entfernt) leicht verletzt worden und hatte sich zur medizinischen Erstversorgung zum SET begeben. Er berichtete über den Angriffsort und über zivile Opfer. Etwa zur gleichen Zeit ging über die BND-Zentrale fernmündlich beim SET die Einschätzung (mit geografischen Koordinaten) ein, dass es sich bei diesem Luftangriff um einen erfolgreichen Schlag gegen Saddam Hussein gehandelt habe."

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Eilfertig zu Diensten
Gestützt auf Aussagen des Augenzeugen "bestätigte das SET den US-Angriff zunächst fernmündlich gegenüber der BND-Zentrale. Dabei übermittelte das SET auch eine zu einem früheren Zeitpunkt gewonnene Information, nach der sich in der Nähe des Einschlagortes ein Ausweichquartier des irakischen Nachrichtendienstes befinde." Auch dessen Koordinaten meldeten die BND-Männer - abgeleitet vom Standort des Hauses ihres Augenzeugen. Und lieferten damit erneut ein Bombenziel. In den weiteren Ausführungen zu dem Fall wird überdies deutlich, wie beflissen die BND-Oberen auf amerikanische Wünsche reagierten. Erst drängten sie die Männer in Bagdad, eine "zeitnahe Beobachtungsfahrt zum Angriffsort" zu unternehmen, das hieß eine Stunde lang unter Beschuss durch Bagdad zu kurven. Dieses Ansinnen, "musste das SET aus Sicherheitsgründen ablehnen". Dann war die deutsche Geheimdienst-Zentrale eilfertig bemüht, die US-Militärs "umgehend" zu informieren, "um zum einen den schwerwiegenden Fehlangriff mit zivilen Opfern mitzuteilen und zum anderen, um die schnelle Reaktionsfähigkeit des SET zu demonstrieren".
Hinweis aus den USA
Dieser Vorgang war schließlich Kern der Legende, deutsche Agenten hätten auf Wunsch der USA in Al Mansur eine Kolonne schwarzer Mercedes-Limousinen Saddams inspiziert. "Die Arbeit der Deutschen sei sehr wichtig für die Bombardierung an diesem Tag" gewesen, verlautete aus anonymer US-Quelle. Tatsächlich benutzte Saddam, in der steten Angst des Diktators vor Anschlägen, schon seit Jahren keine Staatskarossen mehr, die das SET hätte orten können, sondern unauffällige Taxis. Er hielt sich auch nicht in dem Restaurant auf, sondern vermutlich in einem Unterschlupf, den sein Geheimdienst in der Nähe für ihn eingerichtet hatte. Trotzdem - es war diese Meldung, die Anfang Januar den "BND-Skandal" auslöste. Kurz, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo gefordert hatte, und kurz, bevor sie zum Antrittsbesuch in die USA gereist war. Daran sollten sich alle erinnern, die nun unken, der BND könnte in der internationalen Geheimdienstszene zum Gespött werden, weil sich ein Untersuchungsausschuss konstituiert. Dessen Arbeit ist nur die vernünftige Konsequenz eines Hinweises auf die deutschen Agenten, der aus den USA kam. Dort ist inzwischen eine große Aufräumaktion im Gang. Illegale Gefängnisse, Entführung von Verdächtigen, Folter und Mord – George W. Bush hat auf den Skandal reagiert, lässt Agenten der Dienste CIA und NSA vorladen, verhören und mahnen. Um die schweren Vorwürfe aufzuarbeiten? Weit gefehlt. Die undichten Stellen, so die Logik jenseits des Atlantiks, durch die der ganze Sumpf publik wurde, müssen geschlossen werden.