Seine Befragung war verschoben worden. Um fast zwei Stunden. Aber dann war es zwanzig vor eins. Und Joschka war wieder da. Überpünktlich erschien er vor dem Saal des Marie-Elisabeth-Lüder-Hauses des Bundestags.Um zwanzig vor eins. Den Kragen des hellen Trenchcoats hatte er lässig hoch geschlagen, der Anzug war dunkelblau, die Krawatte tiefrot, das Haar tendenziell eher weiß als grau, auf der Nasenspitze trug er eine Brille. Es war ein fülliger Fischer, der hier auftrat. An der Presse, an den Mikros, den Kameras, marschierte er schnurstracks vorbei. In dem halb verglasten Saal mit Spreeblick setzt er sich an das Pult gegenüber dem halbrunden Tisch der Abgeordneten. Bevor es los ging, plänkelte er mit den Ausschuss-Mitgliedern. Und dann ging es los: "Mein Name ist Joseph Fischer, genannt Joschka", gab er Auskunft. Es klang wie: "Mein Name ist Bond. James Bond."
"Wir haben keinen Fehler gemacht"
Fischer, 58, Ex-Außenminister, mittlerweile Lehrbeauftragter an der US-Universität Princeton, sollte den BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages darüber aufklären, was er wann über die Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled el Masri in den Jahren 2003 und 2004 wusste - und vor allem über die Reaktion der Bundesregierung darauf.
Im Raum steht der Vorwurf, die Bundesregierung habe schon vor der Freilassung el Masris über dessen Verschleppung durch die CIA nach Afghanistan erfahren - und sie habe nicht angemessen reagiert. Fischer, der, ganz in sich selbst ruhend, gelassen auftritt, fast entspannt, fasst seine Sicht der Dinge im Fall el Masri in zwei kurzen Sätzen zusammen. Es sei seines Wissens nichts bewusst vertuscht worden, sagte er, auch nicht, weil es sich um die Vergehen eines befreundeten Geheimdienstes gehandelt habe: "Was würde mich davon abhalten, einen Fehler zuzugeben?", sagte Fischer. "Aber ich glaube, wir haben in dieser Sache keinen Fehler gemacht."
Der Linkspartei-Abgeordnete Wolfgang Neskovic hielt die Aussagen Fischers für so belanglos, dass er sagte, der Auftritt des Ex-Außenministers sei in die "Abteilung Unterhaltswert" einzuordnen. Deshalb wolle er Fischer keine Fragen stellen, sagte Neskovic - und verließ kurze Zeit später den Saal. Auch andere Oppositionspolitiker warfen Fischer vor, im Fall el Masri untätig gewesen zu sein.
"Der Vorgang war gravierend"
Auffallend war, wie sich der ehemalige Außenminister - ansonsten das Gegenteil eines passiven Mitläufers - als ohnmächtiges Glied darstellte. Fischer sagte, er habe keine Kenntnisse darüber, ob die deutschen Geheimdienste Informationen über el Masri an ausländische Stellen geliefert hätten, die möglicherweise zu dessen Entführung beigetragen hätten. Er könne nur sagen, wann und wie er von dem Fall erfahren habe und ob die Bundesregierung in "gebotener Weise", wie es im Untersuchungsauftrag heißt, darauf reagiert habe, sagte Fischer. Er könne sich daran erinnern, sagte Fischer, der immer wieder auf sein lückenhaftes Gedächtnis verwies, dass er im Juni 2004 ein Schreiben des Anwalts el Masris erhalten habe. Darin habe der Anwalt ihn über die Verschleppung seines Mandanten zur Jahreswende 2003/2004 und dessen Freilassung im Mai 2004 informiert.
Den Brief, so Fischer, habe er persönlich erhalten und sofort darauf reagiert. "Der Vorgang war gravierend, wenn die Fakten zuträfen", sagte Fischer. Immerhin sei hier der Vorwurf im Raum gestanden habe, dass ein deutscher Staatsangehöriger in einem Drittland entführt worden sei, man ihn seiner konsularischen Rechte beraubt habe, und das alles noch von einem befreundeten Geheimdienst durchgeführt worden sei. Er habe angeordnet, sagte Fischer, das Bundeskanzleramt zu verständigen. Dort sei beschlossen worden, die Federführung bei dem Thema dem Innenministerium und damit dem Minister Otto Schily zu übertragen. Deshalb habe Schily sich auch bald mit dem US-Justizminister John Ashcroft in Verbindung gesetzt.
Über das Schily-Coats-Gespräch las er im Internet
Fischer sagte, von dem Gespräch zwischen Schily und Daniel Coats, dem damaligen US-Botschafter in Berlin, dass bereits Ende Mai 2004 stattfand - also nach der Freilassung el-Masris Mitte Mai 2004, aber vor der Verfassung des Briefs des Anwalts - habe er erst im Dezember 2005 erfahren, bei der Lektüre der Online-Ausgabe der US-Tageszeitung "Washington Post." Zu diesem Zeitpunkt war Fischer schon nicht mehr Außenminister. In dem Gespräch hatte Coats Schily unter dem Siegel der Verschwiegenheit über die Entführung informiert.

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Das Ganze ist delikat, weil fraglich ist, ob die Bundesregierung el Masri mit dieser Information nicht früher hätte helfen können. Er könne sich nicht daran erinnern, mit Schily persönlich über den Fall gesprochen zu haben, sagte Fischer. Seine erste Reaktion bei der Online-Lektüre beschrieb er folgendermaßen: "Sapperlott", habe er gedacht. Er habe dann durch sein Bundestags-Büro prüfen lassen, ob das mit dem Gespräch stimme. Wie diese Prüfung genau erfolgt sei, wisse er, man verzeihe die Erinnerungslücken, jedoch nicht mehr. Auf die Frage, ob ihn das Verhalten Schilys im Nachhinein irritiert habe, sagte Fischer: "Irritiert? Das möchte ich nicht bewerten." Aus Sicht des Auswärtigen Amtes habe es jedenfalls keine Friktionen mit dem Innenministerium gegeben.
Vorwürfe gegenüber der mazedonischen Regierung
Fischer warf der mazedonische Regierung vor, die Deutschen nicht umfassend über ihre Erkenntnisse im Fall el Masri informiert zu habe. Er habe im Jahr 2005 die mazedonische Außenministerin gebeten, für die Deutschen einen Bericht über ihre Erkenntnisse über die Entführung el Masris in Mazedonien zu verfassen. Den Bericht habe er später in Form einer diplomatischen Note erhalten. Diese Note habe jedoch keine weiteren substanziellen Erkenntnisse erbracht. Die Mazedonier hätten sich als eher "hartleibig" erwiesen. Genau Auskünfte, so Fischer, könne er aber dazu auch nicht geben, weil es sein Nachfolger Frank-Walter Steinmeier sei, der die Note genauer kenne. Der könne ja darüber Auskünfte geben. Steinmeier sollte am Nachmittag vor dem Ausschuss aussagen.
Nach seiner zweistündigen Anhörung stellte sich der ehemalige Außenminister den wartenden Journalisten. Gefragt, ob ihm Berlin gefehlt habe, antwortete Fischer süffisant: "Ihr habt mir wahnsinnig gefehlt. Noch weitere Fragen? Frohes Fest."