Bürgerschaft wird gewählt Worum es bei der Wahl in Bremen geht

Klingt immer wieder überraschend, aber Bremen ist ein eigenständiges Bundesland. Weil es so ist, wird dort nicht nur ein Bürgermeister gewählt. Vier Thesen zum Wahlsonntag.

Tief im Westen/ wo die Sonne vertaubt!/ Ist es besser, viel besser, als man glaubt/ Bremen, ich komm' aus Dir/ Bremen, ich häng' an Dir ... ach nee, falsches Lied. Ging ja gar nicht um Bremen. Sondern um Bochum.

Also nochmal von vorne. Bremen. Genauer: Stadtstaat der Freien Hansestadt Bremen. Der, noch genauer, aus zwei Städten besteht. Bremen und Bremerhaven. Knapp 500.000 Wahlberechtigte leben dort. Würde jemand diese Kennziffer ernstnehmen, könnten sich Köln und München von ihren Bundesländern abkoppeln. Frankfurt am Main auch - mit ein paar kleineren Eingemeindungen. Kurz gesagt: Es ist schon ein wenig skurril, dass Bremen und Bremerhaven nicht einfach Städte in Niedersachsen sind. Sondern einen Stadtstaat bilden, mit Landtagswahlen, Sitz im Bundesrat und eigener öffentlich-rechtlicher Sendeanstalt inklusive Intendant und allen Schikanen.

Noch skurriler wirkt dieser Fakt, da Bremen aus sich heraus kaum lebensfähig ist. Seit 1970 liegt der Stadtstaat im Sauerstoffzelt des Länderfinanzausgleichs, die jährlichen Zuwendungen belaufen sich über einer halben Milliarde Euro pro Jahr, trotzdem haben die Bürger die höchste Pro-Kopf-Verschuldung bundesweit. Andererseits leben auch mindestens 160 Einkommensmillionäre in Bremen. " Gerne erzählt wird, dass sie zum Einkaufen lieber nach Hamburg fahren – nur nicht auffallen!", schreibt der Weser Kurier. Die Schlusspointe lautet, dass der Stadtstaat seit 1945 von Sozialdemokraten regiert wird. Das ist dann schon nicht mehr skurril, sondern bizarr. Vier Thesen zum Wahlsonntag.

Rot-Grün vorn
Die Umfragen sind eindeutig: Die SPD liegt bei etwa 35 Prozent, die Grünen bei 15 Prozent. Sollten keine Wunder passieren, reicht das. Entsprechend mau verlief der Wahlkampf. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) ist ohnehin nicht als politischer Rabauke verschrien. Still verwaltet er sein Amt, bundespolitisch ist er bislang mit keinem Satz aufgefallen. Zuletzt drehten sich die TV-Kameras 2010 nach ihm um. Warum? Weil er, was die Bremer mit großem Stolz goutierten, vier Wochen als kommissarischer Bundespräsident amtierte. Zwischen dem Abgang von Horst Köhler und der Wahl von Christian Wulff. Böhrnsen war damals Chef des Bundesrates und in dieser Funktion zum Präsidentenjob verpflichtet. Den Cut lieh er sich von seinem Vorgänger, den ausländischen Gästen stellte er sich mit der gewöhnungsbedürftigen Formel vor: "Ich bin der Bundesratspräsident, der zurzeit die Befugnisse des Bundespräsidenten wahrnimmt", sagte Böhrnsen im stern-Interview. Ansonsten legte er auch in diesem Amt sein wesentliches Erkennungsmerkmal an den Tag: hanseatische Zurückhaltung.

Union ohne Chancen


Es ist nicht so, als hätte sich die Kanzlerin nicht ins Zeug geworfen. 19 Minuten stand sie am Donnerstag mit der Bremer CDU-Kandidatin auf dem Marktplatz - und siehe da, die Sonne kam durch, wie die Kreiszeitung notierte. Sie schimpfte ein wenig auf den Unterrichtsausfall in Bremen, mahnte mehr Polizei auf den Straßen an, versprach eine gute Zukunft mit ihrer Partei - und Auf Wiedersehen. Viel zu holen ist ja auch nicht. Spitzenkandidatin Elisabeth Motschmann ist die Kompromissfigur eines heillos zerstrittenen Landesverbandes, eigentlich ist sie erzkonservativ, tritt im Wahlkampf aber auch im Hoodie auf, was ihrer Glaubwürdigkeit nicht eben hilft. Motschmann hat das Wahlziel 25 Prozent plus X ausgegeben, glaubt also selbst nicht mehr an eine Führungsrolle ihrer Partei. Für den Fall, dass sie verliert, wird sie tun, was sie bisher tat: Bundestagsabgeordnete sein. Und Angela Merkel wird die Wahlergebnisse wie üblich mit einem Anflug von Bedauern an sich abperlen lassen.

Puschy bringt die FDP ins Spiel
Diese Frau ist auf Speed - und das ist wörtlich zu nehmen. Reporter, die mit ihr ins Auto steigen, sollten starke Nerven haben. Denn Lencke Steiner, Spitzname "Puschy", will vorwärts, unbedingt, in allen Situationen. Von Haus aus ist die 29-jährige Unternehmerin und personell genau das, was der FDP in der Breite fehlt: jung, weiblich, talentiert. Auf den ersten Blick mag sie den Eindruck vermitteln, dass sie - nach Katja Suding in Hamburg - vor allem das nächste Postergirl der Liberalen ist. Aber hinter ihrer Bewerbung in Bremen steckt mehr. Sie könne sich vorstellen, eine "Spitzenposition" einzunehmen, sagte sie dem stern. Für die "Gala" posierte sie bereits unter der Rubrik "Drei Engel für Lindner" - womit der Parteichef sie wenigstens optisch seine Seite holte. Aktuell liegt die Bremer FDP immerhin bei 6,5 Prozent. Sollte Steiner den Einzug in die Bürgerschaft schaffen, wird dies die Story vom Comeback der Liberalen beflügeln.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Die AfD zerlegt sich


Die AfD ist in den Schlagzeilen und die verheißen der Partei nichts Gutes. Der andauernde Flügelkampf zwischen den Nationalkonservativen (Alexander Gaulandt, Frauke Petry) und den Wirtschaftsliberalen (Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel), die üblen Nachreden, die vergifteten Briefe, das brutale Gezerre um die Parteispitze - all' das vermittelt den Eindruck, dass die AfD nur noch mit sich selbst zu tun hat. Mit der Selbstzerfleischung. Für Wähler ist das nicht attraktiv, sie sind die Geiseln in einem Fight Club, bei dem es nicht um ihre Interessen geht. Derzeit steht die AfD in Bremen bei fünf Prozent - was ein Scheitern möglich macht, die Verbannung in die außerparlamentarische Opposition. Kommt es so, wird das die Zerrüttung der Bundespartei weiter befördern. Bremen ist für die AfD eine Testwahl in einer hochkritischen Phase. Denkbar, dass der Sonntag einen Paternoster-Effekt zeitigt. Die AfD fährt nach unten, die FDP nach oben.