Wer es in den letzten Tagen wagte, Gerhard Schröder kritische Fragen zum Afghanistan-Krieg zu stellen, musste sich vorkommen wie auf einem Kasernenhof. Der Genosse Hinrich Kuessner zum Beispiel, immerhin Präsident des Landtages von Mecklenburg, tat unlängst im SPD-Vorstand seinen Unmut über die Militärschläge kund und dachte sogar laut über einen Parteiaustritt nach: »Das musst du mit dir selbst ausmachen«, bollerte da der Parteichef quer über die Tischplatte. Auch die mächtige IG Metall wurde von Schröder rüde zurück ins Glied kommandiert, als sie eine Feuerpause forderte. »Lasst die Finger von der Außenpolitik, davon versteht ihr nichts«, beschied der Abkanzler knapp aus dem fernen China. »Jeder, der sich mit Zweifeln nach vorne wagt, wird inzwischen runtergemacht«, klagte der SPD-Linke Hermann Scheer.
Schröders Dünnhäutigkeit ist leicht zu erklären. Der Kanzler wusste längst, was Anfang dieser Woche auf ihn und seine Koalition zukommen würde: Ein Anruf aus Amerika, bei dem US-Präsident George W. Bush sagt, welchen militärischen Beistand er von Deutschland im Kreuzzug gegen den Terror erwartet.
Der Zeitpunkt hätte kaum unglücklicher sein können für Schröder und seine rot-grüne Koalition. Denn vier Wochen nachdem die Amerikaner mit ihren Angriffen auf Afghanistan begonnen haben, zeigt sich, dass die Kriegsskeptiker Recht behalten haben: Taliban und Terroristen sind so kaum zu besiegen, getroffen wird die Zivilbevölkerung. Das donnernde Bekenntnis des deutschen Regierungschefs zur »uneingeschränkten Solidarität« mit den USA entpuppt sich nun als schwere Hypothek - politisch und militärisch.
Bedingt einsatzbereit
Politisch, weil die Unterstützung für den Krieg rapide abgenommen hat - auch in den eigenen Reihen. Militärisch, weil der Kanzler nur über eine zweitklassige Armee verfügt: Die Bundeswehr ist nach diversen Sparrunden nur sehr bedingt einsatzbereit. Die Bundesbürger frösteln inzwischen sehr stark bei dem, was Schröder die »Enttabuisierung des Militärischen« nennt. Gleich nach den Terroranschlägen waren noch 60 Prozent für Vergeltungsschläge - jetzt wollen bereits 57 Prozent eine Unterbrechung der Angriffe.
Zudem kommt die Bitte um Beihilfe sehr ungelegen vor den Parteitagen der beiden Koalitionsparteien. Der Kongress der SPD, der in gut einer Woche beginnt, ist dabei nicht ganz so gefährlich. Da der Ernstfall nun da ist, kann Schröder die zuletzt immer nervöser gewordenen Genossen rechtzeitig zur uneingeschränkten Solidarität mit ihm und der Regierung zwingen, bevor sich der aufgestaute Unmut auf dem Parteitag entlädt und zum Anti-Kriegs-Aufstand führt.
Weitaus kritischer ist die Situation bei den Grünen, die sich eine Woche später in Rostock treffen und deren Basis am liebsten eine Feuerpause in Afghanistan erzwingen würde - und nicht noch zulassen will, dass jetzt auch Deutschland im ungeliebten Krieg aktiv mitmacht. Selbst der grüne Parteichef Fritz Kuhn setzte sich zuletzt vom Regierungskurs ab und befand: »Man muss nicht alles für richtig finden, was der Partner für richtig hält.« Genügend Stoff, um die Koalition zu sprengen.

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Welche militärischen Hilfen die Deutschen jetzt und in Zukunft leisten können, war unter Sicherheitsexperten längst kein Geheimnis mehr. Neben Fachpersonal für Awacs-Überwachungsflugzeuge, das bereits abgerufen wurde, könnten die Deutschen auch ihre Elite-Eingreiftruppe »Kommando Spezialkräfte« (KSK) und Sanitätstruppen ins Feld schicken. Das gilt auch Tornado-Kampfjets, Flottendienst- und Minensuchboote sowie die Kleinpanzer »Fuchs« und »Wiesel«.
Am Ende der Möglichkeiten angelangt
Das klingt imponierend. Aber damit ist die Bundeswehr schon so gut wie am Ende ihrer Möglichkeiten. »Für einen lang andauernden Konflikt mit hohem Eskalationspotenzial«, so der Leiter des Instituts für strategische Analysen, Holger H. Mey, »sind die deutschen Streitkräfte in keinster Weise ausgerüstet und vorbereitet.«
Jetzt rächt es sich, dass der Kanzler die Bundeswehr in den ersten Jahren seiner Amtszeit vor allem als Sparschwein benutzt hat. Innig war sein Verhältnis zur Truppe ohnehin nie: Bis heute ist dem Niedersachsen die abgezirkelte Welt der Kasernenhöfe fremd geblieben. Dem Tschingderassabum öffentlicher Gelöbnisse wohnt Schröder zwar pflichtbewusst, aber mit erkennbarem inneren Unbehagen bei.
An Weltpolitik aber, auch wenn sie mit militärischem Nachdruck daherkommt, hat der Kanzler schnell Gefallen gefunden - schneller als jeder seiner Vorgänger. Ausgerechnet der Chef einer rot-grünen Regierung schickte deutsche Soldaten nach Georgien und Ost-Timor, gab den Marschbefehl ins Kosovo, nach Bosnien und Mazedonien.
Wenn es allerdings ums Geld geht, spielt das internationale Engagement der Bundeswehr für Schröder keine Rolle mehr. Bis zum 11. September war keine Etatverhandlung vergangen, ohne dass der Kanzler seinen Wehrminister Rudolf Scharping mit Sparforderungen an den Rand des Rücktritts getrieben hätte. Seit Jahren wird die Truppe systematisch kurz gehalten. Jetzt graust es die Spitzenmilitärs bei der Vorstellung, dass mit dem Afghanistan-Krieg ein weiteres Abenteuer dazu- kommen könnte.
»In der jetzigen Struktur wären wir nicht in der Lage, unsere internationalen Verpflichtungen zu erfüllen«, warnte bereits wenige Tage nach den Terrorattacken in den USA Deutschlands oberster Soldat, Generalinspekteur Harald Kujat. In ihrer Not müsse die Truppe für die Balkan-Einsätze schon jetzt aus bis zu 180 Einheiten Personal und Gerät herbeischaffen, um überhaupt noch leistungsfähige Verbände auf die Beine zu stellen. Kujat: »Dieser Zustand ist nicht hinnehmbar.«
Geschichten wie aus dem Absurditätenkabinett
Wohl wahr. Würde der Kriegskanzler ein Besuchsprogramm in den Kasernen absolvieren, er bekäme ein Unternehmen auf Abbruch vorgeführt - und Geschichten wie aus dem Absurditätenkabinett.
Da müssen die Männer der Fregatte »Niedersachsen« regelmäßig auf hoher See ein Schlauchboot aussetzen und zu holländischen Partnerschiffen rudern, um ihre E-Mails mit Befehlen und taktischen Anweisungen abzuholen - denn die Deutschen haben keine digitale Telefonanlage an Bord. Ein Zerstörer aus Kiel muss sein Manöver vorzeitig abbrechen und
mit Volldampf gen Heimat fahren, weil plötzlich kein Geld mehr da ist, um den Seeleuten die »Abwesenheitsvergütung« zu zahlen. Deutsche Piloten dürfen bei Nato-Übungen nur noch die Rolle feindlicher Maschinen spielen, weil ihre veralteten Phantom-Jets über kein aktives »Freund-Feind-Erkennungssystem« verfügen.
Das Personal, das den hoffnungslos veralteten Spähpanzer »Luchs« warten muss, verwendet mittlerweile ein Drittel seiner Zeit nur für die Rostbekämpfung. Gern gesehen bei den US-Nato-Partnern sind allerdings die Uralt-Hubschrauber vom Heeresfliegerregiment 10. »Die stellen sich neben unsere Maschinen und machen Erinnerungsfotos für die Lieben daheim«, höhnt ein Pilot. »Papa mit einem Original-Vietnam-Hubschrauber.«
Finanzierung? Völlig ungeklärt
Als Europas Regierungschefs vor knapp zwei Jahren beschlossen, eine 60000 Mann starke Eingreiftruppe für Kriseneinsätze aufzubauen, mochte der deutsche Kanzler trotzdem nicht abseits stehen und versprach, bis Ende 2003 rund 18000 Soldaten zu stellen. Die Finanzierung? Völlig ungeklärt.
Der Nato sicherte Schröder zu, bei der Bundeswehr 58 gravierende Ausrüstungsdefizite zu beheben. Bisher sollen die Deutschen unter den verabredeten Planzahlen liegen. In Nato-Kreisen witzelt man schon säuerlich über die Sprücheklopfer aus Berlin. Im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung geben Frankreich und Großbritannien für ihre Streitkräfte über 50 Prozent mehr aus. Falls Deutschland als Militärmacht wirklich mithalten wollte, müsste der Wehretat nicht rund 47 Milliarden Mark, sondern wenigstens 70 Milliarden betragen - politisch niemals durchsetzbar.
Finanzspritze von 1,5 Milliarden Mark
Mit der Finanzspritze von 1,5 Milliarden Mark, die Scharping jetzt aus dem Anti-Terror-Paket bekommt, kann er nur Löcher stopfen. 200 Millionen Mark will er, seinem internen Konzept zufolge, zur »Nachwuchsgewinnung und Attraktivitätssteigerung« einsetzen - angesichts weltweiter Kriegsführung rechnen seine Planer mit immer weniger Rekruten. An den zügigen Umbau der rund 300000 Soldaten starken Wehrpflichtarmee zur kleinen, hochprofessionellen Interventionstruppe will sich der Kanzler nicht wagen. Stattdessen soll Scharping alles und irgendwie auch alles zugleich versuchen: die Wehrpflicht beibehalten, Elitetruppen für Kriseneinsätze bereitstellen, möglichst wenige Standorte schließen - und auf keinen Fall mehr Geld ausgeben.
Es gebe inzwischen »eine riesige Kluft zwischen Absichtserklärungen, politischem Anspruch und der haushaltsmäßigen Wirklichkeit«, monierte unlängst Klaus Reinhardt, früher Vier-Sterne-General und zuletzt Chef der deutschen Kfor-Truppen. »Die Bundesregierung«, mahnt Reinhardt, »muss endlich sagen, was sie mit dieser Bundeswehr vorhat.«
Eine Antwort erzwingen nun die Amerikaner - finanziell wie politisch. Eine Ausweitung des Krieges über Afghanistan hinaus will allerdings auch Schröder nicht mitmachen, schon gar nicht unter deutscher Beteiligung. »Es gibt keine Solidarität zu allem und jedem«, sagt ein Kanzlerberater. Vielleicht gibt es aber bald keine rot-grüne Koalition mehr.
Tilman Gerwien / Mitarbeit: Andreas Hoidn-Borchers, Lorenz Wolf-Doettinchem