Braucht es Poesie im Deutschen Bundestag? Die Autorinnen Mithu Sanyal und Simone Buchholz und der Autor Dmitrij Kapitelman finden, ja. Die drei hatten gefordert, dass der Bundestag das Amt einer Parlamentspoetin oder eines Parlamentspoeten nach kanadischem Vorbild schafft. Solch ein Amt könne "als Irritation, als Störfaktor" dienen und zugleich "Brücken bauen" und "Risse in unserer Gesellschaft heilen".
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) hat den Vorschlag als "beachtenswerten Impuls" bezeichnet. "Wir sollten jeden klugen Gedanken aufnehmen, wie wir unsere Kultur und das Bewusstsein für unsere Sprache im Sinne von Freiheit und Demokratie stärken können", sagte Göring-Eckardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) vergangene Woche. Sie kündigte ein baldiges Treffen mit den Initiatoren an.
Parlamentspoetin: Vorbild Kanada
Das kanadische Parlament hatte die Position im Jahr 2001 geschaffen. Die Poetin oder der Poet, der oder die den offiziellen Titel "The Parliamentary Poet Laureate" trägt, schreiben Texte für besondere parlamentarische Veranstaltungen, halten Dichterlesungen ab und beraten die Parlamentsbibliothek bei der Anschaffung von Kulturmaterial. Ähnliche Positionen gibt es auch in den USA und anderen Ländern.
"Eine starke Kultur und ein wertschätzender Umgang mit unserer Sprache sind essentiell für jede offene Gesellschaft", sagte Göring-Eckardt. Sie wolle den Impuls für eine Parlamentspoetin oder einen -poeten "gerne aufnehmen" und mit den Initiatoren "ins Gespräch kommen, wie wir auch im Parlament das wertvolle Anliegen der Förderung von Kultur und Sprache verfolgen können."
"Der Bundestag ist zwar diverser geworden, aber er bildet längst noch nicht die gesamte Gesellschaft ab", sagte Initiatorin Simone Buchholz dem RND. "Wir würden uns wünschen, dass dort jemand tätig wird, die oder der nicht von vornherein willkommen ist, den Betrieb stört und zum Nachdenken bringt. Sich zum Beispiel zwei Jahre lang nur mit Rüstungslobbyismus beschäftigt – und der Bundestag muss das aushalten. Oder eine junge türkischstämmige Rapperin übernimmt das Amt."
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Wolfgang Kubicki: "elitäres Projekt"
Göring-Eckardts Kollege Wolfgang Kubicki (FDP) hat sich gegen die Idee ausgesprochen. "Ich kann dem Vorschlag nicht viel abgewinnen", sagte Kubicki dem "Tagesspiegel" laut Bericht vom Dienstag. Er sehe vor allem, "dass hinter dieser Idee ein großes Missverständnis künstlerischer Tätigkeit steckt", meinte der FDP-Politiker und fügte hinzu: "Künstler sollen eigentlich Stachel im Fleisch der Herrschenden sein, nicht deren Angestellte."
Besser wäre es Kubicki zufolge, "allen Künstlern, die durch die Pandemie schwer getroffen wurden, die Möglichkeit der freien Betätigung zu geben, statt ein solches elitäres Projekt zu implementieren."