Sie wollen wie Merkel sein, suchen ihre Nähe, zu ihrem Erbe. Vielleicht ist das die größte Überraschung in diesem Wahlkampf vor dem Ende ihrer fast 16 Jahre andauernden Amtszeit: Wurde auf den paralysierende Politikstil der Kanzlerin schon allzu oft der Schwanengesang angestimmt, wird ihr nun wieder der Refrain gewidmet.
Armin Laschet, Kanzlerkandidat der Union, ging schon mit der Prämisse ins Rennen um den CDU-Vorsitz: "Ein Bruch mit Angela Merkel wäre exakt das falsche Signal". Unlängst bekräftigte er, Kanzler "in Kontinuität zu Angela Merkel und dem, was sie geleistet hat" zu werden.
Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD, macht die "Merkel-Raute", wirbt mit dem Slogan: "Er kann Kanzlerin".
Und auch Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen, betont regelmäßig, dass nur mit ihr wieder eine Kanzlerin ins Kanzleramt einziehe. Auch ihr Umgang mit Drucksituationen weckt Erinnerungen.
Die Kanzlerin wirft einen langen Schatten auf diesen Wahlkampf. Sie ist immer noch, und mit Abstand, die beliebteste Politikerin des Landes. Ihre Arbeit wird von den Wähler:innen hoch geschätzt. Dass die Kandidat:innen versuchen, sich an die Rockschöße Merkels zu hängen, erscheint auf den Weg ins Kanzleramt opportun. Doch stellt das immer noch hohe Ansehen der Kanzlerin die Aspirant:innen auf ihre Nachfolge auch vor individuelle Probleme.
Das Merkel-Dilemma
Laschet muss einen Spagat hinlegen, der schon seiner Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Verhängnis wurde: Aus dem Schatten der Kanzlerin zu treten, um ein eigenes Profil zu entwickeln, aber ohne auf Distanz zu gehen, um den Merkel-Bonus nicht aufs Spiel zu setzen. Ein Dilemma: Ein allzu tatkräftiger Versuch, sich von der Kanzlerin abzusetzen, wäre eine Abkehr von ihrem Kurs – und damit auch die unweigerliche Bewertung, dass ihr Kurs nicht so gut war.
Aber dafür müsste Laschet erst einmal aus ihrem Schatten treten. Ein scheinbar unmögliches Unterfangen angesichts der Strahlkraft, die Merkel nach wie vor umgibt. Wieder ein Dilemma: Tritt Merkel in den Vordergrund, gehören ihr die Schlagzeilen – tut sie das nicht, steht sie dennoch im Zentrum. Bei Wahlkampfveranstaltungen richtet sich der Fokus auf sie, auf das was sie sagt (und nicht sagt). Und nicht auf Laschet. Hält sie sich hingegen zurück, wird gemunkelt: Warum macht die Kanzlerin keinen Wahlkampf für die Union? Geht sie auf Distanz zum Spitzenkandidaten?
Das Raunen darüber wurde so groß, dass sich Laschet offenbar dazu veranlasst sah, Stellung zu beziehen. Am Mittwochabend stellte er in Berlin eine Biografie vor. Der Titel: "Angela Merkel. Die Kanzlerin und ihre Zeit". Als Laschet den Termin einst zusagte, sah er darin womöglich eine Möglichkeit, Nähe zur Kanzlerin zu demonstrieren und sie in seinen Wahlkampf zu integrieren.
Nun äußerte er sich zur Kritik, die in der Union hinter vorgehaltener Hand geübt wird, die Kanzlerin engagiere sich im Wahlkampf nicht ausreichend für Laschet. Der CDU-Chef sagte auf entsprechende Reporterfragen: "Das ist das wichtigste Amt in Europa. Und das erfordert, dass der, der es will, es sich selbst erkämpft, und nicht von der Gunst des Vorgängers abhängt." Laschet sieht sich ausreichend von der Amtsinhaberin unterstützt – auch wenn sie noch nicht direkt zu seiner Wahl aufgerufen hat.
Die Erbschleicher
Dass auch Merkel die Kritik an ihrer Zurückhaltung vernommen haben dürfte, zeigte eine für sie ungewöhnlich deutliche Einlassung. Sie ging SPD-Kanzlerkandidat Scholz erstmals direkt an. Ob auf Drängen der eigenen Leute oder angesichts beunruhigender Umfragewerte für die Union: Ihre Aussage sorgte schnell für Aufsehen: "Merkel attackiert Scholz", schlagzeilte etwa die "Tagesschau". Auch das ein Beleg für das Gewicht, das ihre Worte immer noch haben.
Sie kritisierte Scholz dafür, keine Farbe bekennen zu wollen. Scholz vermeidet es bisher, eine klare Aussage zu einem möglichen Linksbündnis zu treffen (was dahinter steckt, lesen Sie hier). Mit ihr als Bundeskanzlerin würde es "nie eine Koalition geben, an der die Linke beteiligt ist", sagte Merkel bei einer Pressekonferenz mit dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz auf eine Journalistenfrage. "Ob dies von Olaf Scholz so geteilt wird oder nicht, das bleibt offen." In diesem Zusammenhang sei es "so, dass da ein gewaltiger Unterschied für die Zukunft Deutschlands zwischen mir und ihm besteht."
Das musste offenbar gesagt werden. Scholz fährt gut mit seiner Strategie, sich als erfahrener kompetenter Nachfolger von Merkel zu inszenieren. Zu gut, zumindest in den Augen führender Christdemokraten. CSU-Chef Söder warf ihm unlängst "eine Art Erbschleicherei" vor, Laschet beklagte schon während des TV-Triells, Scholz könnte "nicht wie Angela Merkel spielen und reden wie Saskia Esken." Bei der Buchvorstellung wies Laschet daher wohl auch mit Genugtuung auf Merkels Kritik hin. Es sei ihr scheinbar ein Bedürfnis gewesen, "das mal im Klartext zu sagen". Die Kanzlerin habe für sie ungewohnt deutlich klar gemacht, dass das, was der SPD-Kandidat mache, "wenig mit dem zu tun hat, was sie gemacht hat."
Dass auch Scholz die Amtsinhaberin immer mitdenkt, zeigt nicht nur seine Wahlkampfstrategie. Auch seine Reaktion auf den Bescheid der Kanzlerin lässt zumindest stutzen: Er nahm die Kritik mit (merkelscher) Gelassenheit – und sprach sogar eine Art Lob für die Regierungschefin aus. "Als ehemalige Bundesvorsitzende der CDU sollte sie diese Antwort geben", sagte Scholz. Trotzdem arbeite er auch in diesen Tagen weiterhin gut mit ihr zusammen. Im Übrigen sei er der Auffassung, dass die 16 Merkel-Jahre für Deutschland Fortschritt gebracht hätten (natürlich nicht ohne den Hinweis, weil die SPD in drei der vier Regierungen dabei gewesen sei). Dennoch: Ein Gegenangriff war das nicht, Kritik verkniff er sich. Mutmaßlich in dem Wissen, dass ihm – dem Möchte-gern-Merkel-Erben – diese schaden könnte.