Wer in diesen Tagen Angela Merkel reden hört, kann gar nicht anders: Er muss automatisch an Peer Steinbrück denken. Der designierte Kanzlerkandidat der SPD hat bei seinen öffentlichen Auftritten so ziemlich alles, was der Frau, die er gerne ablösen möchte, abgeht: Temperament, Tempo, Witz, Schlagfertigkeit. Kurz: Steinbrück besitzt hohen Unterhaltungswert.
Zu besichtigen war das zuletzt am Sonntag im "Berliner Ensemble". Da saß er auf dem Podium vor einem sehr wohlgesonnenen Publikum, zog seine Steinbrück-Show ab, es wurde viel gelacht und applaudiert. Bis Steinbrück einen großen Fehler machte: Er griff die Kanzlerin an. In einem Satz nur und ziemlich harmlos. Angela Merkel biete kaum Angriffsflächen, sie besitze aber auch nur "wenig Konturen". Da war plötzlich Schluss mit lustig. Das Publikum murrte und protestierte. Spätestens da dürfte Steinbrück klar geworden sein, wie weit und beschwerlich der Weg ins Kanzleramt sein wird.
Siebeneinhalb Minuten Applaus
Ende der notwendigen Vorrede, und jetzt schalten wir um zum CDU-Parteitag nach Hannover, wo Angela Merkel an diesem Dienstagmittag eine nach der ziemlich exklusiven Einschätzung ihres Parteifreundes David MacAllister "große und wegweisende Rede" gehalten hat. Richtig ist, dass die Delegierten am Ende der real einstündigen, gefühlt deutlich längeren Ausführungen sieben und eine halbe Minute geklatscht haben. An Begeisterung kann es nicht gelegen haben, eher an Mangel an sonstiger Bewegung. Oder daran, dass alle froh waren, es endlich hinter sich zu haben.
Eigenlob und Phrasen
Nun ist seit Jahren bekannt, dass Merkel keine große Rednerin ist. Aber selbst für ihre Verhältnisse war das eher: Nichts. Eine Pflichtübung, mehr nicht. Lustlos vorgetragen und ohne intellektuelle Widerhaken. Von neuen Gedanken gar nicht zu reden - mal abgesehen von der vorsichtigen Drohung an die Wirtschaft, vielleicht doch eine gesetzliche Quote einzuführen, falls sie nicht bald freiwillig mehr Frauen in Führungspositionen bringt. Dafür war mal wieder alles andere drin: Das Eigenlob für die vermeintlich sagenhafte Bilanz ihrer Regierung; das Bekenntnis zu Schwarz-Gelb, das ihr schon lange keiner mehr so recht abnimmt; die soziale Marktwirtschaft und das christliche Menschenbild; Wohlstand und Wachstum; die Energiewende, die Bildungsrepublik Deutschland, die Bundeswehrreform und jedes Kind, das Chancen haben soll und deutsch können muss; die Schlüsselworte Glaube, Zukunft, Menschen, Deutschland. Tausendmal gehört, oft besser, sogar von Merkel.
Bundesvereinigung bekennender Masochisten
Nach einem Rockkonzert, bei dem die Band derart uninspiriert ihr Repertoire runterschrubbt, hätte es am Ende Buh-Rufe gegeben, bestenfalls. Auf keinen Fall aber Beifall. Es sei denn, die Gruppe wäre vor der Bundesvereinigung bekennender Masochisten aufgetreten. Aber das unterscheidet eben Parteitage vom richtigen Leben. Konturen? Gab es in der Tat kaum. Will Merkel aber auch gar nicht bieten. Ihr reichen ein aus einer Satiresendung zitierter Spruch über ihren Koalitionspartner "Gott hat die FDP vielleicht nur erschaffen, um uns zu prüfen" und ein, zwei Attacken auf die SPD und deren "Mittelstandsgefährdungsprogramm" - das waren aber auch schon die Höhepunkte ihrer Rede. Angriffsflächen? Sehen bei Merkel so aus: "Bei uns gibt es nicht Entweder-Oder, sondern Sowohl-als-Auch." Deshalb kann sie zugleich für Elterngeld, Betreuungsgeld und Kita-Plätze sein.
Langweilig mit Absicht
Beim Steinbrück-Test wäre sie damit sang- und klanglos durchgefallen. Aber genau das ist ja ihre Strategie: Möglichst nicht zu packen zu sein. Es ziemlich vielen recht zu machen. Und das wiederum ist ihr in Hannover hervorragend gelungen. Sie will ja gar nicht brillieren. Gut darstellen dürfen sich andere. Sie ist gerne langweilig, wenn es Erfolg verspricht. Merkwürdig, aber wahr: Sie ist schlecht, und das offenbar sogar mit voller Absicht. Das muss man erst mal bringen. Und so gesehen, ist sie schon wieder ziemlich gut. Womöglich zu gut für Steinbrück.
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