Perfekt zelebriert er das Repertoire seiner Gesten und ist die Bühne noch so klein - Washington DC, ein strahlender Maimorgen, es geht um große politische Fragen; gut 200 Zuhörer sitzen auf unbequemen Stühlen. Eine Konferenz zum Thema Europa.
Mal verschränkt der ehemalige Außenminister distanziert die Arme überm Bauch, mal runzelt er missbilligend die Stirn, schüttelt den Kopf - und wenn es ganz ernst wird, legt er sein Haupt felsenschwer in die linke Hand. Kein Zweifel: Dieser Mann hat noch was zu sagen. Und zwar jede Menge: Europa, der Iran, Krisenherde in aller Welt, dazu die bitteren Lektionen der Geschichte aber vor allem "Peace and Stability". Frieden und Stabilität. Auf Englisch. So könnte es aussehen, das neue Leben des Joschka F., Außenminister a.D.
Es ist die Woche der Deutschen hier in Washington. Sie werden umgarnt, hofiert wie seit Jahren nicht mehr. Joschka Fischer ist da, Otto Schily auch, er soll über Terrorismusbekämpfung sprechen.
So beliebt sind diese Deutschen auf einmal wieder, dass selbst eine Delegation konservativer Abgeordneter des Europäischen Parlaments ihre Gesprächspartner im Kongress mit den Details europäischer Agrarsubventionen quälen darf.
Vor allem aber die Bundeskanzlerin räumt politische Liebesbeweise en gros ab. Geht mit Bush im Garten spazieren, nachdem man in der Iran-Frage entschlossene Einigkeit demonstriert hat. Hat sich dann beim Abendessen im "Family Dining Room" so viel zu erzählen, dass der Zeitplan ordentlich durcheinander gerät. Und mehr noch: Schon in zwei Monaten will Präsident Bush nach Mecklenburg-Vorpommern kommen, um dort vom wahren Leben im Osten zu kosten. Deutschland ist wieder so richtig obenauf im Weißen Haus. Gerhard Schröder? Wer war das noch mal?
Was kommt nach dem glanzlosen Abgang?
Viele hatten sich gefragt, was wohl aus ihnen werde nach ihrem glanzlosen Abgang aus der großen Politik - aus den drei Platzhirschen des rot-grünen Kabinetts, dem Schröder, dem Schily, dem Fischer. Keiner weinte ihnen nach, keiner jammerte. Im Gegenteil: Es hagelt Kritik an Gerhard Schröder, der sich so schäbig bei den Russen verdingt. Otto Schily sitzt im Auswärtigen Ausschuss und träumt von einer Zukunft als "Elder Statesman".
Und Joschka Fischer, frisch verheiratet, wolle vielleicht eine Gastprofessur in den USA annehmen, hatte der stern im vergangenen Januar gemeldet. Offiziell ließ er lediglich ausrichten, dass ihm die Universität Princeton das Angebot über eine Gastprofessur für ein akademisches Jahr gemacht hatte. Eine Entscheidung darüber, ob er sie annehme oder nicht, habe er nicht getroffen, sagte er damals.
Dabei scheint es ihn in diesen Wochen nahezu unermüdlich nach Westen zu ziehen. Gerade noch war er in Kalifornien, hielt einen Vortrag über die EU-Erweiterung und das transatlantische Verhältnis. Danach eine kurze Stippvisite zu Hause in Berlin und vergangenen Sonntag schon wieder über den Teich, für fünf Tage nach Washington. Jetlag? Anstrengung? Da grinst er nur: "Ich habe ja da wohl einen echten Vorteil."
Fischer macht immer eine gute Figur
Und er macht eine gute Figur: als Ex-Außenminister, als Deutscher mit europäischer Mission, als kluger Kopf. In Amerika mag man Menschen wie ihn. Mag seine Geschichte, die Wandlung vom steinewerfenden Revoluzzer zum Staatenlenker. Solche "Stories" liebt man in Amerika. Und neidisch guckt auch keiner.
Als ehemaligem Außenminister und derzeitigen Abgeordneten steht ihm in der US-Hauptstadt die standesgemäße Betreuung durch die Deutsche Botschaft zu: Man schreibt ihm ein Programm, stellt ihm einen jungen Diplomaten an die Seite und eine anständige Transportmöglichkeit in Form eines BMW 750 L ist natürlich auch noch drin.
Fischer hat sich zu einer Tagung bei der Brookings-Institution angesagt, einem der angesehenen "Think Tanks" der USA, deren Direktor einmal stellvertretender Außenminister unter Bill Clinton war. "Scheitert die Europäische Union?" lautet die nicht ganz überraschende Frage, die tunlichst in 90 Minuten beantwortet werden soll.
Fischer teilt das enge Podium mit einer gesprächigen ehemaligen französischen Europaministerin, einem scharfzüngigen Professor der Eliteuniversität Princeton und einem euroskeptischen Meckerfritzen von der britischen Times. Klar, wer hier der Star ist. Der verschränkt die Arme, runzelt die Stirn, schüttelt den Kopf, murmelt Kommentare. Immer noch gehört Joschka Fischer die Welt.
Sein Englisch ist beinahe akzentfrei, die Thesen ebenso klar wie bekannt. "Die Alternative zur europäischen Erweiterung wäre wachsender Nationalismus", lautet eine; "Wenn Europa scheitert, haben wir es mit einer weiteren Krisenregion zu tun", eine andere.
Ex-Kollegen werden deutlich kritisiert
Einzig die Kritik an ehemaligen Kollegen fällt deutlicher aus als früher, wenn er den "Mangel an Führungsqualität" bei europäischen Regierungschefs beklagt. Stets die historische Perspektive im Gepäck, rät er, die europäische Krise bis 2012 zu bewältigen. Und wie immer geht es ihm um "Frieden und Stabilität".
Sieht ganz so aus, als fühle sich Fischer pudelwohl in diesem Amerika, dem des liberalen, intellektuellen Establishments der Ostküste. Im Amerika der reichen Eliteuniversitäten Harvard oder Princeton, der elitären Polit-Forschungsinstitute, der gut dotierten Vorträge. Hier blüht die Industrie der Ehemaligen, hier werden "Ex" wie er umgarnt - Ex-Minister, Ex-Präsidenten, Ex-Sicherheitsberater, Ex-Senatoren.
So kann man sich verdingen, etwa als "Visiting Professor", als Gastprofessor, hat vielleicht noch einen lukrativen Buchvertrag dazu. Auch Memoiren aller Art gehen generell gut. Ebenso begehrt sind Engagements als Experte bei US-Fernsehsendern - da gibt es PR gleich inklusive.
Andere, wie Fischers gute Freundin, die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright, gründen eine eigene Beratungsfirma, in der man seine Kontakte lukrativ nutzt. Oder setzt sich, wie Fischers Freund, der ehemalige US-Außenminister Colin Powell, ins "Redner-Karussell", wird Speaker bei großen Kongressen. Das bringt Honorare im sechsstelligen Bereich. Ständig trifft man andere Ehemalige, diskutiert, konferiert, publiziert Kommentare, schäkert, tauscht Erinnerungen aus. Es ist wie auf einem Endlos-Klassentreffen. Und das Schönste: niemand meckert, niemand mäkelt rum.
So ein Deutscher wie Joschka Fischer hat hier gerade noch gefehlt. Zu Hause, im trüben Berlin, muss er sich mit Untersuchungsausschüssen plagen. Zu Hause ist er nur ein Abgeordneter, einer von der Opposition. Zuhause ist das Gestern. In Amerika ist eigentlich alles immer Zukunft.
Fischers Festrede zur 100. Konferenz
An diesem Mittwochabend ist er Festredner bei Jahres-Konferenz des einflussreichen "American Jewish Committee". Es ist die 100. Konferenz, ein wichtiges Ereignis. Einen Tag später werden die ganz Großen vor den knapp 2000 Delegierten aus aller Welt reden: Präsident Bush, UN-Generalsekretär Kofi Annan - und zum ersten Mal nach Bundespräsident Rau und natürlich Joschka Fischer auch der Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland, Kanzlerin Merkel.
Fischer hält eine schwungvolle, nachdenkliche Rede, er schüttelt Hände, er lässt sich feiern. Ein Forum, wie gemacht für ihn. Anfang Juni ist er wieder da. Diesmal zu einer wichtigen, hochkarätigen Konferenz in New York. Madeleine Albright wird teilnehmen, dazu zwei ehemalige US-Sicherheitsberater. Das Thema: "Global Leadership" in diesem Jahrhundert. Eine Konferenz, wie gemacht für ihn.