Unbeeindruckt von lautstarker Empörung bei den Gewerkschaften will Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement (SPD) den Kündigungsschutz in Kleinbetrieben lockern. Tabus auf diesem Feld hätten über lange Jahre vernünftige Regelungen behindert, sagte Clement heute in Berlin. Er wolle dabei nicht alte Vorschriften wieder einführen, sondern neue, intelligente Lösungen und mehr Flexibilisierung.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) wollte nicht eindeutig zu dem Vorstoß Stellung nehmen. Über Einzelheiten müsse mit Arbeitgebern und Gewerkschaften gesprochen werden, sagte Schröder dem Fernsehsender N24. Es müsse jedenfalls alles getan werden, damit vor allem in den kleineren Betrieben die Arbeitslosigkeit abgebaut werden könne.
Arbeitgeber und Mittelstandsverbände begrüßten Clements Vorstoß. Die CDU/CSU sprach einerseits von Wahlbetrug - vor der Bundestagswahl habe sich die SPD noch als «Gralshüterin von Arbeitnehmerrechten zelebriert». Allerdings ließ Unions-Fraktionsvize Friedrich Merz auch grundsätzliche Sympathie für Clements Pläne erkennen.
Der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg sagte, die Bundesregierung wolle die Vorschläge prüfen. Entscheidungen seien noch nicht gefallen. Clements Initiative sei ein «Denkanstoß» und «eine persönliche Idee, die weiter mit den Sozialpartnern diskutiert wird». Der grundsätzliche Kündigungsschutz stehe aber «überhaupt nicht in Frage».
Steg verwies darauf, dass Schröder am kommenden Montag bei den Arbeitgeberverbänden und einen Tag später bei einer DGB- Vorstandsklausur zu Gast sei. Beide Gespräche sollten dazu beitragen, im ersten Quartal 2003 eine neue Spitzenrunde des Bündnisses für Arbeit tagen zu lassen.
Clement hatte zunächst in der Freitagsausgabe der «Financial Times Deutschland» vorgeschlagen, den Kündigungsschutz in kleinen Betrieben zu lockern. Der strenge deutsche Kündigungsschutz für Unternehmen ab sechs Mitarbeitern behindere dringend notwendige Einstellungen im Mittelstand. Er trat für einen gleitenden Übergang beim Schwellenwert der Beschäftigtenzahl ein.
Dies führte unmittelbar zu scharfen Reaktionen der Gewerkschaften. Der DGB kündigte «härtesten Widerstand» an. DGB-Chef Michael Sommer forderte Clement auf, den Vorschlag aufzugeben. Der Arbeitsplatz-Effekt sei gleich Null. «Das ist kein geeignetes Rezept für einen Aufschwung», sagte Sommer. Die SPD habe im Wahlkampf versprochen, mit ihr gebe es keine Lockerung des Kündigungsschutzes. Er werde dieses Versprechen am Dienstag bei seinem Gespräch mit Kanzler Schröder in aller Deutlichkeit einfordern, sagte Sommer.
Griff in die Klamotten-Kiste
Auch die IG Metall warnt vor einer Lockerung des Kündigungsschutzes. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel sagte in Frankfurt am Main, dies sei «ein Griff in die Klamotten-Kiste der Vorschläge, die sich längst als wirkungslos erwiesen haben».

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Clement verteidigte sein Votum für flexiblere Regelungen. Das Problem bestehe in der starren Grenze von fünf Beschäftigten, ab der Betriebe unter das Kündigungsschutzgesetz fallen. Das verhindere Einstellungen, weil sich die Rechtslage ab sechs Arbeitnehmern ändere. Hier müsse ein gleitender Übergang geschaffen werden. Clement: «Es ist keine so schwierige Frage, finde ich, und auch nicht so aufregend. Wir überhöhen solche Fragen leicht in Deutschland.»
Die Grenze für den verminderten Kündigungsschutz war auf Druck der Gewerkschaften erst vor vier Jahren von der rot-grünen Regierung von damals zehn auf fünf Beschäftigte gesenkt worden.
Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU) trat für eine noch stärkere Liberalisierung des Kündigungsschutzes ein. Er sagte der dpa: «Es ist hoch erfreulich, dass Teile der Bundesregierung begreifen, dass der Kündigungsschutz ein Problem ist - und zwar nicht für die Beschäftigten, sondern die Arbeitslosen.» Die FDP erneuerte ihren Vorstoß, wonach das Kündigungsschutzgesetz erst ab einer Betriebsgröße von 20 Beschäftigten gelten soll.
Die Arbeitgeber begrüßten Clements Vorschlag. Dies sei ein Schritt in die richtige Richtung, «hin zu der dringend notwendigen Flexibilisierung des Arbeitsrechts», teilte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt in Berlin mit. Clements «Offensive» zur Entbürokratisierung sei wesentlich, um Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen. «Gerade die deutsche Kündigungsschutzregelung hat die Personalplanung in den Unternehmen erheblich erschwert und ist immer mehr zu einem Einstellungshemmnis vor allem für den Mittelstand geworden.»