Wahlwiederholung Die Berlin-Wahl und ihre möglichen Folgen – drei Erkenntnisse

Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin, bei einer Pressekonferenz nach der Berlin-Wahl
Ein historisch schlechtes Ergebnis und ein möglicher Neuanfang in der SPD: Ob Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin, dabei eine Rolle spielt, ist noch offen.
© Wolfgang Kumm / DPA
Für die einen ist das Ergebnis der Berlin-Wahl ein Fiasko, für die anderen ein zweifelhafter Triumph. Ein einfaches "Weiter so" dürfte Wunschdenken sein. Die Erkenntnisse.

Für Franziska Giffey ist es kein einfacher Abend, das gibt sie unumwunden zu, ist der Blick auf die Balken der Hochrechnungen doch vor allem eines für sie: ein Fiasko. 

Ihre SPD wurde bei der Wahlwiederholung mit einem historisch schlechten Ergebnis abgestraft – und die amtierende Regierende Bürgermeisterin wird sich damit arrangieren müssen, dass dieser Umstand auch mit ihr in Verbindung gebracht wird.

Doch so eindeutig die Schmach vom Sonntagabend ausfällt, so unklar bleibt vorerst, was daraus folgen wird. Nach der Wahl ist vor der Regierungsbildung, in der Theorie ist nun viel möglich, in der Praxis schon weniger (lesen Sie hier, welche Koalitionen nun möglich sind).

Was bedeutet das für das Rot-Grün-Rote -Rathaus? Was für die Regentin Giffey? Wer wird mit wem?

"Es ist zu früh, schon Schlüsse zu ziehen", sagt Giffey vorsichtig, nachdem sich das Desaster abgezeichnet hatte. Klar sei jedenfalls, dass die Sozialdemokraten nicht auf Platz eins stünden. Da steht die CDU, auch das ist allzu eindeutig nach diesem Wahlabend – aus dem sich trotz der insgesamt noch unklaren Gemengelage zumindest ein paar Schlüsse ziehen lassen. 

Was ist der Sieg der CDU wert?   

Kai Wegner hat zwar vermocht, was keinem Spitzenkandidaten der Christdemokraten seit 1999 geglückt ist: Er hat einen Wahlsieg in der Hauptstadt eingefahren, einen haushohen noch dazu, und die SPD deklassiert. Für die Genossen, die seit 2001 ununterbrochen in verschiedenen Koalitionen regieren, ist das ein herber Schlag ins Kontor. 

Dennoch könnte er das Nachsehen haben. Eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot ist rechnerisch möglich und politisch offenbar gewollt, das hatte sich schon im Vorfeld abgezeichnet, ebenso wie der schwere Stand der CDU bei der Suche nach möglichen (und auch willigen) Koalitionspartnern. Folglich könnte Wegner, der Anspruch auf das Rote Rathaus erhebt, als Wahlgewinner ohne greifbaren Pokal vom Platz gehen. 

Berlin, sagt er, habe den Wechsel gewählt. Damit hat er recht – und auch wieder nicht. Zusammengenommen hat das regierende Bündnis aus SPD, Grünen und Linken lediglich 5,4 Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl 2021 eingebüßt, eine entschiedene Abkehr der Berliner von dem Bündnis ist das nicht. Andererseits ist der Erfolg der Christdemokraten auch auf den Frust über die bisherige Arbeit des Rot-Grün-Roten Senats zurückzuführen, so legen es die Wahltagsbefragungen nahe.

Jeder zweite CDU-Wähler begründete seine Wahlentscheidung demnach mit der Enttäuschung über andere Parteien, unter den neu hinzugekommen CDU-Wählern ist der Wert noch höher (73 Prozent). Aus Überzeugung haben nur 43 Prozent ihr Kreuz bei den Christdemokraten gemacht. Die CDU, bei dieser Wahl: auch eine Protestpartei und ein Schmelztiegel für die Unzufriedenen.

Was bedeutet die "Zäsur" für die SPD?

"Diese Wahl ist eine Zäsur für die SPD", sagt der stellvertretende Landesvorsitzende der Sozialdemokraten, Kian Niroomand, zum "Spiegel". "Es gab eine deutliche Wechselstimmung. Das können wir nicht ignorieren und einfach so weitermachen." Die Wahl müsse Anlass sein für einen "Neuanfang". 

Ob dieser Neuanfang mit oder ohne Giffey erfolgen soll, dürfte nun diskutiert werden. Ihre Arbeit bewerteten zuletzt nur 36 Prozent positiv, lediglich 24 Prozent zeigten sich zufrieden mit ihrer Regierung. Nun also das schlechteste SPD-Ergebnis in der Stadtgeschichte seit der Wiedervereinigung, das sie mitzuverantworten hat. Giffey konnte offensichtlich kein Kapital aus ihrem Amt schlagen, als Spitzenkandidatin hat sie mobilisiert – aber in die falsche Richtung. Und auch an der Basis, in ihrem Wahlkreis, hat sie offensichtlich nicht für Euphorie gesorgt: Ihr Direktmandat hat die SPD-Chefin in Berlin verloren – an einen CDU-Mann.

Dass sich Giffey überhaupt noch Hoffnung machen kann, eine abermalige R2G-Koalition anzuführen, liegt an einem hauchdünnen Vorsprung von 105 Stimmen zu den Grünen.

Für Giffey ist das eine denkbar schlechte Ausgangslage. Allerdings kennt sie sich mit solchen Situationen aus, ihre politische Karriere stand mehr als einmal auf der Kippe. Plagiatsvorwürfe führten dazu, dass sie im Mai 2021 ihr Amt als Bundesfamilienministerin aufgeben musste. Im Anschluss gab es ernsthafte Diskussionen, ob sie als SPD-Spitzenkandidatin für Berlin überhaupt tragbar sei. Und dann, bei der Pannen-Wahl 2021, sah es über Stunden nach einer Niederlage für Giffey aus – ehe sie sich doch ins Amt des Regierenden Bürgermeisters kämpfte.

Keine Frage: Diese Wahl wird weitere Spuren an Giffeys Ansehen hinterlassen. Und das kann auch der Bundespartei nicht egal sein. Giffey, 44, bringt für Alter viel politische Erfahrung mit. So viele Frauen, die das von sich behaupten können, gibt es in der SPD nicht. Deshalb galt sie dort trotz der unschönen Plagiatsaffäre nach wie vor als eine Art Führungsreserve. Das krachende Scheitern in Berlin könnte sich für Giffey nun allerdings als zu große Hypothek für künftige bundespolitische Ambitionen erweisen. 

Wie reagiert die FDP?

Ebenfalls noch nicht abzusehen ist, welche Schlussfolgerungen die FDP aus der Wahl ziehen wird. Sie hat ebenfalls viele Stimmen an die CDU verloren – und wird dem Abgeordnetenhaus nicht mehr angehören. Eine bittere Niederlage, abermals: Auch im Saarland und Niedersachsen flogen die Liberalen aus dem Landtag, in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein aus der Regierung. Das war 2022, und 2023 geht ruhmlos weiter. 

Liegt es am Ampel-Bündnis im Bund? Seit Monaten rumoren Forderungen in der FDP, das eigene Profil in der Ampel mehr herauszustellen – was natürlich immer auch auf Kosten des Koalitionsfriedens geht und die Liberalen nicht unbedingt beliebter macht. Und auch dieses Mal ist es nicht anders. "Selbstverständlich hat das auch Folgen mit Blick auf Berlin", sagt Generalsekretär Bijan Djir-Srai noch am Wahlabend. "Ich bleibe dabei, dass die FDP, vor allem die Stimme der FDP innerhalb der Koalition (…) noch deutlicher werden muss."

Nach mehr Miteinander klingt das nicht.