Die Bundesregierung erwägt Zeitungsberichten zufolge, die Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke um bis zu 28 Jahre zu strecken. Umwelt-, Wirtschaftsministerium und Kanzleramt hätten sich darauf verständigt, auch eine Verlängerung der Laufzeiten um 28 Jahre förmlich prüfen zu lassen, berichten die "Süddeutsche Zeitung" und das "Handelsblatt". Demnach sollen Gutachter vier Szenarien errechnen lassen - für 4, 12, 20 und 28 Jahre.
Der geltende, noch von Rot-Grün und den Akw-Betreibern ausgehandelte Atomkompromiss sieht Regellaufzeiten von 32 Jahren vor. Bei einer Verlängerung um 28 Jahre ergeben sich somit Gesamtlaufzeiten von 60 Jahren. Das würde bedeuten, dass das letzte Atomkraftwerk ungefähr im Jahr 2050 vom Netz ginge.
Röttgen spielt Relevanz der Prüfungen herunter
Allerdings handele es sich dabei "lediglich um vorläufige Berechnungen", sagte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) der "Süddeutschen Zeitung". Damit sei "noch keine Vorentscheidung getroffen". Auch Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans betonte, es handele sich bislang nur um Rechenmodelle. Bei den verschiedenen Varianten gebe es bisher "keine Präferenzen".
Röttgen tritt für knapp bemessene Verlängerung ein. Allerdings hatte sich die Unionsfraktion am Dienstag dafür ausgesprochen, auch eine Verlängerung um bis zu 28 Jahre zu erwägen. Bislang wollte die schwarz-gelbe Koalition maximal 20 zusätzliche Jahre prüfen.
SPD-Chef Sigmar Gabriel äußerte in diesem Zusammenhang am Freitag im "Deutschlandradio Kultur" schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung. Die Koalition müsse "von allen guten Geistern verlassen" sein. Wie man eine Verlängerung auf 60 Jahre für "älteste Schrottmeiler" verantworten könne, sei ihm schleierhaft, sagte der frühere Bundesumweltminister. "Das ist brutaler Lobbyismus. Es geht allein darum, dass ein Betreiber mit einem alten Atomkraftwerk eine Million Euro am Tag verdient." Gabriel verwies auf die immer wieder auftretenden Probleme in Reaktoren wie Krümmel, Biblis und Brunsbüttel und die offene Endlagerfrage.
Rüttgers: "Kernenergie hat keine hohe Akzeptanz"
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) pochte unterdessen im "Handelsblatt" auf ein Mitspracherecht der Bundesländer bei der Laufzeit-Frage. "Natürlich ist zur Verlängerung der Laufzeiten ein Gesetz notwendig, und dafür ist auch eine Mehrheit im Bundesrat nötig", sagte Rüttgers.
Der NRW-Regierungschef, der sich im Mai der Wiederwahl stellen muss, stützte den moderaten Kurs von Umweltminister Röttgen. Längere Laufzeiten seien nicht einfach nur eine Frage der Gegenleistung durch die Atomkraftwerksbetreiber. "Kernenergie hat in Deutschland keine hohe Akzeptanz", sagte er. Die Entscheidung über die Laufzeitverlängerung müsse aus der Frage der Sicherheit und der Frage des künftigen Energie-Mixes abgeleitet werden - "und nicht aus einer Gegenleistung", sagte Rüttgers.
Die Regierung aus Union und FDP arbeitet derzeit an einem energiepolitischen Gesamtkonzept, auf dessen Grundlage ab Herbst die Entscheidung über die Laufzeiten für Kernkraftwerke in Deutschland getroffen werden soll.