Herr Balcke, Ihr Ortsverein in Hamburg Wandsbek würde den vielgescholtenen Wolfgang Clement aufnehmen, sollte die Bundesschiedskommission ihn aus der SPD ausschließen. Wie kommen Sie zu diesem Angebot?
Das hat einen ganz konkreten Anlass. Wolfgang Clement war von 1986 bis 1989 Chefredakteur der Hamburger Morgenpost und gleichzeitig Mitglied bei uns. Insofern würde er nur zurückkommen - nach vielen Jahren.
Sie fallen mit diesem Angebot Ihren Bochumer Genossen in den Rücken, die das Ausschlussverfahren in Gang gesetzt haben.
Nein, gar nicht. Die Frage ist, wie die Person und die Lebensleistung Wolfgang Clements zu beurteilen ist. Ich meine, eine pluralistische Partei muss einen Mann aushalten, der deutlich Stellung bezieht. Und dass Wolfgang Clement schwierig sein kann, das wissen wir seit vielen Jahren.
Aber es geht bei dem Streit doch nicht um eine Meinungsäußerung Clements, sondern darum, dass er kurz vor der Hessenwahl indirekt dazu aufgefordert hat, die SPD nicht zu wählen. Hat er damit nicht eine rote Linie überschritten?
Er hat in dem Interview, von dem Sie sprechen, nicht gesagt, man solle die SPD nicht wählen. Er hat gesagt, man solle abwägen. Aber ich will nicht drum herum reden: Das war ein Fehler. Gleichwohl bin ich der festen Überzeugung, dass seine Lebensleistung schwerer wiegt als diese eine unbedachte Äußerung.
Warum entschuldigt er sich nicht einfach für diesen Fehler und räumt damit die Sache aus der Welt?
Wolfgang Clement war noch nie besonders diplomatisch. Er ist ein Sturkopf - und das ist uns Norddeutschen eigentlich ganz sympathisch. Die SPD braucht solche Stimmen. Denn sie rütteln zuweilen auch auf.
Clement stellt den Konflikt um seine Person als einen Konflikt zwischen Befürwortern der Agenda 2010 und der Parteilinken dar. Sehen Sie das auch so?
Clement ist eine Zeit lang aus dem aktuellen Parteigeschehen heraus. Und ich würde die ideologische Auseinandersetzung nicht so hoch hängen. Wolfgang Clement und unser ehemaliger Kanzler Gerhard Schröder haben mit der Agenda 2010 dafür gesorgt, dass Deutschland wieder auf der Erfolgsspur fährt. Es ist unstrittig, dass ihre Politik zum Wirtschaftsaufschwung beigetragen hat. Wir in Hamburg - und insbesondere in Wandsbek - haben diesen Kurs, auch wenn er uns viele schmerzliche Niederlagen eingetragen hat, immer mitgetragen. Wolfgang Clement steht für diesen Kurs. Gerade aus diesem Grund hat er seinen Platz in unserer Partei.

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Jan Balcke, 35
... ist Vorsitzender des Distriktes Hamburg-Wandsbek-City. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler arbeitet bei Airbus und sitzt in der Hamburger Bürgerschaft. Einer seiner politischen Schwerpunkte ist die Wirtschaftsförderung.
Kann es der mögliche SPD-Spitzenkandidat Frank Walter Steinmeier, der als Erfinder der Agenda 2010 gilt, überhaupt zulassen, dass einer "seiner" Leute aus der SPD ausgeschlossen wird?
Ganz ehrlich: Ich glaube nicht daran, dass Clement ausgeschlossen wird. Die Bundesschiedskommission wird es bei einer Rüge belassen. Und eine Beschädigung Frank Walter Steinmeiers sehe ich überhaupt nicht. Er ist einer der profiliertesten Politiker der SPD und ich finde es gut, dass er sich für Clements Verbleib ausgesprochen hat. Das zeugt von persönlicher Integrität und Stärke.
Gesetzt den Fall, Clement würde ausgeschlossen und in Hamburg-Wandsbek wieder aufgenommen: Was könnte er in ihrem Ortsverband tun?
Wir heißen ihn herzlich willkommen, gerade in Zeiten, in denen er Gegenwind hat. Seine Mitgliedschaft hätte zunächst einmal symbolischen Wert, aber wenn er bereit wäre, sich inhaltlich in die Distriktsarbeit einzubringen, würde ich das sehr schätzen. Die Thesen von Wolfgang Clement sind nicht antiquiert, wie seine Kritiker behaupten, sondern er stellt die richtigen Zukunftsfragen.
Ein eigenes Zimmer für den Ex-Minister hat der Ortsverband allerdings noch nicht, wie im Fernsehen zu sehen war.
Richtig. Aber Wolfgang Clement gilt als jemand, der im engen Umfeld sehr kollegial ist. Und wenn er zurückkäme würde er in jedem Fall einen angemessenen Platz in unserer Mitte erhalten: mit Schreibtisch und Stuhl.
Eigentlich hatte die Parteispitze vor der Sommerpause die Devise ausgegeben: "Haltet jetzt mal alle den Mund." Ist es nicht ein Debakel für die SPD, dass sie jetzt den Streit um Clement an der Backe hat?
Das kommt zur Unzeit, das ist wohl wahr. Auf der anderen Seite ist es ein Sommerloch-Thema. Es ist eine willkommene Steilvorlage für unsere Gegner, einen Konflikt innerhalb der SPD zu konstruieren, der gar nicht auf der Tagesordnung steht. Ich hätte mich auch lieber über die Tatenlosigkeit von Angela Merkel unterhalten oder über die populistischen Äußerungen der Linkspartei. Aber wir halten das aus, wir haben schon ganz andere Krisen ausgehalten. Ich würde sowieso nicht von einer Krise sprechen - sondern von einem lauen Sommerlüftchen.
Sie sagen, es gäbe keinen Richtungsstreit. Nun hat die SPD-Linke Andrea Ypsilanti den Rauswurf Clements offenbar persönlich unterstützt. Diese beiden Protagonisten, Clement und Ypsilanti, stehen doch gerade für die unterschiedlichen Flügel der Partei.
Ich will nicht verhehlen, dass beide, auf ihre jeweils eigene Art, Mehrheiten innerhalb der SPD suchen. Ich sage aber auch ganz offen: Ich kann mit Clement mehr anfangen. Sollte Ypsilanti tatsächlich bei dem Ausschlussverfahren mitgewirkt haben - das sind ja alles Spekulationen - fände ich das bedenklich. Trotzdem kann ich keinen Richtungsstreit erkennen. Wolfgang Clement hat an der Basis einen ganz, ganz großen Rückhalt. Im Gegensatz zu jenen, die sich in rot-rot-grünen Ränkespielen ergehen.