In der Affäre um die Gefangenschaft des Deutsch-Türken Murat Kurnaz in Guantanamo werden immer neue Vorwürfe gegen die rot-grüne Vorgängerregierung erhoben. Sie habe die Freilassung des Bremers nicht nur verzögert, sondern aktiv zu verhindern versucht, wie der stern bereits im Dezember vergangenen Jahres berichtet hatte. Der amtierende Außenminister und frühere Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) geriet weiter unter Druck. Nach der Opposition verlangten Politiker von Union und SPD Aufklärung. Vizekanzler Franz Müntefering stärkte Steinmeier den Rücken.
Die rot-grüne Regierung habe noch 2005 versucht, einen neuen Terrorverdacht gegen Kurnaz zu konstruieren, berichteten die "Süddeutsche Zeitung" und die ARD übereinstimmend. Sie beriefen sich auf einen Vermerk des Auswärtigen Amtes vom 26. Oktober 2005. Der Verfasser habe notiert, dass Kanzleramtschef Steinmeier gegen eine Wiedereinreise von Kurnaz gewesen sei. Deutsche Sicherheitsbehörden hätten eine Anfrage an die USA gestellt, um weitere Informationen gegen Kurnaz zu bekommen, die einen Terrorverdacht stützten.
Freilassung soll im Herbst 2002 angeboten worden sein
Am Freitag war Steinmeier vorgehalten worden, er habe mitgewirkt, eine frühere Freilassung von Kurnaz zu verhindern. Der Deutsch-Türke war Ende 2001 in Pakistan festgenommen und über ein US-Gefängnis in Kandahar nach Guantanamo gebracht worden. Ein Freilassungsangebot der USA nahm Deutschland im Herbst 2002 einem vertraulichen Regierungsbericht zufolge nicht an. Er kam im August 2006 frei.
Steinmeier macht momentan keine Aussagen zu dem Fall, hat aber die Absicht, vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags auszusagen. Es sei zu hoffen, dass das Gremium mit seiner Arbeit zügig vorankomme "und alle relevanten Zeugen gehört werden, damit Bundesminister Steinmeier dort rasch das Notwendige klarstellen kann", sagte sein Sprecher Martin Jäger der "Welt am Sonntag". Zunächst müsse die erneute Vernehmung von Kurnaz am 1. Februar und die Aussagen der Verhörpersonen in Guantanamo abgewartet werden.
Der Vorsitzende des BND-Untersuchungsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), sagte der Tageszeitung "Die Welt", für konkrete Vorwürfe etwa gegen Steinmeier sei es zu früh. Sollten sich die Anschuldigungen jedoch bewahrheiten, "dann kann das nicht ohne Konsequenzen bleiben". Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen nannte die Vorwürfe "gravierend". Sie müssten geprüft werden, betonte er in der "Frankfurter Rundschau". Die Opposition hatte bereits lückenlose Aufklärung gefordert und bekräftigte nach den neuen Vorwürfen dieses Anliegen. Entsprechend äußerten sich Mitglieder von Grünen, Linkspartei und FDP. Müntefering sprach Steinmeier im ZDF das Vertrauen aus.
Freilassung an Bedingungen geknüpft
Der "Bild"-Zeitung zufolge hatten die USA ihre Freilassungsofferte an weit reichende Bedingungen geknüpft. So sollten die deutschen Behörden garantieren, dass Kurnaz nach seiner Rückkehr nach Bremen keine terroristischen Aktivitäten entfalten könne. Zudem sollte Deutschland zwei ebenfalls in Guantanamo festgehaltene Angehörige der muslimischen Uiguren-Minderheit aus China aufnehmen. Daraufhin habe die Bundesregierung das Angebot abgelehnt.

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Die "Stuttgarter Nachrichten" sprachen von strengen US-Auflagen für eine Freilassung von Kurnaz. Sowohl 2002 als auch kurz vor seiner Rückkehr 2006 habe die US-Regierung darauf bestanden, dass Kurnaz von deutschen Sicherheitsbehörden rund um die Uhr observiert werde. Die Berliner Regierung habe sich dagegen einen erstklassigen Freispruch für Kurnaz gewünscht, zitierte die Zeitung einen ihren Angaben zufolge damals involvierten SPD-Politiker. "Die Regierung wollte sich nicht jemanden ans Bein binden, der keinen deutschen Pass, sondern einen türkischen Pass hatte und der aus US-Sicht immerhin so gefährlich war, dass er 24 Stunden am Tag zu beobachten ist", habe der Sozialdemokrat erklärt.
Laut dem Magazin "Focus" soll eine Freilassung von Kurnaz 2003 zunächst am Einspruch des US-Verteidigungsministeriums gescheitert sein. In einem Schreiben vom 13. Februar 2003 habe das FBI auf die Zuständigkeit des Ministeriums verwiesen. In der Behörde des damaligen Amtschefs Donald Rumsfeld gebe es nicht die Absicht, den Häftling freizulassen. Andere US-Behörden hätten dagegen Ende 2002 der Bundesregierung signalisiert, Kurnaz sollte wegen nicht feststellbarer Schuld aus dem Gefangenenlager auf Kuba entlassen werden, berichtete das Magazin.