Mit Tränen in den Augen, immer wieder überwältigt vom seinem fast unglaublichen Glück, spricht Craig Akers tausenden amerikanischen Eltern verschwundener Kinder Mut zu: "Gebt die Hoffnung nicht auf, niemals, auch nicht nach vielen Jahren", sagt der Stiefvater des vor über vier Jahren im US-Bundesstaat Missouri entführten und nun befreiten Shawn Hornbeck, 15. Aber Akers, der seit dem spurlosen Verschwinden seines Kindes 2002 mit seiner Frau Pam fast sein ganzes Leben dem Schicksal vermisster Kinder widmete, ist trotz der Euphorie nicht ohne Bitterkeit.
Nichts fiel auf
"Heutzutage kümmert sich niemand mehr um seine Nachbarn, niemand mischt sich ein, niemand stellt Fragen", klagt er. Sein Sohn lebte jahrelang bei seinem Entführer, ohne dass den Nachbarn etwas aufgefallen wäre, zum Beispiel, dass der Junge jahrelang nicht zur Schule ging.
Während sich sein Stiefvater der Presse stellte, saß Shawn still und meist ernst daneben, lächelte zuweilen seiner Mutter zu, die ihn immer wieder in den Arm nahm. Noch hat der dunkelhaarige Junge mit der gepiercten Unterlippe auch seiner Familie kaum etwas über die vier Jahre und drei Monate in der Gewalt von Michael Devlin berichtet - dies sagte zumindest seine Mutter. "Wir wollen ihn auch nicht drängen".
Die Familie schien überwältigt von dem "Wunder" nach all den schweren Jahren und den letzten dramatischen Stunden: Der Staatsanwalt habe ihn und seine Frau am Freitagnachmittag im Auto telefonisch erreicht und ihn gebeten, an den Straßenrand zu fahren. "Mein Herz schlug bis zum Hals, als er sagte, sie glaubten mit 95-prozentiger Sicherheit, dass sie Shawn lebend gefunden haben", sagte Akers. "Ich glaube immer noch, in einem Traum zu sein, aber diesmal ist es ein guter Traum und nicht der Albtraum, den wir viereinhalb Jahre hatten", sagte Pam Akers mit bewegter Stimme. Als sie ihren Sohn schließlich zum ersten Mal seit über vier Jahren wieder gesehen habe, sei es "fast wie ein Schock gewesen", schließlich war er damals viel jünger und kleiner.
Entführer lebte unauffällig
Was sich in den über vier Jahren Gefangenschaft in dem Vorort von St. Louis wirklich ereignete, wird wohl auch der Öffentlichkeit bekannt werden. Trotz vieler Parallelen zum Fall des österreichischen Mädchens Natascha Kampusch, 18, gibt es einen wesentlichen Unterschied: Der mutmaßliche Täter ist gefasst. Manche Fernsehmoderatoren sprachen schon jetzt von dem zu erwartenden spektakulären Prozess. Dabei erst wird wohl klar werden, wie es dem Mann, der mit Arbeiten in einer Pizzeria und einem Beerdigungsunternehmen sein Geld verdiente, gelang, den Jungen von einer Flucht abzuhalten.
Nachbarn Devlins berichteten, dass der Junge nie den Eindruck eines Gefangenen gemacht habe. Er sei Fahrrad gefahren, habe Computerspiele gespielt, sogar mit Devlin auf einer nahen Wiese gezeltet und ihn sogar "Vater" genannt. "Ich dachte, das sei sein Sohn, der bei ihm lebt", zitierte die "Washington Post" einen Nachbarn. Devlin wurde als eher unbeliebter polterender, häufig schimpfender Mann beschrieben, der sogar mehrfach die Polizei gerufen habe, weil andere ihre Fahrzeuge auf seinem Parkplatz abgestellt hätten.
Mit großer Genugtuung und Sinn für medienwirksame Auftritte hatten Polizei und FBI am Samstag die Familie Shawns und die Familie des am Montag entführten und nun ebenfalls befreiten Ben Ownby, 13, präsentiert. Die Beamten sprachen von einem "selten dreisten Täter". Allerdings wurde die zweite Entführung dem großen, übergewichtigen Devlin zum Verhängnis - ein Schulkamerad Bens hatte den Kleintransporter des 41-Jährigen davon fahren sehen und die Polizei auf die richtige Spur gebracht.
"Es ist schwer zu glauben, dass jemand so dreist sein kann", sagte auch Shawns Stiefvater. "Vier Jahre, und er war die ganze Zeit direkt vor unserer Nase." Noch weiß niemand, wie schlimm der Leidensweg Shawns war. Er habe manchmal ein Wimmern gehört, sagte ein 49 Jahre alter Nachbar der "Washington Post". Die Familie Shawns wird das sicher nicht ohne Bitterkeit lesen.