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Rüstungsexporte Rüstungsfirmen planten Waffengeschäfte mit den Saudis – und hoffen jetzt auf Schadensersatz

Patrouillenboote für Saudi-Arabien liegen auf dem Werftgelände der zur Lürssen-Werftengruppe gehörenden Peene-Werft
Patrouillenboote für Saudi-Arabien liegen auf dem Werftgelände der zur Lürssen-Werftengruppe gehörenden Peene-Werft
© Stefan Sauer / DPA
Politiker der Großen Koalition machen der Lürssen-Werft wegen des Exportstopps für Saudi-Arabien Hoffnung auf bis zu 200 Millionen Euro Schadensersatz. Doch großzügige Zusagen sind womöglich voreilig.

Mit einem geschätzten Vermögen von 900 Millionen Euro steht die Familie von Friedrich und Peter Lürßen auf Platz 183 der  Liste der reichsten Deutschen. Aus Sicht mancher Berliner Politiker stechen die beiden Cousins an der Spitze der Bremer Lürssen-Werft aber durch etwas anderes hervor: Sie brauchen — trotz ihres immensen Reichtums — staatliche Hilfe.

Die Hilfsbedürftigkeit bei der Lürssen-Weft (sie schreibt sich anders als die Familie mit Doppel-s statt ß) rührt aus dem Stopp für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, den die Bundesregierung Ende 2018 nach dem Mord an dem Journalisten und Washington-Post-Kolumnisten Jamal Khashoggi verhängt hatte. Seitdem ruht auch die Ausfuhr von Patrouillenbooten, die die Lürßens auf der Peene-Werft im vorpommerschen Wolgast für die Saudis bauen lassen.

Ein baldiges Ende des Embargos ist angesichts der neuesten Nachrichten weniger wahrscheinlich geworden: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman soll angeblich vor dem Khashoggi-Mord das Telefon des Washington-Post-Eigentümers Jeff Bezos hacken haben lassen.

Von der weiteren Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt verkündete hingegen Ende November 2019 ein CDU-Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern eine gute Nachricht für die Werftmillionäre. Man habe jetzt 200 Millionen Euro "für möglicherweise notwendige Schadenersatzleistungen an die Lürssen-Gruppe" in den Bundeshaushalt eingestellt, ließ sich der Haushälter Eckardt Rehberg am Rande eines Landesparteitags auf Rügen zitieren.

Kann Lürssen auf eine Sonderbehandlung hoffen?

Nach Recherchen des stern wirft das nun Fragen auf: Wie groß ist der Schaden für Lürssen überhaupt? Beträgt er einstweilen vielleicht weniger als 40 Millionen Euro? Und kann es sein, dass die Lürssen-Werft hier eine Sonderbehandlung bekommt? Rehberg reagierte nicht auf Fragen des stern. Aber richtig ist: Auf Vorschlag der Bundesministerien für Finanzen und Wirtschaft stehen seit Ende November in der Tat 200 Millionen Euro im Bundeshaushalt, bestimmt für "Entschädigungsleistungen im Rahmen von Durchfuhrkontrollverfahren sowie Verfahren zur Erteilung und Aufhebung von Genehmigungen im Außenwirtschaftsverkehr".

Ist dieses Geld nun für Lürssen reserviert, wie Rehberg glaubten machte? Nein, versicherte der SPD-Abgeordnete Thomas Jurk dem stern: „Das hat nichts mit einem konkreten Adressaten zu tun.“ Vielmehr habe man sich wappnen wollen, falls irgend eines der von dem Ausfuhrstopp betroffenen Unternehmen vor Gericht erfolgreich Schadenersatz einklagen sollte: "Das ist eine Vorsorge für den Fall der Fälle", sagte der SPD-Politiker, der als Mitberichterstatter für das Budget des Wirtschaftsministeriums mit der Sache befasst ist.

Das Geld könnte also theoretisch auch an den Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern  fließen, der die Regierung wegen Militär-Lkw-Lieferungen für Saudi-Arabien verklagt hat. Unter Umständen ebenfalls betroffen ist der deutsch-französische Rüstungsriese Airbus. Er musste Arbeiten an einem aufwändigen Grenzschutzzaun für die Saudis und Zulieferungen für Kampfflugzeuge des Typs Eurofighter anhalten. Allerdings hat Airbus nach eigenen Angaben bisher keine Klage eingereicht.

"Rückstellungen der Regierung für Schadensersatz sind ungewöhnlich"

Bei der Opposition wundern sich einige bereits. "Dass die Bundesregierung im Haushalt für den Fall von Schadensersatzansprüchen Rückstellungen bildet, ist ungewöhnlich", sagt der Haushaltexperte der Grünen, Tobias Lindner. Signalisiert man so doch, dass Ansprüche berechtigt sein könnten.

Lürssen hat die Bundesregierung in der Tat wegen des Ausfuhrstopps vor dem Verwaltungsgericht Berlin verklagt. Einen Antrag auf Eilentscheidung hat das Unternehmen freilich laut Gericht bereits im Frühjahr zurückgezogen. Bis heute sei aber weiterhin ein Hauptsacheverfahren anhängig – betreffend die Aussetzung von Exportgenehmigungen.

Wenn es nur um diese Aussetzung von Exporterlaubnissen geht, dann würde das aber lediglich zwei der Patrouillenboote betreffen – mit einem Verkaufspreis von insgesamt wohl unter 40 Millionen Euro, deutlich weniger als die 200 Millionen im Haushalt. Denn nur für zwei der Schiffe, die bei Lürssen noch nicht ausgeliefert waren, verfügte die Firma bereits über eine Ausfuhrgenehmigung, als das Embargo in Kraft trat.

Insgesamt geht es bei dem Auftrag für die Werft in Wolgast natürlich um mehr. Die Saudis hatten ursprünglich 33 der 40 Meter langen Patrouillenboote vom Typ OPS 40 bestellt. Außerdem ging es um ein weiteres 60 Meter langes Kommando- oder Ausbildungsschiff mit der Bezeichnung TS 60. 15 Schiffe vom Typ OPS hatte Lürssen bis Herbst 2018 bereits an die Saudis ausgeliefert. Neben den zwei bereits zur Ausfuhr genehmigten Schiffen, die die Werft eigentlich noch Ende 2018 hinterherschicken wollte, waren nach dem stern vorliegenden Firmenunterlagen bis Frühjahr 2019 vier weitere der Schiffe weitgehend fertiggestellt, ebenso das 60-Meter-Boot. Für noch einmal fünf hatten die Arbeiten begonnen, wurden dann aber offenbar gestoppt.

Voll-Kasko-Absicherung scheint fragwürdig

Laut eigenem Bekunden will die Bundesregierung der Werft nun helfen, dafür neue Abnehmer zu finden.  Fragwürdig wäre es hingegen, dem Unternehmen wie auch anderen Rüstungsexporteuren eine Art Voll-Kasko-Absicherung zu versprechen.

Ein Unternehmen, das in Deutschland Kriegsgerät bauen und ins Ausland verkaufen will, muss aus gutem Grund mehrere Hürden nehmen. Im ersten Schritt braucht es eine Herstellungsgenehmigung. Erst im zweiten Schritt – meist kurz vor der Ausfuhr – erteilt die Bundesregierung die Exportgenehmigung. Anders als das selbst jemand wie der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zeitweise glauben machen wollte, gibt es hier keine Automatik und keinen Vertrauensschutz. Nur weil ein Hersteller bereits über eine Produktionsgenehmigung verfügte, hat er keinen Rechtsanspruch auf die Ausfuhrgenehmigung. Die Regierung kann sich das Recht vorbehalten, das grüne Licht doch noch zu verweigern – weil sich zum Beispiel die Situation im Empfängerland geändert hat.

"Soweit ersichtlich, wird in keinem anderen Gesetz in einer so deutlichen Weise zum Ausdruck gebracht, dass auf die Erteilung bestimmter begünstigender Akte kein Anspruch besteht", schreibt selbst der als industriefreundlich geltende Jurist Klaus Pottmeyer in seinem einschlägigen Kommentar zum Kriegswaffenkontrollgesetz.

Pottmeyer postuliert zwar das Recht auf eine "Entschädigungsfolge", wenn erst die Herstellungsgenehmigung erteilt und dann später "zu einem ausfuhrnahen Zeitpunkt" die Beförderungsgenehmigung "verweigert würde".

Aber die Rechtslage ist hier offenbar nicht ganz eindeutig. Die Juristin Miriam Saage-Maaß von dem industriekritischen European Center for Constitutional and Humanitarian Rights (ECCHR) mahnte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) im Mai per Brief, dass im Fall Lürssen "eine Entschädigung durch die Bundesregierung entweder gar nicht oder nur sehr restriktiv erfolgen sollte".

Der Gesetzgeber habe nicht die Absicht gehabt, „den Bund als Garanten für die mit internationalem Waffenhandel verbundenen Risiken einzusetzen“ schrieb Saage-Maaß – zumal bei den Lürssen-Booten auch noch die Gefahr bestünde, dass ihre Ausfuhr "möglicherweise selbst gegen Völkerrecht verstößt", weil sie bei der Seeblockade gegen den Jemen eine Rolle spielen könnten. Die Lürssen-Werft habe hier, so meint Saage-Maaß, eine "eigene menschenrechtliche Sorgfaltspflicht".

In einigen internen Papieren klingt es sogar so, als ob das Unternehmen selbst für den Fall Vorsorge getroffen hätte, dass für 16 Patrouillenboote und das 60-Meter-Schiff keine Freigabe zur Ausfuhr erteilt wird.

Das Risiko bezifferte man in einer internen Aufstellung vom 12. Dezember 2018 mit der Summe von 341 341 880 Euro. So hoch ist demnach der Verkaufspreis der insgesamt 17 Schiffe.

Die Aufstellung, die dem stern zusammen mit anderen Firmenunterlagen vorliegt, verzeichnet ein Kreuzchen für die Rubrik "Covered by insurance". Das Risiko schien also durch eine Versicherung abgedeckt.

Heute versichert ein Sprecher des Unternehmens, "dass wir unter den aktuell gegebenen Umständen leider über keinen Versicherungsschutz für den von Ihnen skizzierten Fall verfügen". Man habe nur die vom Bund garantierte Hermes-Bürgschaft, die "nur unter bestimmten und in unserem Fall derzeit nicht gegebenen Umständen in Anspruch genommen werden" könne.

Was weiß hier die Große Koalition? Der für den entsprechenden Haushaltsplan zuständige Berichterstatter im Haushaltsausschuss, Andreas Mattfeldt (CDU), verweist für Fragen auf das Finanzministerium, das die Einstellung der 200 Millionen in den Haushalt veranlasst habe. "Ob man das braucht, können wir als Haushälter nicht beurteilen", sagt er.

Das Finanzministerium wiederum bittet darum, man möge sich an das von dem CDU-Politiker Peter Altmaier geführte Wirtschaftsministerium wenden.  Und dort bestätigt man zwar, dass die Hermes-Bürgschaften keine Absicherung im Fall des gegenwärtigen Saudi-Arabien-Embargos gewähren. Das Ministerium will sich aber sonst nicht im Detail äußern. "Die Abstimmungen und Prüfungen innerhalb der Bundesregierung zum weiteren Vorgehen dauern an und können daher nicht kommentiert werden", teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.

Lürssen hat gute Bekannte in Berlin

Die Einsilbigkeit ist auch deshalb auffällig, weil einige in der Berliner Politik mehr oder minder gute Bekannte der Lürßen-Cousins sind. Da ist etwa der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Ulrich Nußbaum. Er kommt aus Bremen, brachte es dort in der Fischereibranche zum Millionär und dann zum Finanzsenator. Bis heute ist Nußbaum alleiniger Eigentümer seiner SLH Sea Life Harvesting GmbH; nur die Geschäftsführung hat er der Frau und den Kindern überlassen. Eine hundertprozentige Fischhandelstochter der SLH in der Bretagne rühmte sich zuletzt eines Umsatzes von 21 Millionen Euro. Natürlich ist Nußbaum ebenfalls mit den – noch reicheren – Bremer Unternehmerkollegen aus der Lürßen-Familie bekannt. Glaubt man dem Bremer Weser-Kurier, dann schmückt das Modell einer Lürssen-Jacht sogar Nußbaums Büro im Ministerium in Berlin.

Trotzdem war Nußbaum im April 2019 derjenige, der für die Bundesregierung eine parlamentarische Anfrage zum Thema Lürssen beantwortete. Man habe sich in der Großen Koalition darauf "verständigt, für die zu errichtenden Boote in Verhandlungen gemeinsam mit der Peene-Werft eine Lösung zur Schadensminderung zu finden", teilte er mit.

Das Wirtschaftsministerium weist mögliche Vorwürfe dennoch zurück. Nußbaum - obgleich laut offiziellem Organigramm mit der Außenwirtschaftspolitik betraut - sei nicht für die Fragen zu den Folgen des Saudi-Arabien-Embargos zuständig. Dies sei das Thema der Staatssekretärin Claudia Dörr-Voss. Nur bei der Unterzeichnung von parlamentarischen Anfragen könne es passieren, dass diese sich "nach der jeweiligen Verfügbarkeit der Staatssekretäre" richtet. "Die Frage nach einem etwaigen Interessenkonflikt" bei Nußbaum, so das Ministerium, stelle "sich damit nicht".*

* Nachtrag vom 24.1.2020: Das Wirtschaftsministerium hat uns jetzt bestätigt, dass bewusst entschieden wurde, die Zuständigkeit für dieses Thema an die Staatssekretärin Dörr-Voss zu übertragen, "abweichend von der generellen Zuständigkeit", wonach ihr Kollege Nußbaum verantwortlich gewesen wäre. Dies sei geschehen, "um von vorneherein den Anschein eines Interessenkonflikts zu vermeiden".

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