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Rüstungsexporte Bei Lürssen sah man wachsende "Lebensgefahr" für Mitarbeiter in Saudi-Arabien

Patrouillenboote liegen auf Trägern an Land
Die Saudis bestellten mehr als 140 Schiffe bei Lürssen. Einige Patrouillenboote liegen wegen des Embargos in Wolgast fest.
© Stefan Sauer/dpa
Interne Unterlagen zeigen: Huthi-Rebellen aus dem Jemen griffen einen Hafen in Saudi-Arabien an und beschädigten Schiffe, die das deutsche Unternehmen Lürssen geliefert hatte. Das Unternehmen zog darauf seine Mitarbeiter einige Tage aus der Stadt ab.

Es ist Sonntag, der 30. September 2018. Zwei mit Sprengstoff beladene Boote nähern sich dem Hafen der Stadt Jizan im Süden von Saudi-Arabien. Es kommt zu Explosionen. Zwei von dem deutschen Unternehmen Lürssen gelieferte Schiffe des saudischen Küstenschutzes werden beschädigt. Kurz darauf wird Lürssen einige Tage lang seine in Jizan stationierten Mitarbeiter abziehen – wegen der Attacke, hinter der die Huthi-Rebellen im benachbarten Jemen steckten.

Informationen über diesen bisher so nicht bekannten Vorfall finden sich in internen Unterlagen des Bremer Werftunternehmens, die dem stern und dem ARD-Magazin "Report München" vorliegen. Die von Lürssen gelieferten Patrouillenboote aus der Peene-Werft in Wolgast in Mecklenburg-Vorpommern sind so etwas wie das Symbol des Rüstungsembargos gegen Saudi-Arabien. Kaum ein Bericht zu den Sanktionen, die Kanzlerin Angela Merkel im Oktober 2018 angekündigt hatte, kommt ohne Fotos der 40 Meter langen Kriegsschiffe aus. 15 von ihnen hatte das Werftenunternehmen Lürssen im Herbst 2018 bereits in das nahöstliche Königreich verschifft. 18 weitere, teils bereits fertiggestellt oder im Bau, durfte Lürssen nicht mehr ausführen.

Am Beispiel der Lürssen-Boote konnten der sternund das ARD-Magazin "Report München" diese Woche nun aber auch zeigen, wie löchrig das Embargo ist. Interne Unterlagen belegen, dass Mitarbeiter des deutschen Werftenunternehmens weiter Schiffsbesatzungen in Saudi-Arabien ausbildeten, trotz des Embargos. Wegen eines Schlupflochs im Gesetz ist das legal. Und auch Ersatzteile fanden offenbar weiter ihren Weg in das Königreich – trotz des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi im Jahr 2018 und trotz des blutigen Kriegs im Jemen, an dem Saudi-Arabien beteiligt ist.

"Zunehmende Raketenangriffe in der Region"

Mit diesem Bürgerkrieg im Jemen haben die aus Wolgast gelieferten Schiffe mehr zu tun, als bisher bekannt – das zeigen die Informationen über die Huthi-Attacke im September 2018. "Die zunehmenden Raketenangriffe in der Region" erhöhten die "Lebensgefahr" auch für dort stationierte Mitarbeiter, hieß es in einer Konferenzvorlage von Lürssen.

Offiziell hatte damals das saudische Militär den Vorfall heruntergespielt und behauptet, der Angriff sei vereitelt worden: Man habe die zwei mit Sprengstoff beladenen Boote rechtzeitig "abgefangen und zerstört"; sie hätten nur "minimale Schäden" angerichtet, sagte ein Sprecher des saudischen Militärs. Aber das war offenbar nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich beschädigte die Huthi-Attacke sowohl eines der Patrouillenboote aus Wolgast wie außerdem ein Landungsboot aus dem Hause Lürssen, das 189 Meter entfernt im selben Hafenbecken in Jizan lag. An einem Gebäude an der Kaimauer – unweit des dortigen Lürssen-Büros - sei sogar "schwerer Schaden" entstanden, hieß es in einer Präsentation von Lürssen im Dezember 2018.

Die Unterlagen räumen mit einigen weiteren Legenden auf. Die Lürssen-Boote für die Saudis seien für nichts anderes da als den Küstenschutz – auch so eine Behauptung. Tatsächlich dienen einige der Patrouillenboote immer wieder auch dem persönlichen Schutz der saudischen Royals. Die zwei im Norden des Roten Meers stationierten Schiffe  As Sulayyil und Umluj "wurden in Verteidigungseinsätzen für die Königsfamilie genutzt", hieß es zum Beispiel in einem Bericht im Februar 2019. Zu der Königsfamilie gehört auch Kronprinz Mohammed bin Salman, der als Drahtzieher hinter dem Khashoggi-Mord gilt – und als Verantwortlicher für den blutigen Kriegseinsatz im Jemen.

Die Boote seien schwächer bewaffnet als die Küstenschutzboote der Bundespolizei, lautete eine weitere Legende. Dabei haben die deutschen Küstenschützer überhaupt keine fest eingebauten Waffen an Bord, anders als die Schiffe für die Saudis, die jeweils eine 20-Millimeter-Schnellfeuerkanone und zwei schwere Maschinengewehre tragen.

Schnellfeuerkanone an Bord - und eine Küchenreibe

Auf internen Übergabelisten wird neben der Bewaffnung allerlei weiteres Zubehör erwähnt. Aufgeführt wurden auch die Kommandeurskabine samt Ecksofa, eine Offiziersmesse und eine Mannschaftsmesse für die insgesamt 20-köpfige Besatzung, zwei saudische Nationalflaggen im Format 750 mal 1100 mm wie auch eine umfangreiche Küchenausrüstung: Suppentöpfe mit Deckel, Brotmesser, Sieb, Reibe, Dosenöffner. Schließlich sollen die Boote in der Lage sein, tagelang auf See zu bleiben.

Zu den Aspekten des Rüstungs-Deals, die bisher verborgen blieben, gehören auch einige auffällig umständliche Firmenkonstruktionen im Hintergrund. Das betrifft etwa die Deeside Logistic Services Limited im britischen Wales. Sie wurde im April 2015 gegründet, als das Saudi-Projekt gerade in Fahrt kam. Offenbar handelt es sich um keine reine Briefkastenfirma, denn sie erarbeitet teilweise die sogenannte Ablieferungsdokumentation für die Schiffe. Aber laut interner Aufstellungen sollte Deeside wiederholt auch Aufträge der Lürssen-Filiale in Saudi-Arabien annehmen und diese dann an die Unternehmenszentrale in Bremen weiterreichen. Deeside kaufe bei Lürssen in Deutschland ein, um für die Filiale in Saudi-Arabien als "Lieferant" aufzutreten, hieß es in einem Papier.

Aber warum dieser Umweg? Lürssen ließ alle Fragen des stern und von "Report München" unbeantwortet, "aus Gründen des Datenschutzes sowie aus Diskretion gegenüber unseren Kunden und Vertragspartnern", wie ein Sprecher sagte. 

Offen bleibt so auch, warum es nötig war, mit der Deeside in Wales eine Firma zu gründen, die zwar teilweise einer Bremer Lürssen-Tochter gehört – aber außerdem einer zweiten britischen Firma namens Deeside Logistics Investment Limited. Die wiederum führt als einzigen Anteilseigner einen gewissen Stefan Zoller in Grünwald bei München auf.

Unterstützung von Merkel und Steinmeier

Zoller ist im Saudi-Arabien-Geschäft kein Unbekannter. Er war bis 2012 Chef der Rüstungssparte bei EADS, dem heutigen Airbus-Konzern. Er war mitverantwortlich für einen Milliardendeal, bei dem EADS den Saudis Grenzschutzanlagen liefern sollte - mit dem Innenministerium in Riad als Vertragspartner, das auch für Lürssen und die Patrouillenboote der Ansprechpartner ist. Wofür brauchte Lürssen Zoller, als dessen Firma 2015 bei Deeside miteinstieg? Lürssen wollte auch diese Frage nicht beantworten. Auch Zoller selbst ließ eine Anfrage unbeantwortet.

Eigentlich hat man bei Lürssen einen Ruf zu verteidigen. Eine gute Reputation und gute Beziehungen zur deutschen Politik sind wichtig für die beiden Cousins Peter und Friedrich Lürßen, die lange das Unternehmen gemeinsam führten (sie schreiben ihren Familiennamen mit "ß", ihre Firma dagegen mit Doppel-s). Besonders Friedrich Lürßen, der lange das Marinegeschäft betreute, zeigte sich gerne mit Kanzlerin Angela Merkel. Er reiste im Februar 2016 auch in der Delegation des damaligen Außenministers und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach Saudi-Arabien und konnte bei dem Geschäft mit den Patrouillenbooten auf dessen Unterstützung zählen.

Gewinne fließen an Privatstiftungen in Wien

Unwahrscheinlich, dass Steinmeier wusste, welche Wege ein Teil der Einnahmen aus dem Saudi-Arabien-Geschäft nehmen würde. Doch in der Tat fließen Gewinne auch über Singapur und offenkundige Briefkastenfirmen in Wien, um dann bei zwei Privatstiftungen in Österreich zu enden. In Singapur ließ die Firma Luerssen Maritime Technology für 20 Millionen Euro die 32 Landungsboote bauen, die Teil des Vertrags mit Riad waren. Eine weitere Firma in Singapur namens Luerssen Asia lieferte ebenfalls für das Saudi-Geschäft zu.

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Die zwei Firmen in Singapur gehören einem dritten Unternehmen in dem Stadtstaat namens Vosper Naval Systems. Vosper wiederum wird über mehrere offenkundige Briefkastenfirmen in Wien von zwei Privatstiftungen kontrolliert. Eine heißt Afriba, die andere Atlantik. Die Firmen und Stiftungen firmieren allesamt unter derselben Adresse in der Börsegasse der österreichischen Hauptstadt. Es sind diese Stiftungen, die von den Millionendividenden profitieren, die die Firmen in Singapur in den vergangenen drei Jahren abführten.

In den dortigen Firmenabschlüssen werden die österreichischen Privatstiftungen als "family trusts" bezeichnet. Nach österreichischem Recht müssen sie nicht offenlegen, wer von ihrem Vermögen profitiert. Aber eine Reihe von Indizien sprechen dafür, dass die Afriba Privatstiftung und die Atlantik Privatstiftung der Lürßen-Familie zuzuordnen sind. Die Atlantik Privatstiftung etwa teilt sich mit einer weiteren Privatstiftung namens Holster die Mehrheit der Anteile an einer anderen österreichischen Firma. Von der Holster Privatstiftung führt eine Spur zu Peter Lürßen: Sie übernahm 2009 die Kommanditanteile seiner drei Kinder an der Peter Lürßen Familien KG, die seine Anteile am Lürssen-Konzern kontrolliert.

Warum fließen Einnahmen hier nach Österreich? Der Lürssen-Konzern ließ auch Fragen dazu unbeantwortet.

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