Sehen Sie im Video: "Schröder befindet sich im Ausnahmezustand" – stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz über das Interview mit dem Altkanzler.
Zusammen haben RTL und der stern Exkanzler Gerhard Schröder interviewt. Der steht wegen seiner Nähe zu Russlands Präsident Wladimir Putin in der Kritik. Im Gespräch verrät Stern Chefredakteur Gregor Peter Schmidt, wie er den Altkanzler wahrgenommen hat.
Gregor Peter Schmitz, stern-Chefredakteur: Gerhard Schröder befindet sich im Ausnahmezustand. Das ist eine besondere Situation für ihn. Er war ein Kanzler, der immer auch umstritten und durchaus rauflustig war. Wir erinnern uns alle an die Diskussionen über die Agenda 2010. Aber natürlich wird er jetzt in Teilen Deutschlands als jemand gesehen, der zu nahe an Wladimir Putin ist, der vielleicht sogar diesen Krieg verteidigt. Und das wollte Gerhard Schröder schon richtigstellen.
Er wollte auch unbedingt richtigstellen, was er eigentlich vorige Woche in Moskau gemacht hat, wo er ja von einem Reporter von RTL/n-tv überrascht wurde. Damals sagte er, er mache dort Urlaub. Das war ihm sehr wichtig zu sagen, dass er keinen Urlaub dort machte, sondern sich um Energiepolitik kümmerte. Und er ist ein Mann, der angespannt ist, der aber trotzdem noch eine sehr klare Meinung hat.
stern: Warum hält Schröder den Draht nach Russland?
Schmitz: Er hat ganz klar gesagt, dass er vorige Woche noch mal Wladimir Putin getroffen hat, was offenbar auch nicht in Absprache mit der Bundesregierung geschah. Er hat dann auch sofort gesagt, er würde ihn sofort wieder treffen, weil er einfach sagt, "Ich kann mich vielleicht noch mal irgendwann nützlich machen". Das sagt er also auch, dass er eine Rolle spielen wolle in dem Bemühen um einen Friedensschluss.
Er sagt auch, dass der Kreml eine Verhandlungslösung wolle. Da gibt es natürlich sehr unterschiedliche Interpretationen, wie so eine Verhandlungslösung aussehen könnte. Das sieht sicherlich die ukrainische Seite ganz anders als das, was Gerhard Schröder im Gespräch mit uns vorgeschlagen hat. Aber so rechtfertigt er, warum er weiterhin den Kontakt mit Putin hält. Ganz abgesehen davon – die Frage haben wir natürlich auch gestellt – ob man mit ihm brechen solle oder ob mit dem Freund Putin, der ja ist, brechen solle. Und da sagt er: “Wem würde denn so eine persönliche Distanzierung von meiner Seite nützen?“ Er habe den Krieg kritisiert und er sehe nicht, wofür er sich sonst noch entschuldigen solle.
Gerhard Schröder, den sowohl Nikolaus (Blome, die Red.) als auch ich ja auch schon häufiger erlebt haben, ist immer noch ein jovialer Typ, ein Gastgeber. Wir kennen alle noch seine früheren Basta-Sprüche oder auch dieses “Hol mir mal ne Flasche Bier, sonst streike ich hier“. Und man merkt schon, dass er, obwohl er natürlich ein deutlich älterer Mann jetzt ist und auch, wie ich sagte, angespannt wirkt in dieser ganzen Angelegenheit, merkt man, dass es ein Mann ist, der immer noch einer der wahrscheinlich besten Wahlkämpfer der deutschen Geschichte war. Er hat wirklich ein Gespür dafür, was den einfachen Mann, die einfache Frau umtreibt.
Es ging ja im Verlaufe des Gesprächs auch um die Energiekrise und die Frage, was passiert, wenn im Oktober die Nebenkostenabrechnungen dramatisch steigen und ganz viele Menschen in Deutschland sich wirklich Sorgen machen? Kann ich das noch bezahlen? Und da sagt er dann auch “Da möchte ich nicht in der Haut der Verantwortlichen stecken“.
Er hat ein klares Gespür dafür, was die Leute dann umtreibt und setzt glaube ich auch – das ist jetzt meine Interpretation – ein bisschen darauf, dass sich die Haltung zum Ukraine-Krieg und dann vielleicht auch zu seiner Rolle gegenüber Putin ändert, weil er das Gefühl hat, dass die Leute zunehmend begreifen – „Das schadet uns“. Wie gesagt, das ist jetzt meine Interpretation, was Gerhard Schröder vielleicht denkt, das hat er nicht so genau gesagt. Aber man hat etwas das Gefühl, dass er erwartet, dass er in Zukunft wieder mehr Zuspruch für seine Position erhalten wird, als es in der Anfangsphase der Fall war.
stern: Wie kommt man an so ein Interview und war es an Bedingungen geknüpft?
Schmitz: Wir haben über einen längeren Zeitraum Kontakt mit Gerhard Schröder gehalten. Es gab auch Hintergrundrunden, Hintergrundgespräche, aus denen nicht zitiert werden konnte. Er hat ja in der Vergangenheit schon mit der "New York Times" gesprochen, auch kurz mit der "FAZ", und da wurden immer nur einzelne Zitate draus freigegeben. Das ist jetzt wirklich das erste autorisierte Gespräch.
Er hat auch sehr wenig geändert, muss man sagen in der Autorisierung, was bei Politikern ja leider sonst oft anders der Fall ist. Es ging darum, Vertrauen aufzubauen. Wir haben ihn schon sehr kritisch befragt in diesen Stunden in Hannover, weil vieles auch einfach kritisch hinterfragt werden muss, was er sagt. Aber es ging schon auch darum zu sagen: Gerhard Schröder kann seine Sicht der Dinge zumindest darlegen. Und so hat sich dieses Gespräch langsam entwickelt und auch seine Entscheidung irgendwann ist gereift, dieses Gespräch freizugeben.
Bedingungen gab es nicht. Es war halt lange die Haltung von Gerhard Schröder, dass er höchstens einige Zitate freigeben würde. Es war großes Misstrauen da, obwohl er die beteiligten Personen eben schon lange kannte. Er lässt sich oft über die "New York Times" aus, die ihn ja als erste besucht hat. Und die US-Medien autorisieren ja nicht. Insofern gab es da keinen Streit darüber, das wusste er schon, dass es dann ein aufgeschriebener Text ist. Er war da sehr erbost darüber, dass die Interviewerin geschrieben hat, er hätte so viel Weißwein getrunken während dieser Interviews. Das hat ihn sehr umgetrieben.
Es gab sonst eigentlich keine Bedingungen. Es war nur dann ein Überzeugungsprozess, dass er wirklich sagt okay, ich möchte in einem Gespräch auftauchen, das ich zwar autorisiere, wie es in Deutschland üblich ist, aber wo ich mich dann schon auf die gesamte Gesprächssituation und eben auch auf die entsprechend harten Nachfragen einstelle. Und zum Glück war er dazu bereit. Und das war eigentlich die die einzige Bedingung, die wir erfüllen mussten in der Vorbereitung.
Man liest viel, man liest noch mal viel über Gerhard Schröder. Man hatte natürlich auch wie gesagt diese Vorbereitungsanbahnungstreffen, wo man schon mal im Hintergrund ein bisschen seine Position erfahren konnte. Aber am Ende kann man sich auf Gerhard Schröder auch nicht richtig vorbereiten, denn er ist schon noch ein sehr wendiger und im Kopf vor allem sehr wendiger Gesprächspartner. Also muss man sich auch ein bisschen auf ihn einlassen.
stern: Welche Rolle könnte Gerhard Schröder in diesem Krieg noch spielen?
Schmitz: Da gibt es, glaube ich, zwei Sichtweisen. Die Sichtweise von Gerhard Schröder und die Sichtweise von anderen. Beide sind, glaube ich, etwas vorbelastet und verfälscht. Also man hat schon das Gefühl, dass Gerhard Schröder immer noch etwas darauf setzt, er kann durch den persönlichen Kontakt mit Wladimir Putin vielleicht irgendwie auf ihn Einfluss nehmen.
Es gibt natürlich Leute, die sagen, das ist völlig absurd. Scharfe Kritiker von Schröder, die sagen, Putin würde ihn niemals mehr als ebenbürtig ansehen, sondern höchstens als Angestellten und würde ihn höchstens missbrauchen, um die öffentliche Stimmung in Deutschland weiter anzuheizen und die öffentlichen Debatten weiter anzuheizen.
Es gibt sicher auch Einzelne, die sagen, es ist gut, jede Art von Gesprächskontakt zu halten, weil natürlich sehr, sehr wenig Menschen überhaupt noch Kontakt mit Wladimir Putin halten können. Und das sind eigentlich die verschiedenen Lager.
Wie gesagt, ich glaube, dass Gerhard Schröder der Meinung ist, er könnte irgendwann noch nützlich sein in diesem Verhandlungsprozess. Er hat ja auch in der Vergangenheit, das muss man sagen, als Altkanzler schon mehrfach Missionen unternommen, auch für Frau Merkel übrigens, als sie noch im Amt war, wo er Verhandlungslösungen erreicht hat. Ich glaube, er setzt ein bisschen darauf, dass er Ähnliches jetzt wieder schafft. Man muss natürlich sagen, dass die Lage gerade deutlich schwieriger ist, als wenn man beispielsweise über das Schicksal eines Journalisten in der Türkei verhandeln würde.