Philipp Rösler und Markus Söder mögen klare Worte. Der liberale Bundesgesundheitsminister versprach kurz vor Amtsantritt im Oktober: "Wir sind fest davon überzeugt, dass unser Gesundheitssystem besser wird, aber definitiv nicht teurer." Sein CSU-Gegenspieler aus Bayern beerdigte im Mai Röslers damaliges Modell abgespeckter Kopfpauschalen mit den Worten: "Kopfpauschale und Beitragserhöhung funktionieren im Doppelpack nicht." Allen Versprechen zum Trotz beschließt das Kabinett mit der Gesundheitsreform an diesem Mittwoch genau dies: eine spürbare Verteuerung sowie Pauschalen.
Die Beiträge steigen schon 2011 auf 15,5 Prozent. Gemeinsam mit einer Verminderung des Umsatzanstiegs bei Ärzten, Pharma und Kliniken um 3,5 Milliarden soll so das Loch der Krankenkassen von rund 10 Milliarden Euro kommendes Jahr gestopft werden - Zusatzbeiträge gibt es weiter nur bei einzelnen Kassen. Die 50 Millionen Kassenmitglieder und deren Arbeitgeber müssen wegen der Beitragsanhebung um 0,6 Punkte jeweils 0,3 Prozent vom Bruttolohns mehr zahlen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt beschwert sich: "Das ist der falsche Weg."
Die Unternehmen aber sollen künftig verschont bleiben - für alle vom Gesundheitswesen zusätzlich verschlungenen Milliarden bekommen ab 2012 die Versicherten und Steuerzahler die Rechnung allein. Von Kasse zu Kasse unterschiedliche Pauschalbeiträge allein der Versicherten können dann jährlich steigen - unbegrenzt. Trotz eines Sozialausgleichs aus Steuern wettern Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände: Unsozial sei das und ungerecht.
"Wir haben das Ziel, eben diese Zusatzbeiträge endlich sozial gerecht zu gestalten", beteuert Rösler. Dabei zeigte Wolfgang Schäubles Finanzressort schon im Februar Grenzen auf: Bei einer Kopfpauschale von 140 Euro müsste man für den Sozialausgleich etwa den Spitzensteuersatz auf 73 bis 100 Prozent anheben.
Die Pauschalen sollen nun kleiner ausfallen. Laut Regierung soll der Zusatzbeitrag 2012 im Schnitt rund 5 Euro betragen, 2016 zwischen 10 und 16 Euro. An der Botschaft hinter Schäubles kühner Rechnerei hat sich aber nichts geändert: Viele Milliarden für den Ausgleich sind in Zeiten der Schuldenbremse nicht in Sicht. Zum Beschluss liegt nun vor, dass der Ausgleich erst ab 2015 frisches Steuergeld an die Kassen nötig machen soll - dann laut Rösler-Ressort jedes Jahr eine knappe Milliarde mehr.
Denn mehr als zwei Prozent seines Einkommens soll man für den Zusatzbeitrag nicht berappen müssen. Zunächst muss jeder außer Langzeitarbeitslose den Aufschlag zwar voll an seine Kasse überweisen. Liegt ein vorher amtlich errechneter Durchschnittswert kassenweit nötiger Zusatzbeiträge aber über zwei Prozent des Einkommens, bekommt der Betroffene die Differenz auf dem Konto beim normalen Kassenbeitrag abgezogen. Die Kassen bekommen das fehlende Geld aus dem Steuertopf.
Verbraucherschützer Stefan Etgeton kritisiert: "Es wird darauf hinauslaufen, dass die Gutverdiener die Gewinner sind." Eine Pauschale belastet jemanden mit 3000 Euro schließlich weniger als einen mit 1000 Euro. "Geringverdiener werden anteilsmäßig stärker belastet, bis der Sozialausgleich greift - dann verschiebt sich die stärkere Belastung auf Menschen mit mittlerem Verdienst", sagt Etgeton. Arbeitnehmer und Rentner mit Einkommen knapp über der Zwei- Prozent-Grenze trügen letztlich die größte Last.
Im Juni noch flogen die Fetzen. Gesundheitsstaatssekretär Daniel Bahr beschimpfte die CSU als Wildsau, CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt die FDP als Gurkentruppe. Markiert der Kabinettsbeschluss nun einen Punktsieg der FDP oder der CSU mit ihrem Nein zur Kopfpauschale?

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Das FDP-Prämienmodell mit hohem Steueranteil kommt nicht pur. Eine neue Regierung könnte die von Kasse zu Kasse anderen Kopfpauschalen auch abschaffen, bevor sie richtig in die Höhe gehen. Vielleicht entsteht aber auch ein neues System daraus, wie Rösler hofft. Den Gesundheitsfonds von Röslers SPD-Vorgängerin Ulla Schmidt wollten auch viele abschaffen, allen voran die FDP - geblieben ist er doch. Manche Kassenfunktionäre ärgern sich ohnehin über etwas anderes: Probleme wie zu viele Fach- und Klinikärzte nebeneinander oder Fesseln für Verträge mit Kliniken blieben unangetastet.