Klimapolitik EU will Atomkraft und Gas als grüne Technologie einstufen – und sorgt damit für Zoff in der Ampel

Neue EU-Pläne zur Atomkraft: Aus einem Kernkraftwerk steigt leichter Dampf auf.
Das Kernkraftwerk im schwäbischen Gundremmingen ist im Rahmen des Ausstiegs aus Atomkraft am Silvesterabend vom Netz gegangen
© Stefan Puchner / DPA
Die EU-Kommission schlägt zum Jahresbeginn vor, Atomkraft und Gas als klimafreundlich einzustufen. Die Pläne stellen die neue Bundesregierung vor große Herausforderungen. Worum es genau geht.

Mit ihrem Plan moderne Atom- und Gaskraftwerke indirekt zu fördern, sorgt die EU-Kommission bereits am ersten Tag des neuen Jahres für Aufregung. Während Österreich mit rechtlichen Schritten gegen die Pläne droht, sehen Länder wie Frankreich oder Finnland die Atomkraft als Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft. Deutschland wehrt sich zwar gegen die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie, hält jedoch ein grünes Label für Gas als Übergangstechnologie für notwendig. 

Der umstrittene Vorschlag der EU-Kommission stellt die neue Bundesregierung auf die Probe. "Wir werden die EU-Vorlage jetzt schnell prüfen und uns in der Bundesregierung abstimmen", sagte Umweltministerin Steffi Lemke der "Rheinischen Post". Die Grünen-Politikerin hatte die Atomkraft-Pläne ebenso wie Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) bereits am Wochenende scharf kritisiert. "Die EU-Kommission erzeugt die große Gefahr, wirklich zukunftsfähige, nachhaltige Investments zugunsten der gefährlichen Atomkraft zu blockieren und zu beschädigen", sagte Lemke der "Rheinischen Post". "Auch die Aufnahme von Erdgas halte ich für fragwürdig." Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner äußerte sich hingegen grundsätzlich positiv zum Vorschlag hinsichtlich moderner Gaskraftwerke.

EU-Pläne zur Atomkraft: Streit zwischen Grünen und FDP

Die Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten durch die EU-Kommission im Rahmen der sogenannten Taxonomie soll Anleger in die Lage versetzen, ihre Investitionen auf nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzustellen, und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen. Es wird damit gerechnet, dass sie weitreichende Auswirkungen hat, da sich als nachhaltig eingestufte Projekte deutlich leichter und günstiger finanzieren lassen dürften.

Konkret sehen die Pläne der EU-Kommission vor, dass in Ländern wie Frankreich, Polen und den Niederlanden geplante Investitionen in neue Akw als nachhaltig klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem soll Bedingung sein, dass die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten.

Investitionen in neue Gaskraftwerke sollen insbesondere auf Wunsch Deutschlands ebenfalls als nachhaltig eingestuft werden können. Dabei würde zum Beispiel relevant sein, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden und ob sich die Anlagen spätestens 2035 auch mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas betreiben lassen können.

Über den Umgang mit Atom- und Gaskraft wird bereits seit Monaten gestritten. So hat sich beispielsweise Deutschland gegen die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie ausgesprochen, zugleich aber für ein grünes Label für Gas als notwendige Übergangstechnologie gekämpft. Für Länder wie Frankreich ist hingegen die Atomkraft eine Schlüsseltechnologie für eine CO2-freie Wirtschaft. Auf die Einbeziehung von Gas hätte es verzichten können.

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler machte deutlich, dass eine Blockade des EU-Vorschlags aus seiner Sicht keine Option ist. "Aus unserer Sicht wird es keine qualifizierte Mehrheit gegen den Vorschlag der Kommission zur Atomkraft geben, deswegen ist es richtig, an diesem Vorschlag weiterzuarbeiten", sagte er der "Welt".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki sagte der "Bild": "Wir müssen jedenfalls innerhalb der Ampel einen Konsens darüber finden, wie wir den Ausgleich zwischen den Zielen der CO2-Reduktion und der stabilen Energieversorgung hinbekommen. Denkverbote jeglicher Art helfen dabei nicht weiter." Mit Blick auf die Kritik von Habeck und Lemke sagte er dem Bericht zufolge: "Man ist im Übrigen kein guter Europäer, wenn man nur Entscheidungen akzeptiert, die einem passen."

Lindner: Gaskraftwerke als Übergangstechnologie

Neben Habeck und Lemke hatte auch der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch die Kommissionspläne zu Atomkraftwerken scharf kritisiert. Auf die Frage, ob sich Deutschland einer möglichen Klage Österreichs anschließen solle, sagte Miersch, man setze auf Diskussionen und Verhandlungen.

"Eine Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission sehen wir nicht", sagte Habeck. Er kritisierte auch die ebenfalls vorgeschlagene Aufnahme von fossilem Gas in die Taxonomie, sagte jedoch auch: "Immerhin macht die EU-Kommission hier aber sehr klar, dass Gas aus fossilen Brennstoffen nur ein Übergang ist und es durch grünen Wasserstoff ersetzt werden muss."

Finanzminister Lindner sagte der "Süddeutschen Zeitung": "Deutschland benötigt realistischerweise moderne Gaskraftwerke als Übergangstechnologie, weil wir auf Kohle und Kernkraft verzichten." In der Perspektive der Klimaneutralität sollten die Anlagen später mit Wasserstoff genutzt werden können. Deshalb habe die Bundesregierung dafür geworben, dass die entsprechenden Investitionen effektiv möglich seien. "Ich bin dankbar dafür, dass von der Kommission offenbar Argumente aufgegriffen wurden", so der FDP-Chef. "Weitere Verbesserungen wären aus unserer Sicht denkbar." Dass die Bundesregierung zum Thema Kernenergie eine andere Auffassung vertrete als die Kommission, sei bekannt.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mahnte, ein europäischer Energiemix müsse sich unterscheiden können von der Energieerzeugung in Deutschland. "Das müssen die Ampel-Parteien jetzt lernen", sagte er der "Welt". "Raus aus der Kernenergie, raus aus der Kohle, weg vom Gas, das kann sicher nicht für alle EU-Länder gleichzeitig funktionieren und übrigens auch nicht für Deutschland als energieintensives Land, das auch Stromimporte benötigt."

DPA
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