Grünen-Chef Bütikofer "Westerwelle macht den Lafontaine"

Grünen-Chef Reinhard Bütikofer hat die Konkurrenz mit einem verbalen Doppelschlag angegriffen: Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle argumentiere in Sachen Libanon so populistisch wie Oskar Lafontaine, sagte er in einem stern.de-Interview.

Am Wochenende halten die Grünen in Berlin ihren "Zukunftskongress" ab. Was soll denn das "eine" Gewinnerthema sein, mit dem Sie künftig die Bürger begeistern?
Es geht nicht um "ein" Gewinnerthema. Entscheidend ist die richtige Grundorientierung der Politik. Wie können wir zwischen dem Maßstab der Wettbewerbsfähigkeit und dem Ziel der Gerechtigkeit eine vernünftige Balance hinkriegen? Wie können wir zwischen der Notwendigkeit wirtschaftlicher Dynamik und der Zukunftsverantwortung für unsere Kinder, insbesondere für die Umwelt, eine vernünftige Balance finden? Wie schützen wir Freiheit angesichts neuer Bedrohungen der Sicherheit?

Was bedeutet das konkret?


Es gibt Themen, bei denen uns die Menschen sehr vertrauen, etwa in der Umweltpolitik. Dort haben wir zum Beispiel gezeigt, wie Klimapolitik, Innovation und Jobs zusammenpassen. Und die Bedeutung der Ökologie wächst! Aber uns geht es auch um andere Themen: Um eine Pflegezeit etwa, oder eine zuverlässige soziale Grundsicherung, um einen ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt oder um Kinderrechte.

Steht die Partei am Scheideweg zwischen einer bürgerlich-liberalen und einer linken Ausrichtung? Wer mit solchen Schablonen anfängt, ist schon auf dem falschen Weg.

Auf Ihrem Zukunftskongress gibt es sechs herausgehobene Foren. Da geht es etwa um Bildung, um Europa oder um Energiepolitik - aber nicht um Bürgerrechte. Überlassen Sie dieses Feld in Zeiten des Anti-Terror-Kampfes der FDP?


Wirklich nicht. Bei dem Kongress werden wir mit Frau Lochbihler von Amnesty, Roger Willemsen und Heiner Bielefeldt genau diese Fragen diskutieren. In der Innenpolitik konzentrieren wir uns ansonsten auf die Frage der Integration, bei der Bürgerrechte oft zu kurz kommen. In Bezug auf Datenschutz und Minderheitenrechte sind wir schon jetzt sehr gut aufgestellt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Zur Person

Reinhard Bütikofer, 53, ist seit 2002 einer von zwei Bundesvorsitzenden der Grünen. Seit 2004 leitet er gemeinsam mit Claudia Roth den Bundesvorsitz der Partei. Bütikofer ist verheiratet und hat drei Töchter.

Anders als die FDP schließen Sie einen Bundeswehreinsatz im Libanon nicht grundsätzlich aus. Wollen Sie zulassen, dass es dazu kommen könnte, dass deutsche Soldaten auf israelische Soldaten schießen?
Wir müssen eine derartige Situation aus vielen Gründen vermeiden. Bei dem Mandat, über das jetzt verhandelt wird, geht es doch um etwas ganz anderes. Wenn die Bundeswehr der libanesischen Regierung helfen würde, seeseitig den Waffennachschub für die Hisbollah zu unterbinden, wäre das ja auch im Interesse der Sicherheit Israels. Wieso sollte es deswegen dann zu Konfrontation mit Israel kommen? Man sollte nicht unterstellen, wie ich es manchmal höre, eigentlich entstünden die Konflikte nur, weil die Israelis ständig mit bewaffneter Gewalt irgendetwas anzettelten. Bei allem, was man an diesem Libanon-Krieg kritisieren muss, gilt: Israel ist angegriffen und provoziert worden.

Sie unterstellen FDP-Chef Guido Westerwelle, er mache die Israelis schon vorab für Gewaltausbrüche verantwortlich?


Was Westerwelle sich bei seinem kategorischen Nein gedacht hat, weiß ich nicht. Aber er macht den Lafontaine - er argumentiert nach einem populistischen Schema. Eine internationale Friedenstruppe mit einem effektiven Mandat und eingebettet in ein wirkungsvolles politisches Gesamtkonzept kann entscheidend zur Stabilisierung im Nahen Osten beitragen. Da können wir nicht einfach sagen, das gehe uns alles nichts an. Gerade Leute aus Israels Friedensbewegung bitten: macht da mit!

Sie greifen Westerwelle scharf an, aber müssen Sie sich nicht eigentlich langsam mit ihm arrangieren für die Zeit, in der es keine Alternativen mehr zu Dreierbündnissen geben wird, zur Ampel oder zu Jamaika?
Der Weg zurück zur Macht im Bund geht über die Länder. In den Ländern gibt es auf absehbare Zeit keineswegs überall Fünf-Parteien-Systeme, die zu Dreierkoalitionen zwingen würden. Für den Bund sind wir seit dem vergangenen Jahr grundsätzlich offen für neue Koalitionen. Das wird aber nur funktionieren, wenn glasklar ist, welche Reformziele mit den Grünen machbar sind und welche Ziele wir nicht zur Disposition stellen. Ich muss doch nicht mit einer FDP über Jamaika philosophieren, die mir alle naselang sagt, sie will den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomkraft.

Wo hakt es denn - jenseits der Atomkraft - mit der FDP?


Die FDP singt immer noch die Hymnen des Marktradikalismus. Sie schlägt vor, man solle das Gesundheitssystem einfach privatisieren. Die FDP will die Bundesagentur für Arbeit insgesamt abschaffen und auch dieses Risiko privatisieren. Die FDP ist die Partei in Deutschland, die dem Sozialstaat den Kampf angesagt hat. Die Katastrophe Katrina in New Orleans hat doch gezeigt, was passiert, wenn sozialstaatliche Garantien versagen.

Die FDP würde uns also einen Staat bescheren, der eine mit Katrina vergleichbare Katastrophe begünstigen würde?


Jetzt geht die Lust an der Provokation mit Ihnen durch! Die letzten drei Bundestagswahlen zeigen, dass es keine Mehrheit in Deutschland für marktradikale Politik gibt.

Die Grünen haben ein Führungsquartett - Claudia Roth und Sie führen die Partei, Renate Künast und Fritz Kuhn die Fraktion. Vergeben Sie denn mit diesem Kollektiv nicht die Chance, den Grünen nach außen ein markantes Gesicht zu geben?
Sind vier Gesichter wirklich zu viel? Die Grünen sind eine Partei, die Vielfalt liebt. Nehmen Sie Claudia Roth und mich: Sie hat ein hohes Profil bei Menschenrechtsfragen, in den Integrationsfragen, beim Thema Rechtsextremismus, in den Bürgerrechtsfragen, auf der internationalen Ebene. Ich bearbeite Umwelt-, Sozial-, und Wirtschaftsthemen. Beide Profile nützen den Grünen. Natürlich setzt das voraus, dass man sich abstimmt und Entscheidungen nicht im Alleingang trifft.

In diesem Herbst sind Vorstandswahlen. Wollen Sie auch weiterhin eines der Gesichter der Grünen sein?
Ich werde wieder kandidieren - zusammen mit Claudia Roth.

Rechnen Sie mit einer Gegenkandidatur?


Nein.

Interview: Florian Güßgen