Franz Müntefering weiß, was geht. Sein Mantel ist fest geschlossen, um den Hals herum wärmt ihn ein etwas abgewetzter, roter Wollschal. "Sonntag um 18 Uhr is entschieden", sagt der Sauerländer, und rollt das "r" in "Uhr" gurgelnd gegen die Mikrofon-Membran. Neben ihm steht Michael Naumann, der SPD-Spitzenkandidat in Hamburg. Der frühere Kulturstaatsminister trägt Anzug, Krawatte und einen dunkelblauen, vornehm aussehenden Langschal mit hellen Punktmustern. "Als ich gehört habe, das Michael Naumann das machen will, habe ich mir gedacht: Boah, der Junge hat Mut. Hier anzutreten, das ist wie schwere See und Nebel gleichzeitig." Das Publikum lacht. Michael Naumann auch. Wieso eigentlich?
Es ist Freitag vor der Bürgerschaftswahl, und auf dem Gerhard-Hauptmann-Platz in der Hamburger Innenstadt herrscht eine erstaunlich fröhliche Atmosphäre. Zur Abschlusskundgebung hat die Hamburger SPD einige Wahlkampfhelfer aus der Bundespartei eingeladen. Besonders Franz Müntefering, Parteichef der Herzen, sorgt für gute Stimmung unter den SPD-Anhängern. Seine Stimme frisst sich wie ein Braunkohlebagger in die Gehörgänge des Publikums. Laut und gewaltig. Seine Witze sind staubtrocken, die Pointen sitzen. "Ich wollte immer Bürgermeister werden", sagt er. "Aber im Sauerland sind die Städte klein und verdammt schwarz". Der Spitzenpolitiker im Ruhestand lässt keinen Zweifel: Egal, was die Umfragen auch sagen – er will seine Sozialdemokraten kämpfen sehen. "So wie Hertha BSC am Samstag gegen Bielefeld. Dreißig Sekunden vor Schluss – 1:0. Sprecht mit Euren Bekannten. Holt diejenigen, die das Richtige wählen, und lasst diejenigen zuhause, die das Falsche wählen." Glückauf.
Unterstützung von der Bundespartei
Es war eine schwierige Woche für Michael Naumann. Am Sonntag unterlief ihm beim TV-Duell gegen seinen CDU-Kontrahenten Ole von Beust ein folgenschwerer Blackout, über den besonders die Boulevardpresse mit Genuss herfiel. Am Donnerstag wurde zudem bekannt, dass SPD-Chef Kurt Beck über eine mögliche Hilfe der Linken bei der Wahl von Andrea Ypsilanti zur hessischen Ministerpräsidentin spekuliert haben soll. Heute wurden schließlich Vorwürfe gegen sein Kompetenzteam laut - ein Senator in spe soll sogar bei einem Finanzinvestor gearbeitet haben.
Zur Unterstützung für den zuletzt etwas angespannt wirkenden Naumann kamen neben Müntefering auch die hessische SPD-Spitzenfrau Andrea Ypsilanti und Bundessozialminister Olaf Scholz. Kurt Beck dagegen, der Naumann mit seinen Äußerungen in Erklärungsnotstand brachte, weilte zur selben Zeit auf einer Politexkursion Bayern, die ihn unter anderem ins Münchner Hofbräuhaus und zum Paulaner am Nockherberg führte.
Michael Naumann übernimmt. "Danke, dass Du uns auch über die Fußballergebnisse informiert hast", sagt der wahlkämpfende Publizist an die Adresse von Müntefering. Es klingt ein wenig tastend. Naumanns Stimme wirkt deutlich dünner als die von Franz Müntefering, er macht kluge Rhetorikschlenker, manchmal einige zu viel. Münte ist Rock, Naumann eher freier Improvisationsjazz.
Stimmung erst nach der Rede
"Am Sonntag wollen wir einen Schlussstrich ziehen nach sieben Jahren CDU-Regierung. Eine biblische Zahl. Es reicht", sagt er. Ole von Beust habe abgewirtschaftet, er erfahre die Wahrheit über seine Arbeit ohnehin erst aus den Medien. "Von Beust und sein Finanzsenator belügen die Stadt mit falschen Zahlen", sagt er. Wenn Naumann poltert, kann das auch fast schon ein wenig trotzig klingen: "Die Zahl der Kriminalitätsopfer ist unter Ole von Beust um 23 Prozent gestiegen, und da kann Innensenator Nagel noch so lange an seiner Pfeife saugen."
Die letzten Umfragen verheißen nichts Gutes für die Hamburger SPD. Es droht das zweitschlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Psephos im Auftrag des "Hamburger Abendblatts" kommen die Sozialdemokraten auf 34 Prozent, während die CDU bei 42 Prozentpunkten liegt. Emnid sieht beide Parteien in seiner letzten Umfrage vom 16. Februar sogar zehn Prozent auseinander. Ob der Sonntag ein wirklicher Freudentag für die SPD wird, ist also mehr als zweifelhaft.
Vielleicht ist es nur ein Zufall. Aber erst, als die Rede zu Ende ist, kommt das Publikum richtig in Fahrt. Einige Jusos initiieren "Naumann, Naumann"- Sprechchöre. Der Spitzenkandidat winkt ins Publikum, hebt seine Daumen zum Sieg, tanzt sogar zu Grönemeyers WM-Hymne "Zeit, das sich was dreht". Höhepunkt: Er nimmt die Enden seines Langschals in die rechte Faust und lässt das Intellektuellen-Schmuckstück wie ein Fußball-Accessoire durch die Luft kreisen.

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