Jedes Debakel hat einen Anfang. Bei Kurt Beck war es der 18. Februar 2008, ein Montag. In einem vertraulichen Gespräch sinniert der SPD-Vorsitzende über ein mögliches rot-rot-grünen Bündnis in Hessen. Dieser Wortbruch - Beck hatte vorher ein solches Bündnis vorher kategorisch ausgeschlossen - sickert durch und ruiniert die Glaubwürdigkeit der SPD. Sechs Tage später wird in Hamburg der neue Senat gewählt. Zwar gewinnt die SPD vier Prozent dazu, verfehlt den Regierungswechsel dennoch deutlich. Am Tag danach stehen für viele in der SPD-Spitze zwei Dinge fest: Erstens: Beck hat’s versiebt. Zweitens: Beck darf unter keinen Umständen Kanzlerkandidat werden.
"Die Hamburg-Wahl war der absolute Tiefschlag für seine Ambitionen als Kanzlerkandidat" erinnert sich ein Mainzer Sozialdemokrat im Gespräch mit stern.de. In der Tat leidet sein Image in den folgenden Wochen dramatisch. Michael Naumann, SPD-Spitzenkandidat in Hamburg, mag sich am Tag nach der Wahl nicht einmal den obligatorischen Blumenstrauß von seinem Parteichef abholen. Stattdessen bezichtigt er Beck wegen seiner Öffnung zu den Linken als "politischen Geisterfahrer" und schimpft in den Parteigremien: "Wir waren auf der Überholspur, und dann kam ein LKW aus Mainz und hat alles platt gemacht."
Opfer einer Intrige
Dass Becks Signal an die Linkspartei schlecht terminiert war, sieht man auch in Mainz so. "Der Zeitpunkt war einfach scheiße" sagt ein Mitarbeiter aus einem Mainzer Ministerium im Gespräch mit stern.de - um gleich darauf zu ergänzen: "Das hat der Beck auch selbst eingeräumt". Becks Fehler vom 18. Februar ist gleichzeitig Ursprung einer Legende, die da lautet: Ohne Beck hätte Naumann in Hamburg gewonnen, mit Beck wird zukünftig nichts zu gewinnen sein. Anhänger findet diese Interpretation vor allem im rechten Lager der SPD, das fortan zwar nicht ausschließlich gegen, aber auch nie ausdrücklich für den Parteichef arbeitet. Bei "jedem Kleinkram" sei Beck in den Folgemonaten parteiintern für seine Öffnung gegenüber den Linken heftig kritisiert worden. Dazu seien die Medien regelmäßig mit Interna aus der Parteispitze gefüttert worden. Das Ziel der Kritiker: "Es sollte ein Katalog des Versagens konstruiert werden", so Becks Mitarbeiter zu stern.de.
Kurt Beck also das Opfer einer Intrige? Für Jochen Hartloff, SPD-Fraktionschef in Rheinland-Pfalz, ist das offensichtlich: "Es gab insgesamt zu viele Querschläger. Manche in der Parteispitze lieben ihr Ego zu sehr, um ohne Intrigen Politik machen zu können", so Hartloff zu stern.de. Wer in der SPD so verliebt in sein Ego ist, mag Hartloff nicht sagen. Direkte Vorwürfe gegen Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering, die neue SPD-Führungsspitze, will auch ein anderer enger Vertrauter von Beck nicht erheben. Allerdings ist es für ihn nur noch eine Frage der Zeit, wann das sozialdemokratische Personalkarussell wieder in Schwung kommt. Der linke Flügel der SPD fordert Neubesetzungen, Andrea Nahles gilt als Kämpferin auf verlorenem Posten. Treffen soll es den Generalsekretär Hubertus Heil, der entweder von Müntefering in die Wahlkampfleitung berufen oder aber zum "Frühstücksdirektor" degradiert werde, so Becks Buddy zu stern.de.
Heile Welt Rheinland-Pfalz
Was zukünftig in Berlin passiert, interessiert unter den rheinland-pfälzischen SPD-Politikern angeblich keinen mehr so richtig. Dort überwiegt der Jubel über Becks Rückkehr. "Ich freue mich riesig dass er nach Mainz zurückkommt und bin sicher, dass er unser Bundesland wieder nach vorne bringt" jubiliert der Bundestagsabgeordnete Heinz Schmitt. Innenminister Karl Peter Bruch sagt im Gespräch mit stern.de, dass er "schon gemerkt habe, wie sehr Kurt Beck in Berlin gelitten hat". In Rheinland-Pfalz ist das offensichtlich anders, Beobachter der Partei sprechen davon, dass weite Teile der Parteibasis die Nachricht von Becks Rückkehr geradezu frenetisch aufgenommen hätten.
Rheinland-Pfalz - es muss in diesen Tagen für den Ministerpräsidenten Kurt Beck das Paradies auf Erden sein. Hier ist er der Säulenheilige, der Mann, ohne den nichts geht, der Adressat für kleine und große Sorgen. Martin Stadelmaier, Chef der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, betont im Gespräch mit stern.de die "solidarische und Kurt Beck aufmunternde Stimmung", die auf der Kabinettssitzung am Dienstag geherrscht habe. In den zweieinhalb Jahren, in denen er SPD-Vorsitzender war, habe er nur zweimal bei der Kabinettssitzung in Mainz gefehlt, schwärmt ein anderer Mitarbeiter von seinem Chef. Einmal davon sogar ohne eigene Schuld: Das Flugzeug sei kaputt gewesen.
Der gescheiterte Idealist
Rheinland-Pfalz - es ist aber auch das Land, in dem der zweite Grund für Becks Scheitern in Berlin zu finden ist. Im "Ländle" funktioniert sein Führungsstil. Beck will diskutieren, die Leute zu Wort kommen lassen, sich Zeit nehmen für Gespräche, die Menschen mit einbinden. "Sein Fehler war, dass er geglaubt hat, er könne seinen kooperativen und auf Konsens bedachten Politikstil in Berlin fortführen", sagt einer seiner engsten Vertrauten zu stern.de.
Kurt Beck agiert, wenn man sich auf diese Deutung einlässt, wesentlich demokratischer als beispielsweise Franz Müntefering mit seinem Basta-Stil. Becks Problem: Wer in Berlin zu lange diskutieren lässt, gilt recht schnell als fragwürdig. Wer in einer tief zerstrittenen Partei wie der SPD die Flügelkämpfe nicht beenden kann, gilt recht schnell als führungsschwach. Und wer als neuer Mann auf dem Schleudersitz des Parteivorsitzenden nicht sofort nach Amtsantritt seine eigenen Leute an entscheidenden Positionen postiert und eine eigene Hausmacht in Fraktion und Willy-Brandt-Haus organisiert, gilt recht schnell als unfähig - und das leider zu Recht.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Kurt Beck jedoch ist Idealist geblieben, auch in Berlin. Zwar ohne Hausmacht, dafür mit einer Vision eines anderen politischen Stils. "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen" riet Alt-Kanzler Helmut Schmidt einmal. Idealisten gewinnen halt keine Wahlen, jedenfalls nicht in Berlin. Am Samstag ist Landesparteitag in Rheinland-Pfalz, dort, wo die Welt des Kurt Beck noch in Ordnung ist. Beck wird sich zur Wiederwahl stellen, man wird ihn feiern, es wird sein, als käme Lukas Podolski endlich zurück zum 1. FC Köln.
Es ist wie ein Wechsel vom ewigen Meister zum abstiegsgefährdeten Aufsteiger. Was sportlich eine Verschlechterung wäre, kann durch ein besseres Umfeld trotzdem eine Verbesserung sein. Welcome Beck!