Ein Text über den Bundeshaushalt beginnt in diesen Berliner Ampel-Chaostagen am besten mit etwas Konkretem aus dem Rest der Republik, mit dem Promenadenring in Dresden zum Beispiel. Er ist eines der wichtigsten Bauprojekte der sächsischen Landeshauptstadt. Die Idee: Ein breiter Boulevard soll sich als grünes Band um die Altstadt ziehen. Große Bäume, viel Schatten. Gut fürs Klima, noch besser für Klimaanpassung. Ein Ort, der zum Spazierengehen und Verweilen einlädt – wenn er denn fertig wird.
Seit vergangener Woche nämlich fehlt das Geld. Seit das Verfassungsgericht den Nachtragshaushalt des Bundes für 2021 für nichtig erklärt hat, wissen sie in Dresden nicht, ob und wie sie ihre Promenade noch bezahlen können. Einen Teil der Kosten sollte schließlich der Bund übernehmen, finanziert aus dem Klima- und Transformationsfonds, kurz KTF. Das ist der Fonds, in den die Ampel zu Beginn ihrer Amtszeit 60 Milliarden Euro umgebucht hat, die ursprünglich für Coronahilfen vorgesehen waren. Ein nicht zulässiger Haushaltstrick, wie die Verfassungsrichter entschieden haben.
Als das Urteil kam, hat Finanzminister Christian Lindner daher sofort weite Teile des KTF gesperrt. Nun ist sein Staatssekretär Werner Gatzer mit zwei Briefen an alle Bundesministerien noch weiter gegangen und hat Teile des Haushalt 2023 gesperrt. In den Planungsbüchern des Landes stehen jetzt viele Promenadenringe.
Was aber folgt nun aus diesem in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Vorgehen? Und was bedeutet das eigentlich: Haushaltssperre?
Drei wichtige Fragen muss man unterscheiden
Um in dieser Woche nicht den Überblick zu verlieren, muss man die möglichen Folgen des Urteils sortieren. Da wäre, erstens, die ganz große Frage: Wie lässt sich der klimagerechte Umbau der Industrie nun künftig finanzieren? Darauf braucht nicht nur die Ampel, nein auch die Union eine Antwort, die der Wirklichkeit gerecht wird. Aber sie brauchen sie nicht sofort.
Denn da wäre, zweitens, die Frage der Woche: Was bedeutet die Entscheidung der Verfassungsrichter für den Haushalt 2024, den der Bundestag eigentlich in dieser Woche beschließen soll? Und da wäre, drittens, die komplexeste unter den ohnehin schon komplizierten Fragen: Was ist eigentlich mit dem laufenden Haushalt für 2023?
Frage zwei und drei sind eng miteinander verbunden. Nicht nur, weil sie die zerstrittene Ampel-Koalition an den Rand der Regierungsfähigkeit treiben, sondern auch ganz praktisch und simpel: Weil jeder Haushalt den des nächsten Jahres vorbestimmt. Und damit zu dem ersten Brief von Lindners Staatssekretär Werner Gatzer an die Ministerien. Er kam Montagabend. Was steht drin und was bedeutet es?

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Ein ansonsten verbotener Vergleich
"Um weitere Vorbelastungen für künftige Haushaltsjahre zu vermeiden, beabsichtige ich, ausgebrachte und noch verfügbare Verpflichtungsermächtigungen mit sofortiger Wirkung zu sperren", heißt es in dem Schreiben. Und das entscheidende Wort dabei lautet: Verpflichtungsermächtigungen. Wer sich nicht täglich mit öffentlichen Haushalten beschäftigt, kann sich darunter vermutlich wenig vorstellen. Wenn man dieses sperrige Wort in seine Einzelteile zerlegt, wird aber schnell klar, worum es geht.
Man muss dazu nur wissen, dass für Haushalte grundsätzlich das Prinzip der Jährlichkeit gilt. Das bedeutet: Was der Staat für ein Jahr beschließt, muss er in dem Jahr auch ausgeben. Mehrjährige Projekte wären demnach unmöglich. Deshalb gibt es Verpflichtungsermächtigungen. Das Parlament, das die Hoheit über den Haushalt hat, ermächtigt damit die Verwaltung, Verpflichtungen einzugehen, die in den kommenden Jahren zu Ausgaben führen werden.
Wenn nun also die Verpflichtungsermächtigungen für fast den gesamten Haushalt 2023 gesperrt sind, bedeutet das: Die laufenden Ausgaben sind davon nicht betroffen. Was für dieses Jahr beschlossen wurde, wird wie geplant ausgegeben – wenn das so kurz vorm Jahreswechsel nicht ohnehin längst erledigt ist. Die Regierung hinterfragt mit der Sperre vielmehr, was sie künftig ausgeben will und kann. Eben weil ihr nach dem Urteil des Verfassungsgerichts ordentlich Geld fehlt, das fest eingeplant war.
Um es noch anschaulicher zu machen, kann man angesichts der Lage ausnahmsweise einmal etwas tun, was sich sonst verbietet: private Haushaltsführung mit öffentlichen Finanzen vergleichen. Man darf sich den aktuellen Vorgang, maximal grob vereinfacht, so vorstellen: Einer Familie bricht kurz vor Weihnachten ein beträchtlicher Teil ihres Einkommens weg, weil der Arbeitgeber der Mutter in die Insolvenz muss. Diese Familie wird trotzdem weiter einkaufen gehen, vielleicht sogar Geschenke unter den Baum legen können. Aber garantiert storniert sie erstmal den schon gebuchten, aber noch nicht bezahlten nächsten Sommerurlaub.
Schon wieder nicht verfassungsfest?
In diesem Sinne fügt sich die Sperre der Verpflichtungsermächtigungen gut ein in die einzige Ansage, auf die sich SPD, Grüne und FDP momentan einigen können: Wir prüfen! Nur wer sich nun die Verpflichtungen von heute gründlich anschaut, kann für morgen neue Spielräume schaffen – vor allem für den Haushalt 2024, den die Ampel möglichst schnell beschließen will.
Aufgrund des Urteils ergebe sich "die Notwendigkeit der Überprüfung der haushaltswirtschaftlichen Gesamtlage", schreibt Haushalts-Staatssekretär Gatzer, der in seiner Beamtenkarriere vier Finanzministern von drei verschiedenen Parteien diente und eigentlich schon alles gesehen hatte. Eigentlich.
Denn die Sperre der Verpflichtungsermächtigungen löst ganz offensichtlich nicht das Problem, was sich aus dem Urteil für die laufenden Ausgaben dieses Jahres ergibt. Wir erinnern uns an die dritte Frage der obigen Aufzählung: Ist der Haushalt 2023 wirklich verfassungsfest?
Dazu muss man wissen: Was die Verfassungsrichter entschieden haben, bezieht sich auch auf das Prinzip der Jährlichkeit. Und es betrifft Kredite, die in Notlagen aufgenommen wurden, als die Schuldenbremse ausgesetzt war. Diese Kredite darf eine Bundesregierung nach dem Urteil der Richter nur in dem Jahr nutzen, für das sie die Notlage ausgerufen hat. Das könnte nun neben dem KTF auch Folgen für den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) haben – und damit für den laufenden Haushalt.
Entscheidung wohl im Koalitionsausschuss
Der WSF sollte ursprünglich Unternehmen im Zuge der Corona-Pandemie stützen, wurde aber nach Ausbruch des Ukrainekriegs erweitert, um die Energiekrise abzufedern. Dazu stattete die Regierung den Fonds 2022 mit Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro aus. Das war der sogenannte "Doppel-Wumms".
Damals hatte die Bundesregierung eine Notlage erklärt, die Schuldenbremse war ausgesetzt. Nun floss dieses Jahr ordentlich Geld aus dem WSF, unter anderem mehr als 30 Milliarden Euro um Energie- und Strompreise zu drücken. Die dafür verwendeten Kredite müssten aber dementsprechend, folgt man der Logik der Verfassungsrichter, dieses Jahr auf die Schuldenbremse angerechnet werden – was zur Folge hätte, dass der Haushalt 2023 deutlich mehr Schulden aufnimmt als zulässig.
Am Dienstag ging deshalb ein weiterer Gatzer-Brief an alle Ministerien, über den zuerst das "Handelsblatt" berichtete. Damit sperrt die Regierung nun auch den WSF für 2023. Die Auszahlung der Energiepreisbremsen sei davon aber nicht betroffen. Am Abend dann wurde bekannt, dass der WSF zum Jahresende ganz geschlossen werden soll.
SPD, Grünen und FDP bleiben angesichts dieser Ausgangslage nicht viele Möglichkeiten. Ja, für alles, was kommt, müssen sie ordentlich prüfen und prüfen und prüfen. Aber für alles, was gerade war und noch läuft, gibt es wohl nur eine Lösung: Die Ampel wird für dieses Jahr noch einmal die Notlage erklären müssen. Eine Entscheidung darüber könnte ein Koalitionsausschuss treffen. Termin? Bisher unbekannt.
Bekannt ist hingegen, dass am Dienstag Ökonomen den Haushältern im Bundestag ihre Analyse des Urteils präsentieren. Dass diese Haushälter am Donnerstag noch einmal zusammenkommen, um den Etat für das kommende Jahr zu beraten und eventuell zu beschließen. Und bekannt ist auch, dass CDU und CSU schon jetzt zweifeln, dass eine so spät im Jahr ausgerufene Haushalts-Notlage verfassungsrechtlich sauber wäre.
Die Berliner Chaostage gehen also weiter. Und die Dresdner müssen sich gedulden, was aus ihrer Promenade wird.