Zwei Wochen ist es nun her, dass Jan Böhmermann im ZDF sein Schmähgedicht vorgelesen hat. Und nicht nur in Deutschland ist die Causa Böhmermann inzwischen zum handfesten Politikum geworden, auch international erregt der Satire-Streit Aufsehen.
Weltweit verfolgen Journalisten den Konflikt zwischen Erdogan und der Meinungsfreiheit in Deutschland und sind sich in ihrer Beurteilung fast einig: Merkel dürfe vor dem türkischen Präsidenten nicht einknicken. Dass die Kanzlerin das Gedicht noch kritisiert habe, bewerten viele als "Kniefall" vor dem Präsidenten.
Besonders scharfe Kritik hagelt es von der "Washington Post". In einem Editorial schreiben die Herausgeber:
"Der Fall sollte nichts als schallendes Gelächter über Erdogans Größenwahn hervorrufen. Stattdessen, und das ist alarmierend, gibt Merkel zumindest vor, ihn Ernst zu nehmen." Vielleicht hoffe die Kanzlerin, so eine diplomatische Krise zu verhindern, die den Türkei-Deal gefährden könnte. "Falls es so ist, liegt sie vermutlich falsch: Herr Erdogan wird nicht zufrieden sein, bis Herr Böhmermann bestraft und die Redefreiheit in Deutschland gefährdet wird. (...) Ihr Geschwafel ist dazu angetan, Herrn Erdogan und andere Regime - uns kommt da ganz schnell China in den Sinn - zu ermutigen, welche kritische Äußerungen sowohl außer- als auch innerhalb ihrer Grenzen zu unterdrücken versuchen."
Für die niederländische Zeitung "De Telegraaf" ist die Affäre der Beweis, dass die Türkei nicht in die EU passt:
"Wie weit reicht Erdogans Macht? Wenn es nach ihm geht, sehr weit. Er fordert Strafverfolgung für den Komiker Böhmermann, der ihn verspottet hat. Die ganze Sache ist dermaßen aus dem Ruder gelaufen, dass Bundeskanzlerin Merkel nun ein Problem hat. (...) Indem sie die Satire Böhmermanns als 'verletzend' bezeichnete, hat sie für böses Blut gesorgt. Subtil sind die Tiraden des Komikers wirklich nicht, und auch großzügige Geister werden sie nicht sonderlich lustig finden. Aber es geht darum, dass in einer offenen, demokratischen Gesellschaft derartige Äußerungen möglich sind. Merkel muss Rückgrat zeigen. Erdogan kann nicht bestimmen, wie weit Humor in Deutschland gehen darf. Einmal mehr hat der Präsident gezeigt, dass die heutige Türkei nicht in die EU gehört."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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Die rechtsliberale dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" schreibt:
"Anstatt die freie Presse und ihre Satiriker frei wirken zu lassen, hat Angela Merkel sich bei Erdogan entschuldigt, aber wie der traurige Verlauf der Sache gezeigt hat, will er mehr. Eine Entschuldigung war nicht genug. Jetzt will Erdogan auch das Recht auf seiner Seite haben und hat die einleitenden juristischen Schritte getätigt. Merkels Entschuldigung wird als Kniefall vor Erdogan aufgefasst. Die ganze Affäre ist eine triste Illustration dessen, was passiert, wenn man sich Druck beugt. Man bekommt mehr Druck, nicht weniger."
Auch die italienische Zeitung "La Repubblica" sieht die Freiheit in Deutschland in Gefahr:
"Deutschland riskiert, im Namen der Realpolitik seine bisher unantastbare Satirefreiheit zu opfern. Der 'Fall Böhmermann' ist inzwischen weit mehr als nur ein diplomatischer Streit zwischen Deutschland und der Türkei. Er riskiert, ein schwerwiegender Präzedenzfall zu werden."
Die lettische Tageszeitung "Diena" schreibt:
"Eine Satire über den autoritären türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Ankara ganz ernsthaft verärgert hat, bereitet der deutschen Kanzlerin Angela Merkel große Kopfschmerzen. Einerseits sind gute Beziehungen mit der Türkei sehr wichtig für sie, um die europäische Flüchtlingskrise zu bewältigen. Anderseits kann sie sich nicht gegen die Meinungs- und die Pressefreiheit stellen, die einer der Eckpfeiler der deutschen Demokratie ist."
