Er konnte austeilen, vor allem nach rechts. Nun zieht sich der langjährige Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs nach einer innerparteilichen Niederlage aus der Politik zurück – und zwar sofort.
Als Grund für seinen völlig überraschenden Rückzug nannte der 56-Jährige in einer persönlichen Mitteilung am Dienstag die Vorgänge rund um die Neubesetzung des Amtes des Wehrbeauftragten des Bundestags.
Johannes Kahrs war über 20 Jahre im Bundestag
Der SPD-Fraktionsvorstand hatte in der vergangenen Woche die Abgeordnete Eva Högl als Nachfolgerin des bisherigen Amtsinhabers Hans-Peter Bartels vorgeschlagen – und Kahrs außen vor gelassen. "Da mir die Bundeswehr sehr am Herzen liegt, als Oberst der Reserve, ehemaliges Mitglied im Verteidigungsausschuss oder als langjähriger Berichterstatter für das Verteidigungsministerium im Haushaltsausschuss, hätte ich gerne für das Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages kandidiert", erklärte Kahrs.
Nun zog der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises die Konsequenzen aus der Nicht-Berücksichtigung. Mit Ablauf des Dienstags trete er "von meinem Mandat und allen politischen Ämtern zurück". Kahrs strebe einen Neuanfang "außerhalb der Politik" an.
Johannes Kahrs war seit 1998 als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Mitte im Bundestag – und erarbeitete sich dort einen Ruf als versierter Haushaltspoltiker, aber auch als eifriger Strippenzieher und Netzwerker hinter den Kulissen. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb einst von einem "System Johannes Kahrs". Er machte in seiner politischen Karriere Freunde und Gegner. Vor fast 30 Jahren soll er eine Juso-Genossin am Telefon terrorisiert und beleidigt haben – das Gerichtsverfahren endete mit einem Vergleich
Johannes Kahrs: Immer wieder Attacken gegen die AfD
In den vergangenen Jahren schaffte es Kahrs immer wieder mit verbalen Attacken im Bundestagsplenum gegen die AfD und ihre Abgeordneten in die Schlagzeilen (lesen Sie dazu im stern: "AfD-Eklat im Bundestag: SPD-Politiker beklagt im stern-Interview 'Mimimi von Rechtsradikalen'). Als großen politischen Erfolg feierte Kahrs stets, Gelder für Kulturprojekte nach Hamburg geleitet zu haben. Auch die Einführung der "Ehe für alle" vor knapp drei Jahren gehörte für ihn zu den wichtigsten politischen Entscheidungen seiner Laufbahn. 2018 heiratete der Politiker nach mehr als 25 Jahren Partnerschaft seinen Mann.
Mit dem Rückzug von Johannes Kahrs geht dem Bundestag ein streitbarer und bürgernaher Vollblutpolitiker verloren. Jahr für Jahr lud er Tausende Hamburger zu Bundestagstouren in die Hauptstadt ein, betrieb intensive Arbeit in seinem Wahlkreis.
Darüber hinaus war Kahrs aktiver Nutzer sozialer Netzwerke, setzte täglich Dutzende Tweets und Posts ab und ließ so seine Anhänger am politischen und privaten Leben teilhaben. Dort ist er jetzt auf Tauchstation gegangen: Seine Social-Media-Accounts sind inzwischen allesamt deaktiviert.