Joschka Fischer "Heilfroh, dass ich weg bin"

Ende der Funkstille. Nach zwei Jahren meldet sich Joschka Fischer mit seinen Memoiren zurück. Im stern redet der Ex-Außenminister über die Qual mit seiner Partei, die reformmüden Deutschen, Leberwürste in New York und sein Image als Grobian.

Herr Fischer, fehlen Ihnen die Grünen?

In meinem jetzigen Leben? (lacht) Nein.

Fehlen Sie den Grünen?

Auch nicht. Zumindest in der Spitze scheinen alle heilfroh zu sein, dass ich weg bin. Und das ist gut so.

In Ihrem Buch "Die rot-grünen Jahre" schreiben Sie, Sie seien nie "wirklich warm" mit der Bundespartei geworden, es seien "qualvolle Jahre" gewesen, sie hätten sich nie "persönlich wohl oder gar zu Hause gefühlt". Und: "Emotional sind mir die Bundesgrünen immer fremd geblieben, bis auf den heutigen Tag." Klingt nach chinesischer Wasserfolter.

Was ist das?

Sie kriegen alle zehn Sekunden einen Tropfen auf den Kopf und werden langsam verrückt.

Nein, so war das nicht. Ich verdanke meiner Partei sehr viel. Sie hat Großes geleistet, ich würde mir nur wünschen, dass sie dazu auch steht.

Aber Spaß und Freude hat's nicht gemacht?

Ich wollte keine Sekunde missen, aber es war ein immerwährender Kampf, der am Ende Wunden hinterlassen hat. Man wird müde und erschöpft sich.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Gerhard Schröder wird für die SPD im Wahlkampf auftreten. Was macht der "letzte Live-Rock‘n‘Roller" Fischer?

Keine Konzerte mehr.

Was treiben Sie eigentlich den ganzen lieben langen Tag mit Ihrer Energie?

Ich schreibe viel, Kolumnen, fange nun mit dem zweiten Band meiner Memoiren an.

Wollen Sie Genscher übertreffen? Der hat es auf 1086 Seiten Erinnerungen gebracht. Ihr erster Band hat schon 444.

Der zweite wird mindestens so umfangreich. Es waren bewegte und bewegende Zeiten. Ansonsten reise ich viel, halte Vorträge.

Wer ist Ihr Agent? Ihre Firma "Joschka Fischer Consulting"?

Ich bin mein eigener Agent.

Die Interessenten rufen bei Ihnen an und sagen: Kommen Sie doch mal bei uns vorbei für eine kleine Rede, wir zahlen gut?

Sorry, mit mehr Details kann ich nicht dienen.

In Berlin geistert das Gerücht herum, Sie könnten 2009 ein guter Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl sein.

Das ist völlig abwegig. Es gibt wenige Ämter, für die ich ungeeigneter wäre.

Aber gebauchpinselt fühlen Sie sich schon.

Keineswegs. Schauen Sie, wenn ich etwas als Außenminister nicht gemocht habe, dann das Repräsentative, das Zeremonielle. Das bin ich einfach nicht. Absurd.

Sie haben gerade fast ein Jahr in den USA verbracht, als Gastdozent in Princeton. Haben Sie die Distanz gebraucht?

Ja, selbstverständlich. Ich wollte mich rausziehen aus der deutschen Öffentlichkeit.

Welches Deutschlandbild haben Sie in den USA vermittelt bekommen?

Politisch-strategisch spielen wir kaum noch eine Rolle. Der Gipfel in Heiligendamm zum Beispiel interessierte in den USA eigentlich niemanden. In Princeton hielt mein früherer indischer Kollege eine Rede, die er ganz selbstverständlich mit den Worten begann: Im 21. Jahrhundert gibt es drei Supermächte - China, Indien und die USA. Europa kam da nicht vor. Es gab auch keinen Widerspruch.

Wie hat sich der Privatmann Fischer in den USA gefühlt?

Dass Dinge einfach gemacht werden, finde ich sehr faszinierend. Es gibt eine andere Bereitschaft zum Handeln, zu mehr Risiko und weniger Skepsis. Europa ist dafür bunter und spannender. Die Geschäfte, die Cafés, die Urbanität. Europa hat mir gefehlt.

Es gab aber keine Care-Pakete?

So weit ging's nicht. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich mal bis zur 82. Straße in New York fahren würde, um Leberwurst zu kaufen.

Deutschland ist derzeit wenig risikobereit, sondern hat auf Reformpause gestellt.

Die Welt um uns herum wartet nicht auf uns. Das ist wie beim Marathon: Da dürfen Sie im Mittelteil nicht abreißen lassen, wenn sie vorne mit dabeibleiben wollen.

Sie sind gegen eine ruhige Hand?

Deutschland geht es gerade gut. Die Sonne scheint, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Wirtschaft brummt. Da will man sich zurücklehnen, aber wir sind noch nicht so weit.

Was fehlt?

Ich finde es gut, dass die Regierung den Mut zur Rente mit 67 hatte. Es war auch kein Fehler, die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Aber das war's schon. Die Gesundheitsreform gehört eingestampft, da haben SPD und Union exakt die negativen Teile ihrer jeweiligen Reformvorstellungen zusammengeschustert. Beim Arbeitsmarkt müsste man alle Energie daransetzen, dass die Förderung und Qualifizierung entscheidend verbessert wird, um so mehr Flexibilität zu ermöglichen und unsere Wettbewerbsposition zu verbessern. Und dann: Bildung, Bildung, Bildung. Abschied vom dreigliedrigen System, kleinere Klassen, bessere individuelle Förderung. All das kostet aber.

Juckt es Sie nicht, mal wieder Ihre Meinung zu sagen?

Politisch ist das nicht mehr meine Aufgabe. Ich bin Grüner, aber die parteipolitische Brille habe ich abgesetzt. Was ich eben gesagt habe, sind Betrachtungen des Bürgers Fischer.

Verfolgen Sie die Bundestagsdebatten?

Nein. Das ist vorbei.

Früher ...

... war früher und jetzt ist jetzt.

Auch keine Grünen-Parteitage mehr?

Gewiss nicht!

"Ich gehe gerne", haben Sie beim Abschied gesagt. Was hat es Ihnen so leicht gemacht?

Ich wollte noch mal was anderes machen. Sie werden im Laufe der Zeit nicht besser. Demokratie ist auf Wechsel ausgerichtet.

Jetzt spricht der Gemeinschaftskundelehrer!

Ich meine das sehr ernst. Der Druck ist gewaltig, 365 Tage im Jahr, Wenn Sie Schwäche zeigen, werden Sie zum Risiko.

Schröder sagte mal, acht Jahre sind genug.

Das war gar nicht so dumm. Ich habe ihm 2005 gesagt: Wenn wir durchhalten, wirst du noch einmal gewählt. Aber dann wird es Zeit zu gehen.

Er wollte gegen Ihren Rat Neuwahlen ...

Sein Argument war, die SPD hätte es nicht durchgehalten.

... und knapp verloren.

Tempi passati.

Waren Sie zu jeder Phase des Kosovo-Krieges überzeugt, das Richtige zu tun?

Unbedingt. Ich war nach den ersten Wochen nur nicht mehr überzeugt, dass die Nato die richtige politische Strategie hatte. Es gab keinen überzeugenden politischen Plan. Hier hat die deutsche Diplomatie angesetzt und geliefert.

Stand es im Kabinett jemals auf der Kippe?

Wir hatten einen Moment, da nahm der emotionale Druck gewaltig zu. Da ist Gerhard Schröder aber nicht gewankt und nicht gewichen. Da sieht man, wie sehr es auf den Kanzler ankommt.

Wenn die Grünen auf ihrem Sonderparteitag 1999 in Bielefeld gegen die Beteiligung am Kosovo-Krieg gestimmt hätten, wären Sie sofort aus der Partei ausgetreten ...

In der nächsten Sekunde.

… und in die SPD eingetreten!

Nein! Ich hätte dem Kanzler nur angeboten, als Außenminister weiter zu amtieren, bis ein Nachfolger gefunden worden wäre.

Wie sehr hat Sie Bielefeld den Grünen entfremdet? Sie haben dort einen Farbbeutel abgekriegt.

Es hat damals einen inneren Bruch gegeben. Ich habe nie darüber gesprochen, aber es hat mich der Partei sehr entfremdet. Zudem war ich unglaublich wütend, weil ich auf Aggression mit Gegenaggression reagiere.

Soeben haben sich die Grünen auf einem anderen Sonderparteitag von Ihrer Afghanistan-Politik abgewendet.

Meine Position in der Afghanistan-Frage ist unverändert. Mit ihrer neuen Position werden die Grünen in die kommenden Bundestagswahlen gehen und dann wird man sehen, was dabei rauskommt.

Verstehen Sie, was die Grünen da treiben?

(Schweigt lange) Das müssen die jetzt selber regeln. Ich bin nicht mehr Teil davon.

Wenn Sie konsequent wären, müssten Sie sagen: Das ist nicht mehr meine Partei!

Ach woher! Afghanistan ist ja nicht nur ein grünes Problem. Bis tief in die Union hinein gibt es Skepsis, was den Einsatz betrifft. Ich teile diese Skepsis nicht. Im Gegenteil, wir müssten viel mehr machen.

Biografie

Joseph Martin Fischer, genannt Joschka, ist der Politiker mit dem wildesten Lebenslauf. Er wird am 12. April 1948 im schwäbischen Gerabronn geboren. Sein Vater, ein vertriebener Deutsch- Ungar, malocht als Metzger im Schlachthof, kippt mit 56 Jahren bei der Arbeit um, stirbt. Joschka schwört sich: "So wirst du mal nicht enden". Schmeißt mit 16 Jahren das Gymnasium, macht dann eine Fotografenlehre, trampt nach London, heiratet in Gretna Green zum ersten Mal. Geht nach Frankfurt, schließt sich der Studentenbewegung, später den Spontis an. Liest und lernt wie ein Besengter, besetzt Häuser, klaut Bücher, übersetzt Pornos, fährt Taxi, betreibt ein Antiquariat in der "Karl Marx Buchhandlung", zeugt zwei Kinder, heiratet zum zweiten Mal. Versucht am Fließband die Opel- Arbeiter für die Revolution zu gewinnen, zieht in den Straßenkampf, steht zeitweise auf der Kippe zum Terrorismus. Als führendes Mitglied der "Putztruppe" verprügelt er Polizisten. "Ja, ich war militant", bekennt er Anfang 2001 im stern. 1976 schwört er der Gewalt ab, nachdem ein Polizist bei einer Demonstration einen Molotowcocktail abbekommen hatte und fast verbrannt wäre. Heiratet zum dritten Mal. Tritt 1982 den Grünen bei und bugsiert die Anti- Parteien-Partei in eineinhalb Jahrzehnten zähem (Einzel-)Kampf auf Realokurs. Kommt 1983 in den Bundestag, wird Ende 1985 Umweltminister in Hessen. Kehrt 1994 zurück in die Bundespolitik. Hat zwar nie ein offizielles Parteiamt, gilt aber spätestens ab jetzt als heimlicher Chef der Grünen. Begnadeter Redner im Bundestag. Frisst und säuft sich auf Kohl-Umfang, beginnt exzessiv zu joggen. Heiratet ein viertes Mal. Wird 1998 erster grüner Außenminister des Planeten, führt Deutschland und die Grünen in den Kosovo-Krieg, rettet mit fulminantem Wahlkampf 2002 Rot-Grün und Gerhard Schröder die Kanzlerschaft. Richtet die Grünen ab und damit zugrunde. Verstrickt sich in die Visa-Affäre, schwächelt, wird von Schröder über die Neuwahlen nur noch informiert. Nimmt wieder zu. Bleibt danach noch ein Jahr im Bundestag und verabschiedet sich mit den Worten: "Feierabend. Ich bin Geschichte." Hält Vorlesungen in Princeton und bestens dotierte Vorträge. Zieht mit seiner fünften Frau Minu Barati von Berlin- Mitte in eine Villa im gediegenen Grunewald. Privatisiert. Nimmt wieder ab. Schreibt Erinnerungen - und weckt sie: An eine oft rüpelige und berserkerhafte, eingebildete und egomane, aber immer spannende Politiker-Generation.

Auch militärisch?

Als die Taliban voriges Jahr im Süden wieder mit ihrer Terrorkampagne begannen und vor allem Kanada um Hilfe bat, da hat Deutschland sich verweigert. Dafür werden wir noch einen Preis bezahlen müssen.

Welchen Preis?

Die Nato ist ein Bündnis, das auf Gegenseitigkeit beruht. Auch wir werden einmal Hilfe brauchen. Und dann werden die anderen uns die kalte Schulter zeigen.

Würden Sie momentan Grüne wählen? Es müsste Ihnen verdammt schwerfallen.

Neeeiin. Ich habe immer Grün gewählt. Wenn Sie sich die Alternativen ansehen ... Die Klimakanzlerin! Bisher bewegen wir uns nur im luftigen Bereich verbaler Emissionen, aber noch ist nichts Konkretes passiert. Das ist bisher nur politische Luftbelastung. Hier sind die Grünen unverzichtbar. Aber ich will hier keinen Wahlkampf für meine Partei machen.

Was halten Sie überhaupt von Schröders Nachfolgerin?

Noch ist es zu früh, das zu sagen.

Nach zwei Jahren? Sie erinnern an Tschu En-lai, der auf die Frage, wie er die Französische Revolution sehe, antwortete: Es ist zu früh, das zu beurteilen.

Weil wir in Deutschland in einer Sonnenscheinphase sind. Kanzler werden im Amt gemacht. Noch habe ich keine harten Führungsentscheidungen gesehen.

Kommt Merkel so gut an, weil die Leute nach sieben Testosteron-geschwängerten rotgrünen Jahren einen anderen Stil wollen?

Mag sein, aber mit Stilfragen wird man auf Dauer nicht vorankommen. Letztendlich muss ein Kanzler führen.

Merkel hat den Dalai Lama emfangen ...

Das war richtig. Ich auch.

Schröder nicht. Merkel spricht Menschenrechtsverletzungen in Russland und China an. Sogar die grüne Parteichefin Claudia Roth glüht vor Bewunderung.

Ich habe das so genau nicht verfolgt.

Das glauben wir nicht.

Ist aber so.

Sie verfolgen nicht mehr, was die Grünen machen?

Nicht mehr so im Detail, wie es früher notwendig war. Im Übrigen, ich finde gut, dass die Kanzlerin in Menschenrechtsfragen klar redet. Aber eins sollte man auch beachten: Wenn man in den Sicherheitsrat will und gleichzeitig mit Peking und Moskau Probleme hat, wird es schwierig.

Einige Figuren kommen in Ihren Erinnerungen überraschend gut weg, Ihr Widersacher Hans-Christian Ströbele zum Beispiel.

Was heißt: Kommt gut weg? Ich wollte keine Abrechnung, auch kein Nachtreten, sondern die Zeit aus meiner Sicht darstellen, wie sie war. Es war ein Auf und Ab. Jürgen Trittin war ein hervorragender Umweltminister, aber wir hatten auch unsere heftigen Kontroversen.

Trauen Sie ihm zu, die Grünen zu führen?

So frei bin ich dann doch nicht. Jede Äußerung von mir dazu wäre ungehörig.

Anders herum: Sollten die Grünen von Ihrer Doppelspitzen-Dogmatik abrücken?

Ich war immer dafür, dass wir klare, traditionelle Strukturen entwickeln. Aber ich konnte mich nie durchsetzen. Und jetzt mische ich mich nicht mehr ein. Punkt.

Weil es Sie nicht mehr interessiert?

Ich habe eine klare Meinung, aber die behalte ich für mich. Darauf hat die neue Führung einen Anspruch.

Ist Rot-Grün mit Ihrem Abgang erledigt?

Diese Epoche ist vorerst abgeschlossen. Die politische Linke besteht jetzt aus drei Parteien, vermutlich längere Zeit.

Und was ist mit Rot-Rot-Grün?

Wir haben eine Stammwählerschaft, die weit in die Mitte reicht. Bei uns haben sich die linken Wähler schon seit längerem verabschiedet. Wenn die Grünen glauben, sie könnten zu einem linken Protestprofil zurück, ohne einen heftigen Preis dafür zu bezahlen, täuschen sie sich. Wenn sie klug sind, geben sie unsere neue Wählerschaft nicht auf. Ansonsten kann es schnell gefährlich werden.

Anfang 2001 veröffentlichte der stern Fotos aus den 70er Jahren, die zeigten, wie der Straßenkämpfer Joschka Fischer einen Polizisten verprügelte. Hatten Sie gehofft, die Bilder würden nie auftauchen? Oder hatten Sie deren Existenz schlicht verdrängt?

Weder noch. Ich hatte sie nie vergessen. Die Fotos waren auch schon veröffentlicht worden.

Nur hatte Sie keiner darauf identifiziert! Nach dem stern-Gespräch darüber waren Sie kurz vorm Rücktritt. Warum?

Ich hatte den Eindruck, ich könnte mich aus dem Amt heraus nicht gut gegen die losbrechende Generalattacke auf mich und die 68er wehren. Ich habe kommen sehen, dass es qualvolle Monate werden würden - und es wurde qualvoll. Das hätte ich mir gern erspart. Enge Mitarbeiter haben mich aber überzeugt, durchzuhalten.

Was war schwieriger durchzustehen: Das - oder die Visa-Affäre vier Jahre später?

Visa war keine wirkliche Affäre. Da musste ich einfach durch.

Sie haben es nicht ernst genommen!

Ernster als Sie meinen. Als Opposition hätte ich auch auf mich draufgeschlagen. Nur war die CDU/CSU viel zu stümperhaft. Da hat Frau Merkel ihr großes christliches Herz bewiesen, als sie die Herren von Klaeden und Uhl in den Ausschuss gesetzt hat. Das habe ich dankend angenommen.

Dafür haben die Medien Sie umso härter rangenommen. Für viele Journalisten war es ein willkommener Anlass, sich an Ihnen für die schlechte Behandlung zu rächen.

Gibt es einen Artikel im Grundgesetz, dass Journalisten unter dem Kinn gekrault und mit Puderzucker bestäubt werden müssen?

Och …

Nix och! Diese Haltung ist weitverbreitet. Dann schreibt halt schlecht, war meine Meinung. So what. Ich gebe aber zu: Ich war nicht immer der Höflichste.

Worauf sind Sie stolz?

Ich habe die Grünen gemeinsam mit den Realos an die Macht geführt und zum ersten Mal dadurch eine linke Mehrheit in der Bundesrepublik geschaffen. Wir haben das Land entscheidend verändert.

Sie haben die Grünen dafür zur Kriegspartei gemacht.

Ich habe mich sehr schwergetan, aber wir konnten dem Morden und den Massenvergewaltigungen auf dem Balkan nicht länger zuschauen.

Der Autor Jürgen Schreiber wirft Ihnen in seinem Buch "Meine Jahre mit Joschka" genau das vor: Sie sind der Verräter der grünen Träume, ein "plappernder Maulheld".

Ist ja gut. Aber warum schreibt er dann ein ganzes Buch über mich? Und für seine Träume war ich nie zuständig.

Was werden wir über Sie in den Geschichtsbüchern lesen?

Falls überhaupt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich das noch mitbekomme, bedauerlicherweise sehr gering.

Sie werden nächsten Jahr 60. Bammel?

Nee. Das habe ich schon hinter mir. Den hatte ich mit 50, als ich den Strich am Horizont sah und kapierte: Das ist mein eigener. Der kommt jetzt immer näher.

Genießen Sie Ihre neue Freiheit?

Genießen? Das hat so was Pensionärmäßiges. Ich nutze sie.

Was war der beste Augenblick im Amt?

Als EU-Unterhändler Ahtisaari 1999 nach Köln kam und das Ende des Krieges aus Belgrad mitbrachte.

Der kurioseste Moment? Als Schröder in New York beim Millenniums-Gipfel tobte, weil er so ein mieses Hotelzimmer bekam?

Das war köstlich. Da hat sich eine spontihafte Begeisterung bei mir breitgemacht.

Sie selbst sind nicht ausgeflippt?

Ich war dort nur für eine Nacht. Deshalb habe ich mir gesagt: Mach die Augen zu und das Licht aus, dann siehst du die ganzen Flecken nicht.

Konnte Deutschland sich kein anständiges Hotel für seine Politiker leisten?

Das Kanzleramt wollte Schlagzeilen über Verschwendung vermeiden. Gerhard Schröder legte nie Wert auf Prunk, aber das Kabuff war jenseits des Erträglichen. Gegenüber im "Waldorf " logierten einige Staatschefs aus der Dritten Welt.

Das bizarrste Erlebnis?

Der sogenannte Aufstand der Mumien. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich im Jahr 2005 kritisiert werden würde, weil ich Nachrufe auf Diplomaten unterbinden muss, die in der Nazi-Zeit hohe Positionen hatten - auch wenn sie später vielleicht ihre Verdienste gehabt haben mögen. Das hat mich schockiert.

Das dämlichste Vorurteil über Sie?

Es gibt so viele … Dass ich arrogant wäre, habe ich nie verstanden, aber es sagen so viele Leute, dass es fast wohl stimmen muss. Dass ich hart bin, manchmal sogar grob - damit muss ich leben. Aber arrogant war ich eigentlich in meiner Selbstwahrnehmung nie.

Geizig seien Sie auch. Und unhöflich.

Och, ich kann auch höflich sein. Geizig, ja manchmal. I bin a Schwob, da kriegt man bisweilen solche Anfälle. Neulich war ich wunderbar essen, und leider hat der Schwabe in mir verhindert, dass der Wein mit dem Essen mithalten konnte. Da habe ich mich selbst bestraft.

Sie laufen wieder ...

Ja. Es ist wunderschön hier.

Und? Wieder fit?

Ach fit! Aber fitter als in den Jahren davor bin ich wieder.

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Interview: Andreas Hoidn-Borchers und Claus Lutterbeck

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