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Nach Koalitionsausschuss Von "Horror-Nachrichten" bis "Riesenfortschritt": Reaktionen auf die Ampel-Beschlüsse

Die Parteichefs der Ampel (v.r.n.l.): Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (Grüne), Christian Lindner (FDP)
Die Parteichefs der Ampel-Koalition (v.r.n.l.): Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP) nach der Einigung im Koalitionsausschuss
© Michael Kappeler / DPA
Das Ampel-Bündnis ist erleichtert, dass der Koalitionskitt noch hält und freut sich über die Ergebnisse seiner Marathonsitzung. Das geht jedoch nicht allen so. Vor allem Umweltverbände sind entsetzt.

Die Ergebnisse der Marathon-Koalitionsrunde zur Klima- und Infrastrukturpolitik sind auf ein geteiltes Echo gestoßen. Umweltschützer kritisierten die Beschlüsse von SPD, Grünen und FDP scharf und sprachen von einem Rückschritt für den Klimaschutz. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund, die Allianz pro Schiene und die Wirtschaftsweise Veronika Grimm lobten hingegen die Kompromisse.

Der Koalitionsausschuss hatte hatte sich am Dienstagabend auf einen gemeinsamen Kurs in der Klima- und Infrastrukturpolitik geeinigt. Die Beschlüsse sehen schnellere Planungsverfahren für große Infrastruktuprojekte vor, darunter 144 Autobahnprojekte sowie für die Bahn, für Stromnetze und erneuerbare Energien. Mehr Geld soll die Bahn bekommen. Dafür sollen im Zuge einer Reform der Lkw-Maut Mehreinnahmen ganz überwiegend für Investitionen für die Schiene genutzt werden. Bisher gehen Einnahmen aus der Lkw-Maut nur in den Fernstraßenbau.

Das Klimaschutzgesetz soll in zentralen Punkten geändert werden. So sollen die strikten jährlichen Sektorziele zum Treibhausgas-Ausstoß etwa für den Verkehr oder den Gebäudebereich aufgeweicht werden. Künftig soll es möglich sein, Zielverfehlungen in einem Sektor in einem anderen auszugleichen. Bei Eingriffen in Natur und Landschaft, etwa durch den Bau von Windrädern oder Straßen, soll nicht nur ein Flächenausgleich gelten, sondern künftig auch Geld als Kompensation gezahlt werden können. Im Wärmebereich verzichteten die Koalitionäre auf ein Verbot von Öl- und Gasheizungen. "Es wird keine Austauschpflicht geben für bestehende Heizungen, sondern lediglich Vorgaben für neu eingebaute Heizungen", sagte FDP-Chef Christian Lindner.

Deutsche Umwelthilfe spricht von "Horror-Nachrichten"

Die geplante Aufweichung des Bundesklimaschutzgesetzes sei eine Katastrophe, kritisierte die Deutsche Umwelthilfe (DUH). "Diese Anti-Klimaschutz-Koalition" versündige sich an allen künftigen Generationen, erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. "Im Verkehrsbereich sind die Horror-Nachrichten kaum zählbar, unter anderem sage und schreibe 144 beschleunigte Autobahn-Bauvorhaben und die geplante faktische Gleichstellung von Verbrenner-Pkws mit Elektrofahrzeugen", kritisierte er. Resch forderte die Abgeordneten des Bundestages auf, "die geplante Verschlechterung" "rundweg abzulehnen".

Auch Greenpeace verriss die Ampel-Einigung: "Mit der Aufgabe der Verpflichtung zur Umsetzung jedes einzelnen Sektorziels heißt Kanzler Scholz (...) gut, dass der größte klimapolitische Erfolg seiner Partei, das Klimaschutzgesetz, entkernt wird", erklärte Martin Kaiser, Vorstand von Greenpeace Deutschland. "Wenn nun zudem 144 zusätzliche klimaschädliche Autobahnprojekte beschleunigt durchs Land asphaltiert werden sollen, wird das Klima weiter vor die Wand gefahren." Der "Ampel-Marathon" habe dem Klimaschutz an wichtigen Stellen sogar zurückgeworfen.

Ähnliche Kritik äußerte der Naturschutzbund Deutschland: Mit der Aufweichung der Sektorenziele falle die Ampel-Regierung hinter das Ambitionsniveau der Vorgängerregierung zurück, kritisierte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger.

Der Sozialverband VdK und der Kinderschutzbund monierten hingegen das Fehlen einer Verständigung zur Finanzierung der geplanten Kindergrundsicherung.

Allianz pro Schiene nennt Ampel-Einigung Riesenfortschritt

Lob kam von der Allianz pro Schiene. Deren Geschäftsführer Dirk Flege begrüßte, dass die Bahn mehr Geld bekommen soll und dafür auch Mittel aus der Lkw-Maut fließen sollen. "Endlich wird der Zwang abgeschafft, die Lkw-Mauteinnahmen in Bundesfernstraßen investieren zu müssen. Jetzt darf in umweltfreundliche Alternativen investiert werden, das ist ein Riesenfortschritt", sagte Flege.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund lobte die Einigungen zum Verkehrssektor insgesamt und dabei auch, dass weiter in den Straßenbau investiert wird. "Deutschland wird noch sehr lange auf die Automobilität angewiesen sein. Es wird Jahrzehnte dauern, das Schienennetz – auch das europäische – so auszubauen, dass das Volumen der Schienentransporte sehr deutlich steigen kann", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der "Rheinischen Post".

Die Wirtschaftsweise Grimm sprach ebenfalls von einem positiven Ergebnis, auch beim Klimaschutz. "Den Ausbau der Schiene über eine Lkw-Maut zu finanzieren, ist eine gute Idee", sagte Grimm der "Rheinischen Post". "Die Reform des Klimaschutzgesetzes mit Blick auf die zeitliche und intersektorale Flexibilität ist ebenfalls eine gute Sache – sofern die Emissionsreduktionsziele eingehalten werden", fügte sie hinzu. "Im Gebäudesektor ist es offenbar auch gelungen, die negativen Aspekte abzuräumen. Das dürfte alles nicht dazu führen, dass die Stimmung sich gegen den Klimaschutz wendet", analysierte Grimm. "Die Ergebnisse machen Mut, dass die Koalition handlungsfähig ist. Ein wichtiges Signal."

SPD-Chef Klingbeil kündigt rasche Umsetzung an

Zufrieden zeigte sich naturgemäß auch die Ampel-Koalition mit ihren Beschlüssen. SPD-Chef Lars Klingbeil sprach im ZDF-"heute journal" von einem großen Modernisierungspaket, welches das Land über die nächsten Jahrzehnte verändern werde. Dafür sei er auch bereit, sich "mal zwei Tage an einen Tisch zu setzen". Klingbeil bescheinigte der Koalition ein gemeinsames Interesse, den Klimaschutz voranzubringen, die Infrastrukturprojekte auszubauen und auch die Planungs- und Genehmigungszeiten drastisch zu verkürzen. In den ARD-"Tagesthemen" sagte der SPD-Chef, viele der Beschlüsse würden sehr schnell ins Parlament kommen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte das Maßnahmenpaket für die Bahn und den Schwerlastverkehr "sehr wuchtig". Habeck räumte in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" ein, dass die Planungsbeschleunigung für Autobahnprojekte seiner Partei nicht leicht gefallen, aber Teil der Kompromissfindung gewesen sei. "Das war kein Wunsch der Grünen", sagte Habeck. Wichtig sei aber, dass Probleme gelöst worden seien.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr wertete die Ergebnisse des Koalitionsausschusses als wegweisend. "Gemeinsam hat sich die Koalition auf ein umfassendes Modernisierungs- und Beschleunigungspaket geeinigt, das einen wahren Paradigmenwechsel bedeutet", sagte Dürr der Deutschen Presse-Agentur. Das Tempo von Planungs- und Genehmigungsverfahren werde weiter erhöht. Das Klimaschutzgesetz werde von der "Planwirtschaft in die Marktwirtschaft" überführt. Die Koalition habe sich zudem zu Technologieoffenheit bekannt.

Linke attestiert Scholz Führungsschwäche

CDU, Linke und AfD können hingegen den Ampel-Beschlüssen nichts Gutes abgewinnen. "Ich bin nicht nur enttäuscht, ich bin in Teilen fassungslos", sagte der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Andreas Jung im ARD-"Morgenmagazin". "Es wurde nichts beschlossen zum Haushalt, es wurde nichts beschlossen zur Kindergrundsicherung." Auch in der Heizungsfrage gebe es nur Allgemeinplätze, keine Antworten. Jung monierte auch den Ampel-Kurs beim Klimaschutz. "Wir müssen vorankommen beim Klimaschutz, aber wir müssen es verbinden mit der sozialen Komponente, mit der Wirtschaft, Nachhaltigkeit in der ganzen Breite."

Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte dem Nachrichtenportal t-online: "Eine Erhöhung der Lkw-Maut macht kein Gesamtkunstwerk, sondern ist ein Debakel für die Ampel-Regierung und einen Kanzler mit fortgesetzter Führungsschwäche." Bartsch warf der Ampel-Koalition zugleich "nebulöse Ankündigungen" vor und nannte das "blamabel".

Wie Bartsch kritisierten auch die Fraktionschefs der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, dass das geplante Verbot des Einbaus neuer Öl- und Gasheizungen noch nicht vom Tisch sei. Sie nannten die Ergebnisse der Koalitionsgespräche insgesamt "dürftig".

mad DPA AFP

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