Langer Weg nach "Jamaika" Koalitionsverhandlungen: Wann hört der Stillstand auf?

Die Koalitionsverhandlungen haben noch nicht einmal begonnen und sie werden vermutlich lang werden (Archivbild)
Bis das Volk eine neue Regierung hat, dürfte es noch dauern - die Koalitionsverhandlungen haben noch nicht einmal begonnen und sie werden vermutlich lang werden (Archivbild)
© Manuel Cohen/ZUM PRESS/PICTURE ALLIANCE
Warten auf die Koalitionsverhandlungen. Knapp zwei Wochen ist es her, dass wir einen neuen Bundestag gewählt haben. Passiert ist seitdem wenig. CDU/CSU, FDP und Grüne lassen sich Zeit - wie lange kann das noch so weitergehen?

Der Wahlabend vor knapp zwei Wochen. Schnell stellt der unterlegene SPD-Kandidat Martin Schulz klar: Eine Neuauflage der GroKo wird's mit ihm nicht geben. Damit ist genauso schnell klar: Das Pokerspiel um die Jamaika-Koalition kann beginnen. In unzähligen Talkshows, Interviews und Hintergrundgesprächen loten anschließend die Parteispitzen von CDU, CSU, FDP und Grünen ihren Verhandlungskorridor aus, mit markigen Forderungen und No-Gos treiben sie den Preis für ein mögliches Bündnis in die Höhe. Der Aktionismus der Tage nach der Wahl scheint inzwischen verflogen, dass politische Alltagsgeschäft geht weiter und Deutschland wartet. 

Es wartet darauf, dass eine Koalition geschmiedet und eine neue Regierung ihre Arbeit aufnehmen wird. Wie es aussieht, wird dieses Warten noch länger dauern - allerdings ist das durchaus üblich. Nach den bisherigen 18 Bundestagswahlen vergingen im Schnitt rund 42 Tage, also sechs Wochen, von der Wahl bis zur Bildung einer Regierung.

Wie lange dürfen Koalitionsverhandlungen dauern?

Die längsten Zeit benötigten CDU/CSU und SPD vor vier Jahren, es vergingen fast drei Monate (86 Tage), bis Angela Merkel und ihre Minister den Amtseid im Parlament ablegen konnten. Erst rund viereinhalb Wochen nach der Wahl begannen seinerzeit die eigentlichen Koalitionsverhandlungen. Eilig hatten es Sozialdemokraten und FDP 1969 sowie die Unionsparteien und die Liberalen 1983: Gerade einmal 24 Tage vergingen zwischen Urnengang und Regierungsbildung - schneller ging es bis dato nie.

Langer Weg nach "Jamaika": Koalitionsverhandlungen: Wann hört der Stillstand auf?
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Mal 24, mal 86 Tage, mal irgendwas dazwischen - was sagt eigentlich das Grundgesetz dazu? Wann muss eine Regierung nach der Wahl stehen? Der Blick in die Verfassung fällt ernüchternd aus: "Der Bundestag tritt spätestens am dreißigsten Tage nach der Wahl zusammen", schreibt Artikel 39 vor. Mehr nicht.

Am 24. Oktober um 11 Uhr soll Wolfgang Schäuble die konstituierende Sitzung der 19. Legislaturperiode eröffnen, so der derzeitige Plan. Nach Angaben der Parlamentsverwaltung beschließen die Abgeordneten darin unter anderem die neue Geschäftsordnung und es stehen die Wahlen des Bundestagspräsidenten, der Vizepräsidenten und der Schriftführer an. Wann der Bundestag jedoch einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin wählen muss, lässt das Grundgesetz offen. 

Allerdings: Mit der ersten Sitzung des neugewählten Bundestages endet nach Artikel 69 die dritte Amtszeit von Angela Merkel und ihren Ministern. Dann kommt Frank-Walter Steinmeier ins Spiel. Der Bundespräsident kann die Kanzlerin dazu verpflichten, die Regierungsgeschäfte weiterzuführen, bis ein neues Kabinett im Amt ist. Führungslos wird die Bundesrepublik also selbst bei erfolglosen Koalitionsverhandlungen nicht. Möglichkeiten zur politischen Gestaltung bieten sich der geschäftsführenden Bundesregierung jedoch wenig bis gar nicht.

Aus Tempo drückt keine der vier Parteien

Daher ist es dringend geboten, dass CDU/CSU, FDP und Grüne sich schnell an einen Tisch setzen und die Koalitionsverhandlungen zum Erfolg führen, haben doch alle Parteien vor der Wahl unisono beschworen, wie wichtig eine handlungsfähige Regierung in diesen Zeiten sei.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Bloß, auf Tempo drückt zurzeit keine der Parteien. Es gilt offenbar die weitgehend unausgesprochene Verabredung, zunächst die Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober abzuwarten - 21 Tage nach der Bundestagswahl. Den Geschwindigkeitsrekord von 1969 und 1983 werden die Beteiligten nicht brechen.

Der Grund ist aus parteipolitischer Sicht nachvollziehbar, für die Wähler aber ärgerlich: Keine Partei will ihr Profil durch mögliche Zugeständnisse bei Verhandlungen im Bund verwässern und damit belastet in die Wahl des bevölkerungsreichen Bundeslandes gehen.

Nur durch zügige Verhandlungen können die Parteien danach die verloren gegangene Zeit wieder aufholen, allein: Der Glaube daran ist gering, denn es dürften sehr zähe Gespräche werden. Alle Parteien werden den künftigen Partnern schon in den Sondierungsgesprächen Zugeständnisse machen müssen, zu weit liegen sie in vielen Fragen auseinander: In Sachen Flüchtlings-Obergrenze sind sich nicht einmal die Unionsparteien einig, auch bei den Themen Sicherheit oder Klimaschutz gibt es zahlreiche Differenzen zwischen den vier Akteuren. Und auch die Parteibasis soll zumindest bei Grünen und FDP noch ein Wörtchen mitreden - faule Kompromisse dürfen am Ende nicht herauskommen.

Die nächsten Landtagswahlen stehen erst im Herbst 2018 an (Bayern und Hessen), eine lange Atempause also, in der das Taktieren in den Hintergrund rücken kann - diese berechtige Erwartung können die Bürger haben.

"Kann sich über mehrere Monate hinziehen"

Wann jedoch mögliche Koalitionsverhandlungen zum Abschluss kommen, ist ungewiss. Realistisch ist wohl das, was die Bundestagsverwaltung meint: "Dies kann sich über mehrere Monate hinziehen", heißt es aus dem Reichstagsgebäude.

Scheitern die "Jamaika"-Verhandlungen von CDU/CSU, FDP und Grünen jedoch und die SPD hält gleichzeitig an ihrem Vorhaben fest, in die Opposition gehen, gäbe es wohl Neuwahlen - und noch längeren Stillstand.

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